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​Ich war als Teenager ein prätentiöses Arschloch und das ist gut so

Wir haben uns schon eingängig mit der Scham und dem Kopfschütteln beschäftigt, das unsere eigenen Tagebücher aus der frühen Jugend in uns nachträglich auslösen. Ich hatte selber nie klassische Tagebücher, dafür aber Notizbücher, die mit vielen mit schlechten Gedichten, affektierten Plagiaten und psychotischen Zeichnungen gefüllt waren—kurz, prätentiöser Pubertäts-Auswurf.

Diese kleinen Büchlein aus meiner pickeligen Schulzeit sind tatsächlich schon über 15 Jahre alt—haben also selbst ein pubertäres Alter erreicht—und stellen ein sehr aufschlussreiches Zeitdokument dar. Ich glaube, wir alle waren oder sind auf die eine oder andere Weise als Teenager selbstgerecht, egozentrisch und arrogant. Oder anders gesagt: Wir sind das, wozu man im Erwachsenenalter dann Arschloch sagt.

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Basierend auf meinem in Buchform offen gelegten Teenager-Hirn habe ich mir einige Gedanken gemacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass diese unausstehliche Zeit nicht nur OK, sondern eine prätentiöse Arschloch-Phase sogar nötig ist.

Es folgen ein paar direkte Ansagen, die ich rückwirkend an mein 17-jähriges Ich richten möchte—und natürlich an jeden, der sich darin wiedererkennt. Das wird jetzt persönlich und sukzessive sehr peinlich, also denkt bitte dran: Genau wie bei Dickenwitzen darf sich nur der Betroffene über sich selber lustig machen—und überhaupt, Steine im Glashaus, ihr wisst schon.

Du bist nicht romantisch und du leidest auch nicht mehr als andere

Gerade in der hormongefluteten Zeit zwischen 13 und 18 fühlt man sich öfters auf profunde Art und Weise alleine. Nicht nur das Empfinden von emotionaler und sozialer Ausgrenzung macht dich zu einer Insel im Teenager-Meer—du glaubst plötzlich auch, ein Alleinanrecht auf Traurigkeit, Angst und Liebe zu haben. Keiner leidet mehr als du und keiner kennt diese Gefühle besser!

Aber Romantik und Existenzschmerz waren, wie mir meine Notizen bewusst machen, letztendlich nur ungeschickte Selbstdarstellung. Man gefällt sich in der Rolle des leidenden Romantikers, aber eigentlich sind die eigene Egozentrik und Beziehungsfaulheit schuld, dass ich kein Mädchen hatte und mich im Selbstmitleid suhlte, weil ich Die Hard III nicht sehen durfte. Und feig war ich sowieso.

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Dieser 16-jährige Dichter, der Cuba Libre saufend plakativ in sein Büchlein kritzelt, in der Ecke des Stammlokals, hatte am Ende eigentlich nur Masturbation und Sex, den er nicht hatte, im Schädel. Das Idealszenario war für mich, dass ein fesches Mädel fragt, was ich da schreibe und dann überrollt von meiner pseudophilosophischen und prosaisch überstilisierten Pein mit mir ins Bett hüpft.

Natürlich wird man das ganze Leben hindurch die eigenen Probleme immer als die wichtigsten wahrnehmen, aber als Teenager fehlt einfach jegliche Einschätzung von Relation. Und Empathie sowieso. China könnte explodieren und trotzdem hätte ich es schlimmer gefunden, dass mir die Roller Bladerin aus der Klasse den Arschlochfinger gezeigt hat.

Ich glaube aber, es ist wie bei Tigerjungen, die spielen, dass sie sich gegenseitig umbringen, um dabei tatsächlich das Töten zu üben: Das Vortäuschen und das Übertreiben tiefgreifender Emotionen bis hin von plumper Romantik hilft uns dabei, unsere Persönlichkeit zu kalibrieren. Esoterisch gesagt ist es sowas wie eine Annäherung an unsere Mitte.

Du bist kein missverstandenes Genie

Der Punkt mit der Egozentrik und dem Inseldenken kann schlimme Ausmaße annehmen. In meinem Fall ging das so weit, dass ich mich anscheinend als barockes Universalgenie verstanden habe—wie auf dieser zeichnerischen Ego-Verherrlichung unschwer zu erkennen ist. (Die jenseitige Frisur und mein ausgebessertes Sterbedatum machen das Bild zum lachhaften Kasperl-Psychogramm und natürlich musste alles auf Englisch ausformuliert sein, weil ich schon das zukünftige, breite internationale Publikum im Kopf hatte.)

