Drogen

Jeder, wirklich jeder streckt Kokain, bevor es bei Konsumierenden landet

Kokain gestreckt und serviert

Beim Geschäft mit Kokain wird immer zweimal gezogen: Nicht nur der Stoff in die Nase, sondern auch die Konsumierenden über den Tisch. Denn Kokain wird stark gestreckt. Vielerorts bekommt man für mehr Geld bestenfalls weniger gepanschtes Kokain, aber wirklich rein ist es fast nie. Verantwortlich dafür ist weder das Kartell noch die Kleindealerin allein, sondern alle Kettenglieder des Drogenhandels. Mehr als fünf Verkaufsschritte können zwischen Produzierendem und Konsumierendem liegen – und mit jedem Schritt wird die Droge unreiner. Zu Lasten der Gesundheit der Konsumierenden. Doch die Streckmittel könnten verraten, welche Händler und Banden hinter welchem Kokain stecken.

All das legt zumindest eine neue Studie nahe, die eine Forscherin der Universität Sydney und drei Forscher der Universität Lausanne zusammen erhoben haben. Ihr Paper über Streckmittel im Kokain- und Heroinhandel werden sie im International Journal of Drug Policy veröffentlichen, online kann man es schon jetzt lesen.

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Für die Studie haben die Forschenden auf Laboranalysen zurückgegriffen, die von über 1.300 Kokain- und mehr als 700 Heroinbeschlagnahmungen stammen. Die Funde wurden alle zwischen 2006 und 2015 in der Westschweiz gemacht und vom Zoll, Grenzkontrollen, dem Bundesamt für Polizei und einzelnen Kantonspolizeistellen zusammengetragen. Von Großfunden im Kilogrammbereich bis hin zu Mikroreaktionsgefäßen und kleinen Plastikbeutelchen, die auf der Straße die Besitzerin wechseln sollten, ist also alles vertreten.

Wie die Drogen in die Schweiz kommen

Allein diese unterschiedlichen Funde zeigen, wie komplex der Drogenhandel ist. Es gibt Produzierende, Schmuggelnde, den Großhandel, Vertriebe und – schließlich – Dealende. Zwischen der Hand, die eine Mixtur im Herkunftsland abpackt, und der, die im Konsumland die Kreditkarte über ihren Handybildschirm schabt, liegen oft mehr als fünf Verkaufsschritte.


Auch bei VICE: Das neue Kokain Kolumbiens


In ihrer Studie fassen die Forschenden die bisherigen Erkenntnisse von Behörden und Forschungen über den Weg der Drogen in die Schweiz zusammen. Das Heroin kommt demnach entweder aus niederländischen Häfen per Auto oder es kommt per LKW aus dem Balkan, manchmal auch mit Zwischenstop in Italien. Zentral für diese Route ist Europas erster “Narco-Staat” Albanien. Die organisierte Kriminalität dort bezieht den Stoff aus der Türkei und behält den Vertrieb und Handel bis in die Alpen unter Kontrolle, wie zahlreiche andere Studien und Behördendaten nahelegen.

Kokain wiederum kommt aus Kolumbien, Peru und Bolivien und findet über mehrere Zwischenstationen per Flieger oder in einer Sporttasche auf dem Cargo-Schiff seinen Weg nach Europa. Der Schweizer Kokainmarkt ist allerdings sehr heterogen, viele kriminelle Strukturen mischen mit – im wahrsten Sinne des Wortes: Die vier Forschenden vermuten in ihrem Paper, dass die Behörden anhand der Beimischungen im Kokain die einzelnen Gruppen nachverfolgen könnten, da wohl jede unterschiedliche Streckmittel nutzt.

Kokain: Puderzucker für die Nase

Bei den Streckmitteln unterscheiden die Forschenden in adulterants und diluents. Erstere sind wie die Drogen teilweise selbst psychoaktiv, sie verändern bzw. verfälschen die Wirkung der Substanz, Letztere verdünnen sie und zwar nicht zu knapp.

In fast neun von zehn Tests fanden die Labore den Milchzucker Laktose, ergänzt durch weitere Verdünner wie Glukose und/oder den Zuckeralkohol Mannit. Wobei die Studie zeigt, dass mit Aufteilung des Kokains der Anteil der mit diesen drei Stoffen verdünnten Proben kontinuierlich steigt. In jedem Verkaufsschritt wird also weiter gestreckt, die Reinheit des Kokains sinkt von 71 Prozent bei den Großfunden bis zu den Konsumeinheiten noch mal um mehr als die Hälfte.

