Wenn man ältere Menschen nach dem Rapper Tatwaffe fragt, dann denken die meisten von ihnen an den Song „Die Eine”, diesen Meilenstein des leicht nach Softporno und billigen Rosen vom Verkäufer in der Kneipe duftenden Beziehungssongwritings. Fair enough. Aber eben auch fragwürdig. Wer leise „…die Eine, die Eine oder Keine” mitsummt, der baut auch einen Weg aus brennenden Discounter-Teelichtern von der Haustür bis zum Bett, um seine Angebetete zu bezirzen. Irgendwie wirkt das auf mich immer wie die Vorbereitung zu einer rituellen Entjungferung und Tatwaffe hat den Soundtrack dazu geschrieben. Aber nun gut, das sind meine privaten Probleme, die wollen wir nicht Der Firma anlasten.
Wenn ich wiederum an Tatwaffe denke, dann erinnere ich mich an die Szene aus dem „Ganxtaville Pt.3″-Video („Tu mir den Gefallen und bleib Gangster”), in dem DJ Tomekk versucht, mit einem Baseballschläger zu posieren und den Knüppel im Überschwang auf Tatwaffes Kopf niedersausen lässt. Warum die Szene im Video blieb, wurde bis heute nicht geklärt, schön ist sie allemal, immerhin ist es der realste Moment in dem gesamten Video.
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Seitdem sind einige Jahre ins Land gegangen. Rap hat sich dezent weiter entwickelt („Früher war alles besser, mimimi…”) und Tatwaffe entschloss sich, es wäre an der Zeit mal wieder die heißen Rhymes zu kicken. So weit so gut. Warum nicht, dachte sich der ein oder andere, tut ja niemandem weh. Weit gefehlt. Bereits mit „Bikini” strafte TAT, wie ihn Homies nennen, all diejenigen Lügen, die der Meinung waren, das Album mit dem funky Titel Sternenklar (10/10 für das Artwork) würde komplett in der Versenkung verschwinden. Bei Reimketten wie „Du bist ein praktisches Mädel/Und ich will deine Rundungen abfahren wie Sebastian Vettel” bleibt einfach kein Auge trocken. Der Reim ist fett, der Reim ist fett. (Kleiner Tipp: Als Ausgangsline wäre vielleicht „Du bist so hardcore wie Metal” besser geeignet gewesen.) Wie auch immer, spätestens wenn Ado Kojo „Träum’, dass ihr Bikini endlich reißt, sie trägt ihn in rot, in blau, in weiß” trällert, ist alles aus. Völlige Extase. Das Video, angelehnt an günstige Eiscreme-Spots und schiefgegangene Firmen-Rapsongs, ist dann nur noch Garnitur. Also quasi die braungebrannte Mokka-Bohne. (*BürgerLarsDietrichVoice*).
Eigentlich wäre es alles auch gar nicht weiter tragisch, wenn MC die Schuld nicht dauernd bei anderen suchen würde. Egal ob die JUICE, unwürdige Praktikanten oder (im neuesten laut.de-Interview) auch einfach mal „die HipHop-Medien” an sich. Diese „halten nämlich HipHop klein”. Also den realen Scheiß zumindest. Denn TAT ist immerhin einer der Erfinder. „Wenn ich dann noch denke, dass ich das Ding mit angefangen habe und dass ohne mich—und andere auch, inklusive Beginner und AZAD und wer sonst noch alles da war am Anfang—das so in der Form gar nicht entstanden wäre, dann blutet mein Herz wirklich für Hip Hop in Deutschland” grummelt er vor sich hin. Rucksack-Alarm halt. Als ob es ein Recht auf Relevanz geben würde. Das Tatwaffe ein Urgestein der Kategorie Stieber Twins oder Curse ist: keine Frage. Was seinen musikalischen Output angeht, ist beispielsweise ein Vergleich mit AZAD jedoch ziemlich fragwürdig. Der Rest des Interviews verdient zwar eigentlich den Stempel „Tl;dr”, aber ich habe euch dennoch die ein oder andere Perle (und wir reden nicht von Tatwaffes Bikini-Schönheiten) aus den Untiefen des chlorverseuchten Schwimmbeckens gefischt.