Diese Selbstverherrlichung hat dazu geführt, dass für mich jeder kleine Geistesblitz, jede Wortschöpfung oder jedes Gedankenkonzept eine völlig neue, einzigartige Idee zu sein schien, die vor mir noch nie jemand gehabt haben konnte.

Objektiv betrachtet waren meine abgeänderten Bob Marley-Zitate oder rotzfreche Plagiate von Tarantino-Dialogen natürlich wenig originell. Und es war auch kein Wunder, dass sich in der Antike schon mal jemand vor mir Gedanken darüber gemacht hatte, was eigentlich echt und was der Sinn unserer Existenz ist.

Wie unvorstellbar weit ich tatsächlich vom Genie entfernt war, unterstreicht dieser geistige Brechdurchfall: „Es gibt Menschen, die sich mit Verschwörungstheorien befassen. Sie sind es, die wahrscheinlich mitunter diesen Organismus namens System durchschauen, verstehen bzw. erkennen”.

Noisey: Und wirklich lustigst wird es, wenn unsere Teenager-Geschwister heute die Musik aus unserer Teenager-Zeit hören.

OK, Ich glaube, dass es sich bei dieser hochgestochenen Verneigung vor Aluhut-Trägern um einen Monolog für eine Filmfigur handelte, aber eine frühe Faszination mit den Illuminati-jagenden Underdogs schwingen da definitiv mit. „Fuck the system! Ihr seid alle Sheeple!” Die Weltverschwörung ist Frischfleisch für den jungen Irrglauben, dass ich nicht wegen meines pubertären Halbwissens missverstanden werde, sondern aufgrund meines vom System nicht gut verkraftbaren Megaintellekts.

Die Diskrepanz zwischen der lähmenden sozialen Unsicherheit eines kleinen Buben und der schwanzschwingenden Selbstüberzeugung meines Idealichs hat damals so etwas wie ein Fundament für einen später selbstreflektierten selbstsicheren Menschen gelegt. So gesehen also ein nötiges Übel—und ein bisschen Arroganz kann ja auch treibende Kraft für persönliche Projekte und Beruf sein.

Drogen machen dich nicht zu etwas Besserem

Alle diese Punkte hängen ein wenig zusammen oder bedingen sich gegenseitig. Drogen können in so einem heranwachsenden Kopf ganz schön wüten. Ich habe damals alles, was mit Gras zu tun hatte, verherrlicht und kann mich erinnern, dass ich mit ungefähr 17 einem wirklich guten Freund allein aufgrund der Tatsache, dass er kein Interesse am Kiffen hatte, selbstgerecht an den Kopf geworfen habe: „Du checkst ES einfach nicht.”

Was auch immer das „ES” in All-Caps hätte sein sollen—mein Arschloch-Ego in seiner selbstgerechten Coolness bewies, dass ich mir erhabener und erleuchteter vorkam, als andere, die nicht kifften oder die solche Sachen wie Holzrosen, Schwammerl oder LSD nicht kannten. In manchen Phasen während meiner Schulzeit war ich das schlimmste Kiffer-Klischee abseits von Scary Movie oder Dazed and Confused.

Ich verteilte schulmeisterlich Tipps, wie man richtig Drogen nehmen sollte und welche Substanzen denn überhaupt die richtigen für die jeweiligen Menschen wären. Eine Zeitlang durften in keiner meiner Zeichnungen riesige Grasbäume oder großäugige Schwammerl fehlen. Mein Psychologieheft sah aus wie der Schmierzettel von einem 16-jährigen Charlie Manson.

Das Komasaufen dieser Zeit hat auch sehr viel kaputt gemacht, von Erinnerungen bis zu zwischenmenschlichen Beziehungen. Jugendalkoholismus hätte sowieso eine ganz eigene Rubrik verdient. Ich bin jedenfalls froh, dass ich mich nach physisch gefährlichen Highs, den ganzen daraus resultierenden Arschlochaktionen und der Auslotung meiner psychischen Belastbarkeitsgrenzen zu einem halbwegs funktionierenden Mitglied der Gesellschaft entwickeln konnte.

