Ab nächstem Jahr bekommt die Polizei neue Panzer. Oder, na ja, gepanzerte Fahrzeuge. Offiziell heißen sie: Sonderwagen 5. Denn Panzer hat eigentlich das Militär. Was die Polizei bekommen wird, ist dennoch nah dran. 55 Stück hat der ehemalige Innenminister Horst Seehofer (CSU) beim Rüstungskonzern Rheinmetall bestellt. Zehn von ihnen gehen an die Bundespolizei, 45 and die Polizeien der Länder. Die Wagen schützen vor Molotowcocktails, Kriegswaffen und atomaren Kampfstoffen. Nur: Wozu braucht die Polizei sowas?
Der Hersteller Rheinmetall nennt diese Art des Militär-Lkw Survivor R. Survivor heißt Überlebender – und Polizisten sollen dank dieses Fahrzeugs zum Beispiel Einsätze bei Terroranschlägen überleben, das ist die offizielle Begründung. Nur: Es gab in den vergangenen Jahren kaum Terroranschläge in Deutschland. Das hindert die Polizei nicht daran, viele Millionen Euro für die Panzerwagen auszugeben.
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Wer sich einen Survivor R anschafft, zahlt mindestens eine halbe Million Euro. Später kommen noch Tausende Euro hinzu, denn man muss ja Personal schulen und die Panzerwagen instand halten. Fünf Länder haben Sonderbestellungen gemacht und die Fahrzeuge bereits selbst gekauft: Berlin, Brandenburg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen. Doch die Panzerfahrzeuge stehen vor allem rum. Anlässe für Einsätze gibt es wenige. Böswillig formuliert, könnte man sagen: Die Polizei verballert Steuergelder für Fahrzeuge, die sie nicht braucht, und Gefahren, die sie nicht abwehren muss.
Nazi-Stickerei in Sachsen wurden übernäht
Vielen ist der Survivor R wahrscheinlich noch bekannt, weil die Polizei in Sachsen die Sitze mit dem internen Logo des SEK versehen hatte. Das inoffizielle Wappen prangte in Frakturschrift und schönster Nazi-Ästhetik auf den Bezügen. Eine Schneiderin aus dem Polizeiverwaltungsamt nähte dann 2018 Stoffreste zu Überzügen für die Sitze zusammen. Die Bestickung verschwand. Das geht aus einer parlamentarischen Anfrage der sächsischen Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Die Linke) hervor. Kosten seien nicht entstanden, teilte das sächsische Innenministerium mit.
“Das Überdecken des Schriftzugs ändert an diesem Problem nichts” sagt Linkenpolitikerin Nagel. Sie fordert mehr selbstkritische und demokratische Kultur innerhalb der Polizei. “Polizeibedienstete mit antidemokratischen Einstellungen müssen konsequent ausgesiebt werden”, sagt sie. Doch wofür werden die Panzerfahrzeuge in Sachsen nun eingesetzt?
Wenige Einsätze in mehreren Jahren
Nagel hat beim Sächsischen Innenministerium nachgefragt. Aus der Antwort auf ihre Anfrage geht hervor, dass die beiden sächsischen Survivor R insgesamt zwölf Mal seit der Anschaffung 2017 genutzt wurden. Im Durchschnitt hat der Panzerwagen jedes halbe Jahr Ausfahrt. Fünf Mal fuhr er nach Dresden, zwei Mal lieh die Polizei das Fahrzeug an Thüringen. Laut Antwort des Innenministeriums galten jegliche Einsätze der “Festnahme bewaffneter Gewalttäter”. Genaueres verrät das Ministerium nicht. Nach dem Kauf der beiden Fahrzeuge entstanden bisher mehr als 104.000 Euro an Kosten für Schulungen und Instandhaltung.
Der Hersteller Rheinmetall bewirbt den Survivor R als “Allrounder” und eine “ideale Kombination aus Mobilität und Schutz”. Mit dem 340 PS starken Allradantrieb ermöglicht der Lkw Einsätze für elf Mitfahrende. Eine “Schutzbelüftungsanlage gegen atomare, biologische und chemische Kampfstoffe” und ein “hell und ergonomisch” gestalteter Innenraum bieten nicht nur Komfort, sondern auch eine “optimale Unterstützung in allen relevanten Einsatzgebieten”. Und eine Klimaanlage. Das lässt so manches Polizistenherz höher schlagen.