Wo das hinführt, zeigt sich nicht nur in der fortwährend abnehmenden Reinheit der Proben, sondern auch in deren Zusammensetzung. Bis zu neun adulterants ließen sich im getesteten Kokain nachweisen. Ihre Zahl nimmt im Durchschnitt mit jedem Vertriebsschritt zu.

Für Konsumierende ist das besonders gefährlich: Je mehr unterschiedliche Substanzen in ihren Drogen stecken, desto größer ist das Risiko von Wechsel- und Nebenwirkungen und von Langzeitschäden.

Zwei Substanzen, mit denen Kokain irgendwann im Handel zwangsläufig gestreckt zu werden scheint, sind das Schmerzmittel Phenacetin und das Entwurmungsmittel Levamisol. Bereits in jeweils rund einem Viertel der Großfunde wurden diese Streckmittel nachgewiesen. In den Straßeneinheiten von Kokain hat sich dieser Anteil verdreifacht, hier fanden sich die beiden Stoffe in 80 bzw. 71 Prozent der Fälle.

Erst im November 2018 hat eine andere Studie aus der Schweiz nahegelegt, dass Levamisol nicht nur Blutkrankheiten und Gefäßveränderungen begünstigt, sondern auch das menschliche Gehirn ernsthaft schädigen kann.

Das Betäubungsmittel Lidocain, das Krampfanfälle auslösen kann, fand sich in der Hälfte aller Kokainkleinstfunde.

Wirklich frei von psychoaktiven oder anderen die Wirkung manipulierenden Streckmitteln waren nur drei Prozent aller Kokainfunde. Besonders reines Kokain – vermutlich für besonders viel Geld und besondere Kunden. Oder eben von den Behörden vor der nächsten Streckung abgefangen.

Es ist allerdings möglich, dass die Daten der Forschenden bereits veraltet sind. In der Schweiz gibt es mehrere Drug-Checking-Angebote. Konsumierende haben etwa im Drogeninformationszentrum DIZ in Zürich im letzten Jahr, also drei Jahre nach Ende des Erhebungszeitraums der Studie, über 900 Kokainproben zum Testen abgegeben. Diese enthielten im Schnitt rund 78 Prozent Kokain, der zweithöchste Jahreswert seit Einführung des Drug-Checkings. In der Studie liegt der Reinheitsgrad für die Kleinsteinheiten hingegen bei 32 Prozent.


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Heroin: Nur die Großen strecken

In jedem Fall noch unreiner als das Schweizer Kokain ist das Heroin. Nur ein Prozent aller Funde aus der Studie war frei von wirkungsverändernden Zusätzen – und es ist unwahrscheinlich, dass es das bis zum Konsum geblieben wäre. Denn Koffein, das in über 90 Prozent aller Tests nachgewiesen werden konnte, senkt den Siedepunkt von Heroin, es lässt sich schneller erwärmen und verdampfen, und damit leichter rauchen und inhalieren.

Das ebenso häufig gefundene Schmerzmittel Paracetamol ist billig, leicht zu erwerben und schmeckt ähnlich bitter wie Heroin, kurzum: Es eignet sich gut zum Strecken und damit zur Gewinnsteigerung.

Anders als beim Kokain spielen andere Zusätze wie Zucker oder das bisweilen dem Heroin beigemischte Anti-Hautpilzmittel Griseofulvin kaum eine Rolle. Überhaupt wird seltener, dafür aber stärker gepanscht. Die Reinheit des Heroins beträgt bei den Großfunden im Schnitt nur 32 Prozent und sinkt dann schlagartig bei der Portionierung auf die Vertriebsgrößen zwischen 5 und 100 Gramm auf 12 Prozent. In den gefundenen Konsumeinheiten betrug sie letztlich knapp 10 Prozent.

Das legt nahe, dass Heroin nahezu ausschließlich von Produzierenden, Großhändlern und Vertrieben gestreckt wird, also von den höchsten Ebenen der organisierten Kriminalität.

Was in ihren Drogen steckt, können zumindest Konsumierende in Berlin bald selbst herausfinden. Noch in diesem Herbst soll ein eigenes Drug-Checking-Angebot in der Stadt starten.

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