Aus der Up in Flames Issue
Letzten Frühling stieg Brandi Campbell während einer zehnstündigen Schicht in einen Aufzug, als ihr Vorgesetzter sie ergriff und an sich zog. Er wollte wissen, warum sie nicht auf seine vielen Einladungen zum Essen geantwortet habe. Es war nicht das erste Mal, dass Campbells Chef sich unangemessen verhielt. Innerhalb von acht Monaten hatte er immer wieder über ihre Schenkel gestrichen und ihre Schultern massiert.
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Er hatte so oft ihre private Telefonnummer verlangt, dass sie irgendwann nachgegeben hatte, und nun rief er ständig an, obwohl sie ihm ihr mangelndes Interesse deutlich zu verstehen gegeben hatte.
Campbell entschloss sich, ihn wegen sexueller Belästigung zu verklagen, doch das würde nicht einfach sein. Damals arbeitete sie als Stripperin im Larry Flynt’s Hustler Club in Las Vegas. Stripperinnen sehen sich schon lange großen Hindernissen im Kampf um ihre Rechte am Arbeitsplatz gegenüber. Sie sind meist nicht berechtigt, Überstunden geltend zu machen oder bei Kündigung Arbeitslosenhilfe zu beziehen. Die meisten haben nicht einmal einen Stundenlohn, sondern erhalten nur das Trinkgeld der Kunden. Stripperinnen sind fast immer freie Mitarbeiterinnen und nicht reguläre Angestellte. Es war dieser Unterschied, der Campbells Fall gefährdete: Nur Angestellte können wegen sexueller Belästigung klagen, weshalb Freiberuflerinnen nur in den allerschlimmsten Fällen, wie bei einer Vergewaltigung, vor Gericht gehen können.
Doch ein neues Gerichtsurteil in Nevada machte Campbell Hoffnung. Letzten Oktober entschied das dortige Oberste Gericht, sie seien eigentlich Angestellte des Clubs—ein großer rechtlicher Sieg für Stripperinnen. Ihnen standen Entschädigungen für Überstunden, der gesetzliche Mindestlohn zusätzlich zu ihren Trinkgeldern und alle Rechte des Angestelltenstatus zu. Campbell hatte innerhalb eines Jahrzehnts landesweit in mehr als 50 Clubs gearbeitet und war in vielen Situationen von Vorgesetzten und Kunden belästigt worden, doch nun hatte sie zum ersten Mal die Chance auf Gerechtigkeit.
Es war nicht nur ein einzelnes Urteil. Stripperinnen in den gesamten USA sind vor Gericht gezogen, um gegen ihre Trinkgeld-Löhne und die Bühnengebühren vorzugehen, die sie oft zahlen müssen, um aufzutreten. Seit 2012 haben Richter in Kalifornien, Georgia, New York und South Carolina zugunsten der Tänzerinnen entschieden, sodass Millionen Dollar an Löhnen nachgezahlt werden mussten. In Illinois und Pennsylvania stehen noch Urteile aus. Diese Fälle haben bereits einen großen Einfluss auf die 2,5 Milliarden Dollar schwere Industrie ausgeübt, in der 350.000 Tänzerinnen und Tänzer arbeiten, doch der Sieg in Nevada ist der bisher größte.
Im Fall Terry v. Sapphire entschied das Oberste Gericht von Nevada, ehemalige Stripperinnen des Sapphire Gentlemen’s Club in Las Vegas sollten rückwirkend 8,25 Dollar für jede Arbeitsstunde sowie eine Entschädigung für die Bühnengebühr erhalten. Aufzeichnungen zeigen, dass der Club jährlich allein mit Bühnengebühren 4 Millionen Dollar einnimmt.
Insgesamt beliefen sich die Entschädigungszahlungen für die 10.000 Klägerinnen auf 80 Millionen Dollar—eine beachtliche Summe. Doch es war das einstimmige Urteil des Gerichts, die Stripperinnen seien Angestellte und nicht Freiberuflerinnen, das umfassende Veränderungen ihrer Arbeitsbedingungen in ganz Nevada versprach.
„Die Industrie ist nicht transparent; sie liegt am Rande der Gesellschaft”, sagte Rebekah Bailey, eine Anwältin, die Stripperinnen in Atlanta vertreten hat. „Die Clubs sind lange mit dieser Fehleinstufung davongekommen.”
Der Sapphire-Club versuchte, Berufung einzulegen, doch der Antrag wurde umgehend abgelehnt. Im Nachfeld klagten mindestens acht weitere Stripperinnen, darunter Campbell, gegen ihre Clubs, um Lohnnachzahlungen sowie Schmerzensgeld für sexuelle Belästigung einzufordern. Zwei Monate später versuchten Lobbyisten der Industrie, das Urteil auf anderem Wege nichtig zu machen. Im Februar wurde im Senat von Nevada ein Gesetz vorgestellt, das die Regelung des Angestellten- und Freiberuflerstatus ändern sollte. Die meisten US-Staaten richten sich hier nach dem bundesweiten Fair Labor Standards Act (FLSA). Die im FLSA vorgegebene und im Sapphire-Urteil explizit begrüßte Prüfung der wirtschaftlichen Fakten beachtet bei der Einstufung, wie wichtig Arbeitnehmer für eine Firma sind (Kunden gehen wegen der Stripperinnen in die Clubs, nicht wegen der Getränke) und wie viel Kontrolle sie über die Ausführung der Arbeit haben (Stripperinnen müssen oft Bußgeld zahlen, wenn sie nicht bei Aufforderung auf die Bühne gehen).
