Es gibt selten Tage, an denen Angela Merkel sowohl an Xavier Naidoo erinnert als auch an Mao Zedong. Mittwoch war so einer. “Die Deutsche Einheit”, sagte die Bundeskanzlerin, “ist ein langer Weg.” Und anders als ein Studium der Geisteswissenschaften kann man sie nicht einfach in der Mitte abbrechen oder wie einen Rapper-Beef begraben, denn: Die Einheit sei “nicht beendet”, sie fordere uns bis heute immer wieder heraus, so Merkel weiter.
Dass die Wandergruppe “Deutschland” allerdings auch 28 Jahre nach der Wiedervereinigung auf dem Weg zu einer “wirklichen Einheit” noch etwas plan- und orientierungslos ist, ja sich noch nicht mal darüber einig ist, wer eigentlich mitlaufen darf und wer nicht, zeigte sich an diesem 3. Oktober aber einmal mehr denn je, trotz oder gerade wegen staatstragender Großevents.
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Wir haben die Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit beobachtet und gesehen, wo sich Deutschland uneins ist wie beim Streit zwischen Bushido und Arafat – und wo nicht.
1. Seltsamerweise haben viele Migranten noch keine Feelz für die Einheit entwickelt
Fast 16,5 Millionen Bürger zählte die DDR 1989. Fast 30 Jahre, eine AfD im Bundestag und Hunderttausende arbeitslose Ostdeutsche später müssen sich Politiker und Politikerinnen nicht fragen lassen, ob sie genug getan haben, um die neuen Bundesländer in die BRD zu integrieren. Aber die Frage der Wiedervereinigung hat mittlerweile eine neue politische Dimension hinzugewonnen: “Einheit” bzw. ihr Gegenteil verläuft inzwischen nicht nur an der Konfliktlinie zwischen Ost- und Westdeutschland, sondern auch an der zwischen weißen, sogenannten Bio-Deutschen und Deutschen mit Migrationshintergrund. Jeder Vierte in Deutschland ist entweder per Definition Ausländer oder hat einen Migrationshintergrund. Fühlen sich diese heute so sehr als Teil von Deutschland, dass von Einheit gesprochen werden kann?
Die Antwort lautet: nicht wirklich.
Migrantenverbände und der Zusammenschluss “Neue Deutsche Organisationen” haben den Tag der Deutschen Einheit genutzt, um einen “Tag der Vielfalt” zu fordern. Die türkische Gemeinde, Schwarze Menschen in Deutschland und zahlreiche weitere Organisationen argumentieren, dass auch die Einwanderungsgesellschaft einen symbolischen Akt brauche und die gesellschaftliche Vielfalt in Deutschland anerkannt werden müsse. Sogenannte “Bindestrichdeutsche”, also Menschen mit Migrationshintergrund, würden sonst oft vergessen. In einem Land, in dem das Aufliegen immer neuer rechtsextremer Terrorzellen alle paar Jahre wohl kaum für die nötige Nestwärme bei allen Menschen sorgt und selbst der Heimatminister Probleme hat, “Heimat” zu definieren, ist das sicherlich nicht die allerschlechteste Idee.
2. “Den Osten? Nehmen wir gerne, aber lass uns mit der Musik in Ruhe!”
Was haben Hagen, Ludwigsburg und Stuttgart gemeinsam? Richtig, eine enorm hohe Feinstaubbelastung, das fragwürdige Glück, nicht von der Roten Armee befreit worden zu sein, und so musikalische Stadtkinder wie Nena, Philipp Poisel und Afrob (Teilzeit-Stuttgarter) in ihren Annalen zu haben. Die drei traten gemeinsam mit ihren ebenfalls westdeutsch sozialisierten Kollegen Namika, Samy Deluxe, Megaloh und Patrice beim #1HEIT-Konzert in Berlin auf. Vielfalt wie beim Lollapalooza, aber ostdeutsche Musikerinnen? Fehlanzeige.
Nun hätte es gute Gründe gegeben, die gegen einen Auftritt von Tokio Hotel, Jennifer Rostock oder der Ostrockband Silly sprechen. Ihre Musik etwa. Aber diese Gründe gibt es bei Poisel und Nena auch. Und die durften trotzdem unter dem #1HEIT vor dem Brandenburger Tor singen.
Das Denkmal hatte mit dem Künstler JR zudem noch ein Franzose mit einem großen schwarz-weiß-grauen Historiendruck eingedeckt. Die Tape-Art-Künstler zwischen Erfurt und Schwerin kleben einen Tag später graue Trauer.
3. Für Tausende heißt die Einheit feiern: gegen rechts demonstrieren
Feiertage sind wie eskalierende Facebook-Einladungen: Man kann sich seine Gäste nicht aussuchen. Schon seit der ersten Ausgabe “feiern” auch Deutschlands Rechtextremisten den 3. Oktober. In diesem Jahr hatten sie bereits im Frühling angefangen, für ihren “Tag der Nation” und eine zweite ebenfalls rechte Demonstration zu mobilisieren. Es sollte eine Machtdemonstration werden, die Veranstalter erwarteten Tausende Merkel-muss-Weg-Rufer.
Am Ende wurden es 1.000 bis 2.000 Neonazis, die je nach Schätzung mehrere Hunderte Gegendemonstrierende begleiteten. Statt als geschichtsbewusst fiel die Veranstaltung aber als geschichtsvergessen auf: Mehrere Teilnehmer zeigten den Hitlergruß. Motto: aus Chemnitz und 1945 nichts gelernt. Die Polizei ermittelt bereits gegen einen von ihnen.
Mindestens zehnmal mehr Demonstranten fanden sich zur selben Zeit in München zusammen, um gegen rechts und für eine tolerante Gesellschaft zu demonstrieren. Die Veranstaltenden von #JetztGilts sprechen sogar von über 40.000 Teilnehmenden. Wie viele Deutsche den deutschesten aller Feiertage mit Netflix oder offenen Deadlines verbrachten haben, konnte bislang nicht ermittelt werden.
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