Fotos: Gergana Petrova.
Sylabill Spill ist gefährlich. Nicht nur für sein Umfeld, sondern auch für sich selbst. Denn seine Atemzüge sind so unendlich lang, dass er jeden Moment an Sauerstoffmangel kollabieren könnte. Doch das tut er nicht. Er verletzt höchstens seine Konkurrenten mit seinen rasiermesserscharfen Reimen, mit denen er Rapper ins Jenseits befördert. Sein Ziel ist das aber nicht. Denn Spill ist wahrscheinlich der bodenständigste und freundlichste Kerl, den man jemals kennenlernen könnte und hat durch das Reimen eine kreative Ausdrucksform gefunden, die er mit seinem Umfeld teilen möchte. Reimen kann er, das hat er nicht nur 2009 mit seinem Debütalbum Negative Energie, sondern auch fünf Jahre später mit Steine Und Zwiebeln und weiteren zahlreichen EPs bewiesen.
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Der gebürtige Kongolese, der in Paris und später in Bonn aufwuchs, ist zudem ein talentierter Fußball- und Basketballspieler, der auch in der Leichtathletik eine Leidenschaft gefunden hat: die Liebe zum Sprint. Die musste er wegen einer schwere Verletzung aber aufgeben. Bleibt also Rap, ein abgeschlossenes Journalismus-Studium und seine momentane, wahre Passion: Architektur. Noch befindet er sich mitten im Studium, was aber nicht heißt, dass er nicht jeden anderen Rapper in Schutt und Asche legen kann, während er den Entwurf eines Gebäudes fertigstellt. Spill wird schließlich nicht umsonst „Der Radira“ genannt.
Noisey: Was waren deine ersten musikalischen Berührungen?
Sylabil Spill: Meine Mutter hat zuhause viel Musik gehört, hauptsächlich R’n’B, Lionel Richie, Whitney Houston, solche Sachen. Erst war ich total genervt, weil immer dieser Vibe im Raum war. Meine Mutter ist mit ihrem Afro durch das Zimmer gelaufen, hat mich gepackt, mitgezogen, wollte mit mir tanzen. Für kleine Jungs ist das ziemlich uncool. Es hat mich aber trotzdem sehr geprägt. Ich habe akustisch viel inhaliert, schließlich ist meine Mutter auch Gospel-Gesangslehrerin.
Wann kam deine Faszination für HipHop?
Als ich „Fight The Power“ von Public Enemy hörte und dachte „Das ist richtig cool.“ Ein Kumpel hat mir das gezeigt. Zu der Zeit haben wir noch mit unseren Ninja Turtle-Figuren im Sandkasten gespielt und irgendwann ist er mit Public Enemy angekommen. Ganz krass war für mich aber Ice-T und seine Band Body Count. Die Energie dieser Band hat mich total fasziniert. Das war mein Shit. Aber damals habe ich nie darüber nachgedacht, aus Rap eventuell mal eine Karriere zu machen. Für mich war das nur Spaß. Wenn ich meine Achillessehnenentzündung nicht hätte, wäre ich heute Leistungssportler.
Was genau?
Sprint, 100 Meter-Lauf.
Also ist die Musik nur ein Hobby?
Ich habe es nie als eine Karriere gesehen. Ich muss nicht alle Medien-Mechanismen aktivieren, um davon ordentlich zu leben. Das ist für mich keine Lebensplanung. Ein Künstler stirbt, sobald er zum Dienstleister wird. Man darf nie den Unterschied zwischen „machen müssen“ und „machen können“ vergessen. Ich will machen können.
Von einem Hobby kann man aber nicht wirklich leben, oder?
Ich studiere gerade Architektur. Den Leistungssport habe ich abgeschrieben, da ich verletzt bin. Ein Journalismus-Studium habe ich auch abgeschlossen. Musik machen ist für mich also wirklich eine Art, sich kreativ zu entfalten. Alle Nebeneffekte, die dazu gehören, sei es finanzieller Natur oder anderer, nehme ich dankend an. Mit Nebeneffekten meine ich aber nichts Negatives, sondern das, was mein Hobby mit sich bringt: Man hat Auftritte, fährt irgendwohin, lernt Leute kennen, daraus entwickeln sich Freundschaften, man darf Platten releasen—das sind alles positive Nebeneffekte.
Warum wolltest du Architektur studieren?