Laut Bailey tendieren bisherige FLSA-Urteile „sehr zur Einstufung als Arbeitnehmer”.
Im Gesetzesvorschlag von Nevada, bekannt als SB224, sollte der existierende Arbeitsvertrag vor anderen Faktoren Vorrang haben. Er schlug eine automatische Einstufung als Freiberufler vor; ein Arbeitnehmerstatus wäre nur bei Erfüllung diverser Kriterien gegeben, wie etwa Arbeit für nur einen Arbeitgeber und das Tragen einer Uniform. Viele sind sich einig, dass SB224 eine direkte Antwort auf Terry v. Sapphire darstellt, doch das Gesetz würde alle Arbeitnehmer im Staat und nicht nur die Strip-Industrie betreffen. Weder wurden Stripperinnen um Aussage gebeten noch zog man das Büro des Arbeitsbeauftragten, welches für die Durchsetzung des Gesetzes verantwortlich wäre, zu Rate.
Firmen aus dem ganzen Staat unterstützten das Gesetz jedoch. „Sapphire und seine Anwälte haben eine Propaganda-Kampagne durchgeführt und behauptet, Terry v. Sapphire würde die freiberufliche Arbeit in Nevada auslöschen. Doch das ist falsch”, sagte Anwalt Mick Rusing, der die Sapphire-Stripperinnen vertrat. Während der Verhandlungen zu SB224 brachten Senatsmitglieder ihre Verwirrung über das Ziel und den Umfang des Gesetzes zum Ausdruck. (Senator James Settelmeyer, der den Vorschlag im Senat vorlegte, lehnte ein Interview ab.) Trotz dieser Fragen verabschiedete der Senat das Gesetz und der Gouverneur unterzeichnete es diesen Juni.
Der Kampf um Arbeitnehmerrechte in der Stripclub-Industrie geschieht vor dem Hintergrund großer Umwälzungen im US-Arbeitsrecht. Die Wirtschaft der befristeten Verträge bedeutet für immer mehr Menschen ähnliche Bedingungen, wie jene, unter denen Stripperinnen seit Jahrzehnten arbeiten. Sie verzeichnen ebenfalls Siege. Nur einen Tag nach der Verabschiedung von SB224 entschied der Arbeitsbeauftragte von Kalifornien, gewisse Uber-Fahrer müssten als Angestellte und nicht als Freiberufler gelten. Die Kläger hatten sich auf Terry v. Sapphire als Präzedenzfall berufen. Uber behauptete sofort, die Entscheidung beziehe sich nur auf eine Person, doch das Argument der Firma wurde vom Arbeitsministerium geschwächt, als dieses neue Regelungen vorschlug, die 4,6 Millionen aktuell davon ausgeschlossenen Arbeitnehmern, darunter auch Uber-Fahrern, einen Mindestlohn garantieren würden. Im Folgemonat gab das Ministerium eine Neuinterpretation des FLSA heraus, in dem die Überprüfung der wirtschaftlichen Fakten als unerlässlich für die Wirtschaft und schwerwiegender als jegliche bereits existierende Arbeitnehmervereinbarung bezeichnet wurde.
Doch in Nevada bedroht SB224 noch immer die Fortschritte des Urteils Terry v. Sapphire. Nach der Entscheidung des Obersten Gerichts verwies Sapphire zu seiner Verteidigung auf das Gesetz und behauptete, es mache das Urteil ungültig.
Diesen Oktober waren die Klägerinnen gezwungen, sich außergerichtlich auf eine Abfindung von 6 Millionen Dollar zu einigen. „Wenn SB224 nicht verabschiedet worden wäre, hätten wir 80 Millionen Dollar bekommen”, sagte Rusing. „Der Club wäre vermutlich bankrottgegangen.”
Nun hängt auch Campbells Fall in der Schwebe. Wenn der Staat die Einstufung nach SB224 verwendet, wird sie als Freiberuflerin behandelt und ihre Klage wird rechtlich gegenstandslos.
„Es gibt Gesetze gegen sexuelle Übergriffe, aber viel Glück beim Versuch, daraus einen Fall zu machen”, sagte Campbells Anwalt, Robert Spretnak. „Es hat seine Gründe, dass es separate Gesetze dezidiert gegen sexuelle Diskriminierung und Belästigung am Arbeitsplatz gibt.” Doch angesichts der Entwicklungen im Arbeitsrecht auf Bundesebene bleibt er optimistisch. „Die [Club-Industrie] mag das für einen Sieg halten, doch es ist nur ein kleiner Bremser im beschleunigenden Trend der Anerkennung von Tänzerinnen als Angestellte.”
Campbell ist überzeugt, dass die Industrie ihre Rechte anerkennen kann, ohne pleitezugehen. Sie will, dass die Arbeitgeber die Tänzerinnen, ihre Arbeit und ihr Recht auf eine sichere Umgebung respektieren. Ein Vertreter der Nevada Equal Rights Commission (NERC), die für den Arbeitsschutz im Staat zuständig ist, habe ihr gesagt, die Behörde habe bisher Beschwerden von Stripperinnen abgelehnt, weil diese in einem sexualisierten Umfeld arbeiteten.
„So viele Leute verstehen nicht, dass Stripperinnen Grenzen haben—dass wir sexuell belästigt werden können wie alle anderen auch”, sagte sie. Ob der Staat das einsieht, bleibt abzuwarten. Die NERC, die über ihren Arbeitnehmerstatus entscheiden muss, bevor der Fall weitergehen kann, hat noch nicht entschieden, ob sie Campbells Beschwerden nachgehen wird.