Jeder, der auf irgendeine Form des Fetisch-Sex steht, zieht sich irgendwann “Kampfspuren” zu. Wenn zum Beispiel Fesselspiele dein Ding sind, dann sind das die Abdrücke auf deinen Handgelenken. Lederpeitschen und -paddel führen zu blauen Flecken und falls du auf noch extremere BDSM-Varianten abfährst, dann stehen bestimmt auch Sachen wie etwa Brandings, Narben oder andere Body Modifications auf deiner Liste. Die Mehrheit dieser Blessuren verschwindet nach einer gewissen Zeit wieder, aber ein paar Menschen wollen auch eine permanente Erinnerung an ihr Sexleben. Und genau diese Leute haben sich inzwischen der Welt der Tattoos zugewandt.
“Mich turnt es richtig an, wenn ich meinem Kätzchen eine Tätowierung steche”, erzählt Allan Crowder, ein 33-Jähriger aus dem US-Bundesstaat Georgia, der seiner 24 Jahre alten Frau Virginia im gemeinsamen Schlafzimmer schon mehrere Tattoos verpasst hat. Für die beiden ist das Ganze so etwas wie ein Vorspiel-Ritual. “Sie ist hilflos und gleichzeitig so stark. Wenn sie schwer atmet und vor Schmerzen und Lust stöhnt, dann komme ich richtig in Fahrt.” Virginia zufolge haben die Tattoos ihre Beziehung mit Allan noch weiter intensiviert. “Ich finde, dass das Ganze mein Vertrauen zu ihm stärkt. Letztendlich erfüllt mich unsere gemeinsame Freude und Liebe bis in die Haarspitzen”, erklärt sie.
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Jeder Mensch mit Tinte unter der Haut kann sicherlich bezeugen, wie sinnlich das Stechen eines Tattoos ist. Wenn dich eine Nadel penetriert, dann ist diese Erfahrung mit Endorphinen verknüpft und der Schmerz- bzw. Angstfaktor kann etwas Aufregendes oder gar Erotisches an sich haben. In einer Beziehung mit Dominanz-Unterwürfigkeit-Dynamik geht dieses Erregung jedoch über das körperliche Empfinden hinaus.
“Sie stehen auf die ganze Interaktion”, sagt Dulcinea Pitagora, eine in New York lebende Therapeutin mit Fetisch-Schwerpunkt. “Und sie mögen die Intimität dieser Erfahrung. Ein weiterer Aspekt könnte die Dauerhaftigkeit eines Tattoos sein. Wenn man ein so etwas Permanentes macht, dann verbindet das natürlich auch dementsprechend stärker.” Laut Pitagora sind Tattoos für die dominanten Beziehungspartner heutzutage der gängigste Weg, ihre Subs zu markieren. An zweiter Stelle folgen dann die sogenannten Scarifications.
“Wenn mich mein Daddy tätowiert, dann bin ich im siebten Himmel”, erzählt Candie, eine 38 Jahre alte Frau aus New Jersey, die sich sowohl als Domina als auch als Sub identifiziert. Vor fünf Jahren verzierte der Mann, mit dem sie schon seit langem zusammen ist, ihre Oberschenkel mit Kirschen sowie einem Banner mit den Worten “Daddy’s Girl”. Seitdem hat “Daddy” ihr aber auch noch weitere Tattoos gestochen—zum Bespiel das Wort “Slut” über ihrem Schritt.
“Die Person, die tätowiert, steht hoffentlich ebenfalls auf Nadel- bzw. Tattoo-Spiele sowie auf das Gefühl, die Haut des Partners bzw. der Partnerin mit einer Nadel zu penetrieren.”
Eine solche Variante der Beziehungsdynamik ist zwar nicht gerade üblich, aber sie kommt doch öfter vor, als man vielleicht denkt. In Dom-Sub-Verhältnissen befindet sich der unterwürfige Partner manchmal im “Besitz” seines Gegenüber. Ein Tattoo oder ein nicht dauerhaftes Zeichen wie etwa ein Halsband kann diesen vereinbarten Besitz symbolisieren. “Das Verlangen, als Leinwand für meine Herrin zu fungieren, hat sich nach einer langen und emotionalen Reise der Selbstfindung entwickelt”, schreibt mir die 24-jährige Studentin Cynthia in einer E-Mail. Für sie ist der Wunsch nach einem Tattoo eng verbunden mit dem Wunsch, der Besitz der Beziehungspartnerin zu sein. Derzeit sucht sie nämlich nach einer Herrin, für die sie als Leinwand herhalten darf.
Das Tätowieren einer menschlichen Leinwand ist aber kein einseitiges Vergnügen. “Die Person, die tätowiert, steht hoffentlich ebenfalls auf Nadel- bzw. Tattoo-Spiele sowie auf das Gefühl, die Haut des Partners oder der Partnerin mit einer Nadel zu penetrieren. Das kann man nämlich wirklich spüren”, erklärt Pitagora. “Außerdem ist da sehr wahrscheinlich Blut im Spiel. Manche Leute stehen ja auch auf so etwas.”
Leider besitzen viele Menschen mit einem solchen Tattoo-Fetisch weder hochwertige Tätowiermaschinen noch die Fähigkeit, wirklich sauber zu stechen. So weicht man oft auf billigeres Equipment aus oder setzt auf die Stick-and-Poke-Variante. Die 22-jährige Wolf aus Detroit hat zu Weihnachten eine Tätowiermaschine bekommen und bringt sich derzeit selbst bei, sie richtig einzusetzen. “Ein Freund hat mir gezeigt, wie man die Maschine anschaltet”, sagt sie. “Ich übe zwar noch viel auf Obst, aber ich habe auch schon drei richtige Tattoos gestochen. Eine junge Frau aus Kalifornien will sogar zu mir kommen und mir ihren ganzen Körper zur Verfügung stellen.”
Eine solche Art der Hingabe und Unterwerfung ist natürlich nicht jedermanns Sache. Da Tätowierungen neben anderen Body-Modification-Formen in der Gesellschaft aber immer normaler werden, liegt es nicht allzu fern, dass auch dieser Fetisch irgendwann nichts Besonderes mehr ist. Die Veränderung des eigenen Aussehens im Zuge einer sexuellen Beziehung stellt ja auch nichts Neues mehr dar.
“Wenn man von seinem Partner eine körperliche Veränderung wie etwa eine Brustvergrößerung bekommt, dann trifft man ja ebenfalls die Entscheidung, den Körper aus sexuellen oder romantischen Gründen zu modifizieren”, sagt Pitagora. “Zwar steckt bei Fetischen immer etwas mehr Absicht dahinter und sie sind auch bewusst ritueller, aber im Grunde unterscheidet sich die Fetisch-Welt gar nicht mal so sehr von der echten Welt.” Aber was passiert, wenn eine solche Tattoo-Fetisch-Beziehung in die Brüche geht?
“Tätowierungen, die mir ein Herr sticht, wären mir im Falle einer Trennung ziemlich egal”, meint Chloe, eine 41-jährige Sub-Partnerin. “Ich würde das Tattoo dann einfach als schöne Erinnerung ansehen oder es entfernen lassen.”