Architektur ist Kunst gepaart mit naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten, eine vollendete Tatsache, die sichtbar ist. Das fasziniert mich. Genauso wie in der Musik mag ich es, von Grund auf Sachen aufzubauen. Ich habe eine Vorstellung und diese Vorstellung will ich umsetzen. Ich schaue mir die Deutsche Oper in Berlin an und frage mich, ob der Architekt eine Praline im Kopf hatte, als er das Projekt entwickelt hat. Dann gehe ich rein und sehe, dass die Bühne in der Mitte steht, der Architekt alles so aufgeteilt hat, dass der Sound jeden Winkel gleichzeitig erreicht. Total krass. Mich faszinieren diese ganzen Etappen. Ich bin ein detailverliebter Mensch und liebe es, den Leuten eine komplexe Tatsache hinzulegen, über die Menschen später reflektieren können.
Was würdest du denn am liebsten bauen?
Ich interessiere mich sehr für Skelettbau. Es ist offen, hat aber eine Ästhetik, die irgendwo diese Charakteristik wiederspiegelt. Und man kann die Arbeit sehen. Das finde ich nice.
Meinst du denn, dass du durch deine Vielfältigkeit „nur“ als Underground-Künstler bekannt bist? Und fühlst du dich von der Szene als ein solcher akzeptiert?
Was ist Underground? Ich finde, sobald man als Underground-Künstler abgestempelt wird, ist man sofort unterbewertet und wird kategorisiert. Ich bin ein MC. Was die Akzeptanz betrifft: Ich beschäftige mich nicht viel mit der Szene, bin nicht täglich am herumklicken, aber ich merke, dass Leute mit denen ich cool bin auch cool mit mir sind. Wenn ich irgendwo auftrete, merke ich, wie viele Leute auf mich zukommen, was wiederum daraus resultiert, dass man unterschätzt wird und das wiederum ist eine Tatsache, die durch diese Kategorisierung „Underground“ und „Mainstream“ entsteht. Wenn Leute auf der Bühne sehen, wie ich 40 Minuten richtig hartes Programm mache, kommen sie danach auf mich zu und fragen: „Hey, warum sieht man dich nicht in den Medien?”.
Und wie erklärst du das den Leuten dann?
Weil ich mich nicht anbiedere. Ich will hier auch keineswegs anderen Künstlern unterstellen, dass sie sich anbiedern, aber viele sagen eben: „Ich will mit meinem Shit fett Cash verdienen“. So geh ich an die Sache aber nicht heran.
Wie gehst du denn an die Sachen heran?
Sobald ich einen Beat habe, interessiere ich mich dafür, in dem Moment etwas zu schaffen, was für den Beat dope ist. Ich will mich steigern, will immer besser werden.
Also ist es kein Wunsch von dir, groß Karriere zu machen?
Ein Wunsch von mir ist es, besser zu werden. Große Karriere, das ist ein Nebeneffekt, eine logische Konsequenz vom Besserwerden. Gut und nicht auf Cash und Hoes aus sein, mein Umfeld gut beobachten und das Ziel haben, besser zu werden—durch solche Eigenschaften kann ich mich kreativ frei entfalten. Dafür brauche ich aber auch einen normalen Job und geregelte Arbeitszeiten.
Also willst du auf jeden Fall eine Karriere als Architekt verfolgen?
Auf jeden Fall. Das ist mein Ding, dafür studiere ich schließlich. Wenn die Musik mir nicht auf die Füße tritt, brauche ich noch ungefähr eineinhalb Jahre. Ich weiß, dass ich mit Architektur Dinge verändern, etwas bewegen kann. Ich möchte den Menschen helfen, ihnen etwas geben, mit dem sie etwas anfangen können. Wenn ich als Architekt irgendwo ein Gebäude hinstelle und sage „Das ist eine Schule“, kann mir keiner diese Idee wegnehmen und ich habe den Leuten damit substanziell weitergeholfen. Es liegt mir am Herzen, den Menschen weiterzuhelfen und gerade Bildung sollte für jeden zugänglich sein.
Du hast vorhin von Publich Enemy und Ice-T gesprochen. Hat dich denn auch Deutschrap-technisch jemand geprägt?
Ganz ehrlich: Viele holen aus oder sind kategorisch und sagen „niemand“. Ich sage: Niemand (lacht)! Ich habe Jungs aus meinem Umfeld, wie Retrogott oder Stef der Crashtest. Mit den Jungs habe ich immer Musik gemacht. Wir haben uns aber nicht geprägt, wir haben uns gepusht, indem wir uns gesagt haben, wie dope die Sachen sind, die wir machen. Dadurch habe ich auch gelernt, nicht immer die erste Line zu nehmen, die mir in den Sinn kommt, sondern abzuwarten—drei Lines später, vier Lines später. Damit ich dann weiß ich: „Das is’ es!“. Ich erlaube es mir, zu behaupten, dass wir uns gegenseitig gepusht haben. Der Push war gleichzeitig die Prägung.