Die Survivor R dürfen auf bis zu 100 Kilometer in der Stunde beschleunigen. Sie könnten zwar schneller fahren, dürfen das aber nicht, erklärt der Verkaufsleiter Klaas Krause von Rheinmetall in einem Gespräch beim Europäischen Polizeikongress. Der Grund: Die Gesetze lassen es nicht zu.
Deutschland, ein gefährlicher Ort?
Glaubt man den Aussagen von CDU-Politikern, ist Deutschland ein gefährlicher Ort, an dem die Polizei Panzerwagen braucht. Der ehemalige Innenminister Sachsens, Markus Ulbig, sagte 2017: “Ich möchte das Mögliche tun, um die Einsatzkräfte und die Bevölkerung im Terrorfall optimal zu schützen.” Schon 2015 hat der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Anschaffung der Panzerfahrzeuge begründet: Der bisherige Sonderwagen 4 “bietet keinen Schutz gegen Beschuss mit Kalaschnikow.”
Brandenburg hat sich im September 2018 ein gepanzertes Fahrzeug der österreichischen Rüstungsfirma Achleitner liefern lassen. Es ist in Potsdam stationiert und “wird dauerhaft ausschließlich für Einsätze des Spezialeinsatzkommandos vorgehalten und lage-angepasst eingesetzt.” So steht es in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der brandenburgischen Landtagsabgeordneten Andrea Johlige (Die Linke). Sie wollte auch wissen, wo und warum die Panzerwagen eingesetzt werden. Doch das verrät das Brandenburgische Innenministerium nicht. Vorgeblich, weil die Daten “nicht statistisch auswertbar vorliegen”.
In Berlin hat die FDP-Fraktion eine Anfrage an den Senat gestellt. Der Berliner Senat listet immerhin die Einsätze des Survivor R seit Ende 2018 auf: Nach den antisemitischen Anschlägen in Halle fuhr der Berliner Polizeipanzer los, um jüdische Einrichtungen zu bewachen. Als im Sommer dieses Jahres der Grunewald brannte, schickten die Einsatzkräfte den Panzerwagen dorthin. Sieben Einsätze waren es insgesamt. Auch in Berlin wird das gepanzerte Fahrzeug also einmal im halben Jahr gebraucht. Für Personal, Material und Betrieb gingen dabei über 102.000 Euro drauf.
Übrigens: Keine der Landesregierungen nennt die Kaufpreise. Angeblich, weil sie die Geschäftsgeheimnisse der Rüstungsfirmen schützen müsse.
Eine demokratische Gesellschaft benötigt keinen Survivor R
In Hamburg hat man den Survivor R schon 20 Mal genutzt, sagt der Senat. Hier fuhren die Sonderwagen los, um bei Demonstrationen und Fußballspielen rumzustehen. In Nordrhein-Westfalen begründet der Innenminister Herbert Reul (CDU) die Anschaffung des Panzerfahrzeugs mit dem Bekämpfen von Terrorismus und Bandenkriminalität.
Doch muss sich die deutsche Polizei wirklich gegen Kriegswaffen verteidigen? Alexander Bosch ist skeptisch. Er forscht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin zu Polizei und Sicherheitsmanagement. “Sicherheit kostet Geld”, sagt Bosch. “Aber die derzeitige Sicherheitslage verlangt weder nach schärferen Polizeigesetzen noch nach der Militarisierung der Polizei.” Die bestehende Gefahr bei den Panzerwagen sei, dass sie zweckentfremdet werden und dann mangels ursprünglicher Einsatzlagen plötzlich bei politischen Protesten eingesetzt werden, führt Bosch aus. Man müsse sich schon fragen, inwieweit ein Survivor R hier wirklich hilfreich ist. “Eine demokratische Gesellschaft benötigt keinen Survivor R.”
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