In bester Fler-Tradition ist Tatwaffe sich nämlich sicher, dass er zurückgehalten wird und das ist leider kein Twitter-Joke. Die JUICE hätte nicht mal erwähnt dass er ein Album draußen hat. Dass das zu seinem Besten sein könnte, kommt ihm nicht in den Sinn. Andere Medien würden sich über die schier unendliche Tracklist beschweren und den gängigen Formaten fände er kaum statt. Dann wird noch kurz über über Gangster-Rapper geredet und festgestellt, dass „richtige” Gangster nicht darüber rappen würden, was sie Kriminelles verzapfen. Selbstverständlich nur, um gleich wieder versöhnlich zu werden: „Es gibt immer einzelne Sachen, wo ich sage: Boah, richtig gut gemacht!” Danke. Die Street-Camps der Republik werden ab jetzt beruhigter schlafen. Ihr habt gemerkt: Wie man’s macht, macht man’s falsch, zumindest wenn man Tatwaffe heißt.
Richtig amüsant wird es dann, wenn er sich zu dem massenhaften Hate unter seinem „Bikini”-Video äußert. Das hat nämlich nur damit zu tun, dass „Deutschland unlocker ist”, nicht etwa mit einer Hook für die sich sogar G-Style fremdschämen würde, einem eindimensionalen Text oder gar einer kartoffligen Weltgewandheit, die nicht zu unterbieten ist. In seinem „Disslike”nimmt Tatwaffe dazu genauso Stellung wie in unzähligen Facebook-Posts. Legendär bereits sein Statement zu einer moderaten Review von Backspin mit dem abschließenden Satz „Am Ende zählt nur, was meine Hörer, Freunde und Fans von dem Album halten, aber dazu gibt es nachher noch ‘nen Post.” Das ist zwar nett, uns derart vorzuwarnen, aber bitte nicht.
Um Tatwaffes Vorurteile zu bedienen: Ich habe das Album natürlich nicht gehört. Aber ich kenne Leute, die es gehört haben und musste mir die aktuellen Videos angucken. Das muss reichen. Es geht ja auch weniger um sein Album, als um sein Gefühl, von allen Seiten Steine in den Weg gelegt zu bekommen. Dabei erinnert er teilweise an „Keiner gönnt mir was”-Koryphäen wie Fler oder J-Luv. Leider fehlt ihm aber das Charisma, um dabei noch unterhaltend zu wirken. Its a hard knock life. Aber T zu dem Atwaffe möchte viel lieber über sein Album reden. Da wird aus Tl:dr ganz schnell „Too long; didnt heard”. Natürlich sind 80 Minuten Spielzeit eine ganz dolle Angelegenheit, vor allem wenn man einen Track für jedes Individuum dieser Welt produziert hat. Oder um es mit den Worten von LGoony zu sagen: „Ein Track für den Club/Ein Track für die Girls/Ein Track für die Jungs/Ein Track an die Hater/Ein Track über Jugend/Ein Track über…”
Leider hat LGoony die Bikini-Girls vergessen, die Straßenjungs, die verliebten Pärchen, die Autofahrer, Naturverbundenen und die traurigen Einzelkämpfer. Zum Glück hat Tatwaffe an sie gedacht und gefühlt jedem einen Track gewidmet. Das ist Fanverbundenheit. Noch ein abschließender Satz aus dem unerschöpflichen Repertoire des Großmeister? Gerne: „Dadurch, dass ich weiß, wer ich war, weiß ich immer noch, wer ich bin. Weil sich nicht viel verändert hat.” Word! Und Sorry. Das musste jetzt mal raus.
Fotos: Groove Attack