Wie siehst du die deutsche Rapszene?
Ist okay. Die Imitation ist meiner Meinung nach etwas groß. Den USA kann man natürlich nicht aus dem Weg gehen, aber es wird auch hier in Europa zu viel in andere Richtungen geschielt, sei es nach Frankreich oder England. Prinzipiell finde ich Rap auf Deutsch ausgewogen.
Was wird deiner Meinung nach denn imitiert?
Das Gesamtpaket. Die Mainstream-Jungs geben an, was „in“ ist, sagen, man muss eine Frau im Video dabei haben, die ein bisschen mit dem Arsch wackelt… als ob wirklich jeder HipHop-Fan das sehen möchte. Dann gibt es aber die Leute, die aus der Imitation eine Inspiration herausnehmen und etwas Eigenes kreieren.
Machst du das so?
Natürlich kann man sich der Imitation nicht entziehen. Du musst das erst mal aufsaugen, um lyrisch ein Gebäude zu erstellen. Bei mir ist es mittlerweile aber so, dass ich eine gewisse Sicherheit habe, weil ich weiß, was ich mache und meine eigene Vorgehensweise habe.
Mit der du zum Beispiel sehr komplexe und schlagkräftige Reime raushaust. Wie kommt das?
Das kommt aus meinem Camp und liegt an der Zeit, die ich in die Kunst investiere. Ich denke Geduld ist ein Grund dafür, dass gewisse Dinge gut werden. Das, was ich mache, ist ein Resultat aus der Zeit, die ich mir nehme.
In deiner Musik geht es Flow- und Lyrics-technisch ziemlich zur Sache. Du fackelst nicht lange rum…
Ich fackel nicht lange rum, ich fackel dich ab.
Genau das meine ich. Woher kommt diese Neigung zum Battle-Rap?
Durch die Tatsache, dass ich das für mich mache, beschäftige ich mich nur mit meinen eigenen Fähigkeiten. Ich spiele mit mir selber Schach, spiele mit den Worten, mit Metaphern, Anaphern. Ich sehe das als kreative Ausdrucksform, mich interessiert dieses Spiel mit Wörtern. Ich battle also nicht direkt irgendwelche Künstler. Sollte aber einer ankommen, wäre das nicht so gut für ihn.
Was beeinflusst denn deine Herangehensweise, Battle-Rap-artige Lyrics zu schreiben?
Mein Umfeld. In meinem Umfeld wird viel gebattlet, ohne Reime, es geht einfach nur ums Sprüche klopfen. Das wird auch in meiner Familie oft gemacht—alle klopfen gerne Sprüche. Das setze ich dann raptechnisch um. Das ist eine gute Inspirationsquelle, die ich immer gerne nutze, um dann noch einen drauf zu setzen.
Und was ist musikalisch der nächste Move?
Ich arbeite gerade an einer EP mit ein paar russischen Produzenten. Dafür bin ich extra nach St. Petersburg geflogen. Das ist eine krasse Welt, Mann. Als Schwarzer ist es leider Gottes supergefährlich. Ich war aber zum Glück mit den richtigen Jungs unterwegs, die wussten, wo man hingehen kann.
Sprechen die deutsch?
Nein, Renglisch (lacht). Das war ziemlicher Waldorf-Shit. Die Jungs machen aber richtig Welle.
Wann kommt die EP denn?
Im September. Das wird ziemlich hart. Russland hockt noch in den 90ern, was aber gut ist, denn dieses Feeling wird in die Musik übertragen, dieses Boom Bap, das Langsame, extrem Atmosphärische. Ich hätte auch Bock gehabt, zu sehen, was in England oder so geht. Aber Gott sei Dank sind die Jungs auf mich zugekommen und haben mich gefragt, ob ich nicht etwas mit ihnen machen möchte. Die haben mein Video zu „Bauhaus“ gesehen und mir ganz kompromisslos einen Beat geschickt. Dazu ein paar Sätze, die sie mit Google-Translate geschrieben haben: „Wir machen schmutzigen U-Bahn-Rap“. (lacht) Sie meinten natürlich Ungerground. Ich freue mich schon, die EP zu veröffentlichen. Das wird harter Rap mit viel Energie.
Steine Und Zwiebel ist bei VinDig erschienen. Bestellt es bei iTunes oder Amazon.
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