Popkultur

Tagebuch eines Teenagers: Ein 19-Jähriger zeigt uns, was er an einem Tag online so alles macht

Teenager lieben das Internet, und das Internet liebt Teenager. In meiner Jugend musste mein Vater unseren WLAN-Router mit auf die Arbeit nehmen, damit ich überhaupt Hausaufgaben machen konnte. Umfragen bestätigen, was wir längst wissen: Jugendliche verbringen mehr Zeit online als mit ihren Eltern. Etwa drei Stunden täglich sind es laut einer DAK-Umfrage bei 85 Prozent der Deutschen zwischen 12 und 17 Jahren.

Darüber gibt es schon viele Meinungen, nicht wenige äußern sich hochgradig besorgt um die Zukunft der Generation Internet. Statt über die “Jugend von heute” zu schreiben, wollen wir lieber mit ihr schreiben. Also haben wir den 19-jährigen Leo Bhanji gebeten, einen Tag lang sein Internetverhalten zu dokumentieren. Bhanji arbeitet als Model und Musiker in London, in Großbritannien verbringen Jugendliche sogar noch mehr Zeit online als in Deutschland.

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8 Uhr: Ich wache auf und checke sofort mein Handy. Ich wünsche meinem Kumpel Manuel auf WhatsApp alles Gute zum Geburtstag und schlafe dann weiter, weil ich heute nicht arbeiten muss

12 Uhr: Ich werde wach, stehe auf und schaue sofort wieder aufs Handy. Erst checke ich Instagram, dann Twitter und dann Reddit. Für das Online-Kartenspiel Hearthstone kamen neue Karten raus, also spiele ich drei Runden auf dem Handy. Ich will so viel wie möglich spielen, um zu sehen, welche Decks beliebt werden und wie man sie schlägt.

13 Uhr: Ich schicke meinem Kumpel ein “GamersRiseUp”-Meme.

14 Uhr: Inzwischen bin ich eigentlich durchgehend online. Später werde ich ein Video drehen, also verbringe ich viel Zeit damit, Leuten über Social Media Details dazu zu schreiben. Aber die ganze Organisationsarbeit macht mich nervös, also lege ich mein Handy weg, um einen Song aufzunehmen.

15:39 Uhr: Ich mache eine Aufnahmepause und laufe ein bisschen rum, also bin ich gleichzeitig wieder auf Social Media unterwegs.

16:40 Uhr: Ich checke meinen Gruppenchat. Ich poste den Promo-Clip zum neuen Song eines Freundes in meine Instagram-Story. Außerdem lade ich dazu ein Foto von ihm hoch, auf dem er süß aussieht, weil: bester Mann.

17:10 Uhr: Ich teile online ein wenig Musik und schreibe ein bisschen Blödsinn in den Gruppenchat.

18:51 Uhr: Ich schreibe den Kommentar “Oh Junge” unter den Instagram-Post eines Freundes.

19 Uhr: Ich fange an, mein Video zu drehen. Als es fertig ist, lade ich es in meine Instagram-Story.

23 Uhr: Ich spiele das Onlinegame League of Legends mit meinem Dad. Wir verlieren beide Runden.

https://www.instagram.com/p/BkGEJn2gFYd/?taken-by=leobhanji

Nach seiner Niederlage bei League of Legends telefoniere ich mit Bhanji, um ihn über sein Verhältnis zur virtuellen Welt auszufragen.

VICE: Wie fühlst du dich normalerweise, wenn du online bist?
Leo Bhanji: Ich bin ehrlich gesagt sehr stolz auf meine Internetpräsenz. Es ist manchmal einfacher, Sachen online zu posten, als sie im echten Leben vor anderen auszusprechen. In vielerlei Hinsicht macht einen das mutiger.

Du musstest mit der Orga-Arbeit für deinen Videodreh aufhören, weil du unruhig wurdest. Hat dich das Online-Sein so nervös gemacht?
Es kann was damit zu tun haben, dass ich an meinem Handy war. Wenn ich eine Benachrichtigung kriege, dann heißt das für mich, dass wahrscheinlich jemand Informationen von mir braucht, und dann denke ich: “Shit, da muss ich jetzt drauf reagieren.”

Verbringst du die meiste Online-Zeit nur mit planlosem Scrollen?
Definitiv. Ich habe ADHS, also kann ich schlecht aufhören, wenn ich erst mal anfange zu scrollen. Aber ich habe einen richtigen Self-Care-Plan, den ich befolge.

Wie sieht der aus?
Ich folge keinen Sachen, die meine Stimmung drücken. Ich passe immer auf: “Macht mir dieser Content gerade Spaß?” Wenn es mir nicht gut tut, dann folge ich nicht mehr, sonst sehe ich das Zeug ja zehnmal täglich. Das ist so negativ, dabei ginge es ja viel besser.

Würdest du gern weniger Zeit online verbringen?
Ich weiß nicht, weil das Internet für mich eben das Medium ist, das man braucht, um mit anderen in Kontakt zu treten. Ältere Leute sagen meist sowas wie: “Ich bin durchgehend erreichbar und habe nie mal ein bisschen Privatsphäre.” Aber ich bin ein einsamer Mensch und lebe relativ weit draußen, also bin ich froh, dass ich Leute kontaktieren kann, auch wenn ich gerade keine Lust habe, eine Stunde zu ihnen zu fahren.

Was ist das Beste am Internet?
Du kannst sozial sein und ein erfülltes Leben haben, egal wo du dich befindest. Außerdem ist es heute für Künstler nicht mehr nur eine Glückssache, ob sie Aufmerksamkeit bekommen. Wenn du gut genug bist, wirst du online immer eine Plattform finden.

Wie hat sich das Internet verändert?
2012 drehte sich alles hauptsächlich um Facebook und Blogs, die zu einem Fandom gehörten. Die Leute nutzten keine Klarnamen, sondern gaben sich Pokémon-Nicknames oder etwas ähnlich Albernes. Damals waren die Menschen, die sich online aufhielten, noch zynischer und frustrierter angesichts der Weltsituation. Das Internet galt früher als der letzte Zufluchtsort für alle, die im echten Leben niemanden haben, und nicht unbedingt als cooler Ort

Würdest du heute gern etwas am Internet ändern?
Die Leute wollen wissen, wie es sich anfühlt, jemand anderes zu sein. Heute könnten sie das, aber trotzdem macht es niemand so richtig. Stattdessen bleiben die meisten einfach bei ihren alteingesessenen Meinungen und Sichtweisen. Ich begegne oft Menschen, die ganz anders reagieren, als ich es in der Situation tun würde – aber kaum jemand kommt darauf zu hinterfragen, ob die eigene Reaktion wirklich die einzig richtige ist.

Glaubst du, dass deine Beziehung zum Internet für immer so bleiben wird?
Ich werde immer Feedback und Bestätigung von Menschen wollen, aber ich glaube, online sein will ich nicht für immer. Ich habe Ziele in meinem Leben, die es notwendig machen, dass ich diese ständige Vernetzung mal beiseite schiebe und mich auf eine kleinere Welt konzentriere.

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