Foto: Marcin Floryan
Am ersten Mittwoch im Monat trifft sich die Freifunk-Community, eine Bande wilder Internet-Anarchisten, die das Internet der Macht großer Firmen entreißen wollen. Zur „dunklen Seite“, wie sie es nennen, gehören für sie unter anderem die Werbebranche, der BND und Google. Der Freifunkprofi „cven“ erzählt mir, dass ihn unsere Doku Free the Network sehr beeindruckt hat. Er will sie gleich den Anderen auf der Großleinwand zeigen. Man merkt sofort, dass diese Menschen eine ähnliche Mentalität wie Isaac Wilder aus dem Video haben. Sie rufen schockiert auf, als die zerstörten Laptops gezeigt werden und schmunzeln bestätigend, als er von den Soundeffekten spricht, die er in seinen Antennenkoffer einbauen wollte, wenn die Zeit dafür gereicht hätte.
Videos by VICE
cven und ein abgespaceter Außerirdischer heißen mich bei den Freifunkern willkommen
„Wir wollen Berlin mit einem freien Internet erobern“, beginnt cvens Kollege „booster“ seine kurze Vorstellung vom Freifunk. Freifunk soll möglichst Vielen das Internet frei und kostenlos zur Verfügung stellen. Das Freifunk-Netzwerk basiert auf der W-LAN-Technik. Einzelne Geräte bilden dabei ein Netzwerk und transportieren das Internet von einem Knotenpunkt zum nächsten, damit auch weiter entfernte Orte erreicht werden können. Cven erzählt von den Anfängen des Freifunks. Er sei in Berlin entstanden, weil die Telekom aufgrund von Streitigkeiten mit anderen Firmen lange keine DSL-fähigen Kabel in Friedrichshain verlegte. Deswegen schlossen sich ein paar Leute zusammen, um das Breitband-Internet auch in diesen Stadtteil zu bringen. Man nutzte eine Richtantenne, die mit dem Internet verbunden war, um das Signal in die Nachtbarschaft zu senden. Dann wurde das Internet von Router zu Router oder Laptop zu Laptop weitergereicht, um so auch Orte zu erreichen, die bisher davon abgeschnitten waren. Sollte ein Knotenpunkt im Netzwerk ausfallen, übernimmt ein anderer dessen Aufgabe.
Heute wird Freifunk vor allem durch die „Störerhaftung“ erschwert, was bedeutet, dass nach deutschem Recht immer derjenige für alle Aktivitäten eines Internetanschlusses verantwortlich ist, unter dessen Namen es angemeldet ist. Falls also die Musikindustrie jemandem unter der IP-Adresse eines Freifunk-Anschlusses bei der Musikpiraterie erwischt, muss der Antennenbetreiber den Kopf dafür hinhalten. Doch auch dafür haben die Freifunker bereits eine Lösung gefunden. Freifunker „wetterfrosch“ erklärt mir, wie man sich gegen Abmahnanwälte, die die Störerhaftung ausnutzen, zur Wehr setzt: „Wenn ich nicht will—wenn Leute Filesharing machen—, dass ich eine Abmahnung bekomme, dann leite ich den Datenverkehr um.“ Für schwedische oder polnische IP-Adressen interessiert sich kein deutscher Abmahnanwalt. Auch eine Genossenschaft will wegen der ungeklärten Rechtslage keiner verklagen, deshalb gründen manche Freifunker eine Gesellschaft, die für den Datenverkehr verantwortlich ist.
booster zeigt uns eine alte, ausgediente Antenne, heute sieht so etwas weniger spektakulär aus
„Die Netze sind dann in Bürgerhand, sind nicht kontrollierbar, weder vom Staat, noch von irgendwelchen Unternehmen. Sie sind frei.“ So erklärt der am Freifunk interessierte Occupy-Wedding-Blogger Felix seine Motivation, die Verbreitung des Internets selbst in die Hand zu nehmen, anstatt es einfach aus der Steckdose zu konsumieren. Als ich frage, ob die Telekom nicht trotzdem einfach den Internet-Hahn abdrehen kann, erklärt man mir, dass dies nicht so schlimm sei. Man könne ja trotzdem noch untereinander kommunizieren, man hätte ein privates Netzwerk. Sie sprechen von dezentralem Twitter und Facebook, es scheint so, als wollen sie ihr eigenes Internet aufbauen. Sie wollen ein flächendeckendes Alternativnetz schaffen. Das Internet sei dabei nur ein Zusatz, erklärt mir wetterfrosch. Er stellt klar: „Das Wichtigste ist, dass wir eine eigene Infrastruktur aufbauen.“ Ein befreundeter Freifunker namens André hätte in der Vergangenheit mal einen Bollerwagen, ähnlich des Freedom Towers, gebaut. Doch „jemand ging mit dem Bollerwagen beim Occupy Camp spazieren und kam aber nie wieder zurück“, erzählt ein anderer Freifunker.
Nicht nur Felix fühlt sich der deutschen Occupy-Bewegung zugehörig, auch Freifunker booster stimmt dem zu: „Wenn’s ein bisschen brennt im Staat, dann auf jeden Fall. Es wird immer schlimmer, es wird immer mehr zensiert und geblockt und verfolgt.“ Die Freifunker üben viel Kritik an den derzeitigen Machtstrukturen des Internets: „Das sind Oligopolmärkte. Vier bis fünf große Anbieter für 90-95% der Anschlüsse und das ist halt kritisch. Wenn ich als Staat ausraste, brauch ich mich nur an vier Provider wenden“, beschreibt wetterfrosch die Problematik. Er wünscht sich das nachbarschaftliche, unabhängige Netzwerk. Unabhängig vom Staat und von großen Konzernen soll das Netz den Bürgern gehören. Cven ist da eher begeistert von der technischen Seite der Idee: „Es kamen Leute von außen dazu und auf einmal wurde in die Technik eine politische Richtung hineininterpretiert.“ Auch der Landtagsabgeordnete der Piratenpartei Alexander Morlang ist Mitglied bei den Freifunkern. Seine Partei setzte im Wahlkampf auch auf das Freifunknetz, um Wählerstimmen zu gewinnen. Wenn man sich in ihren „Piratenfunk“ einloggte, wurde man zuerst von einer Willkommensnachricht begrüßt, dem sogenannte „Splashscreen“, der einen zum Wählen der Piratenpartei animieren sollte. Cven betont aber seine politische Unabhängigkeit: „Ich habe kein Parteibuch—Ich bin Freifunker.“ „Es kommt schon vor, dass wir mit dem einen oder anderen Piraten mal ein Bier trinken“, wirft da ein anderer Freifunker ein, da muss cven schmunzeln.
Mitmachen beim Freifunk kann jeder. Die Freifunk-Profis helfen dir gerne dabei, dein eigenes Internet zu teilen, wenn du auf sowas stehst. Cven lacht, als er in die Runde sagt: „Man hat schon über uns gesagt, wir machen Weltraum-Kommunismus. Weltraum statt Wohlfahrt!“ Da liegt er wahrscheinlich gar nicht so falsch.
Wenn ihr mehr über freies Internet wissen wollt, dann schaut euch hier unsere Dokumentation Free the Network an!