Ich würde Drogen heute definitiv nicht mehr als Muss zur gesellschaftlichen Entwicklung sehen—ich bin ja kein Schamane—, aber man lernt definitiv neue und interessante Dinge über seine Freunde und wie man sich ihnen gegenüber verhält. Arrrrgh, da ist es wieder!

Du hast die Welt und das Universum nicht durchschaut

Ich, der erleuchtete Hormonhaufen mit dem Joint im Mund, glaubte natürlich zu wissen, dass weder Eltern, noch Schule, Politiker oder Wissenschaftler WIRKLICH verstehen, was in der Welt passiert.

Neben meinen erwähnten Verschwörungsliebäugeleien ist sehr auffallend, wie viele schwammig formulierte, gesellschaftskritische und vor allem peinlich weltverbessernd predigende Texte in meinen Notizheften zu finden sind—optisch mehr als schizophren, wenn man sich diesen wirren Bild-Text-Erguss aus dem Amsterdam-Besuch mit 16 hier genauer anschaut.

„Die Mammutbäume des Universums umgeben ein Sein und Werden. Wir, das Ungeziefer, die Maden, laben uns am Wald des Lebens. (…) Liebe die Waldbeere des Mammutbaumwaldes des Seins, wohlschmeckend, doch manchmal giftig”

In seiner unendlichen metaphorischen Plattheit und Dummheit klingt dieser Auszug ja fast schon wieder schön. Abgesehen davon, dass die Sprache sehr bemüht intellektuell und pseudolyrisch klingt, dachte ich echt, dass ich mit dem schwachsinnigen Gerede über Mammutbäume den Blick hinter die Kulissen unserer komplexen Welt freilege.

Noch schlimmer ist es fast, dass ich, der Teenager, die Gier und Falschheit der Welt in schlechten Rap-Texten anprangere und selber der gierigste Sack war. Ich war nicht nur blöd und anmaßend, sondern auch ein Heuchler. Aber die Phase, in der wir uns wie die Gören bei MTVs „Super Sweet Sixteen” verhalten, glauben alle Wichtigkeiten des Lebens bereits zu wissen und dass uns nur das Beste zusteht, ist auch Teil des frühen sozialen Hörner-Abwetzens.

Spätestens nach den ersten paar Malen, in denen dich jemand mit tatsächlichem Wissen konfrontiert und du wie der größte Vollidiot dastehst, setzt zum Glück ein Schuss Demut ein.

Du wirst dich ändern—wenn auch nicht zu 100 Prozent

Die gefühlte Lebenserwartung reicht in der Pubertät ja höchstens bis zur Matura, aber überraschenderweise geht das Leben auch danach weiter und die Drüsenfunktionen drosseln sich. Gemeinsam mit dem peinlichen Fingerschmuck und den hässlichen Kiff-Accessoires verschwanden auch meine selbstverherrlichenden Notizbücher, die ich davor als Spielwiese gebraucht hatte. Obwohl ich mich am Realitäts-Schock meiner Zwanziger halbwegs gesund gestoßen habe, bin ich heute mit 32 immer noch irgendwie der kleine Scheißer von damals.

Aber eben nur halb. Ich habe eine eigene Wohnung und sogar einen Bausparvertrag, aber trotzdem stagedive ich schon mal betrunken auf einen mit Bierflaschen vollgeräumten Glastisch oder lasse im Halbschlaf meine Schuhe auf der Party zurück, um in Socken durch den Regen heim zu schlurfen. Meine Freundin ist saucool und trotzdem esse ich ihr manchmal das Vanilleeis weg—weil es mir zusteht! Und nach einem Joint oder einem Naserl Allerlei kann es immer noch gut sein, dass ich dir die Welt erklären will—natürlich ohne dich zu Wort kommen zu lassen.

Ich habe aber auch immer noch ein bisschen die Hoffnung—und da bin ich sicher nicht der einzige—, dass die eine oder andere Arschloch-Tendenz meiner damaligen präpotenten Persönlichkeit am Weg liegengeblieben ist und nur meine kaputte Jugendlichkeit überlebt hat.

Apropos überleben: Was sich ebenfalls von damals bis heute erhalten hat, ist der Schock über die schwarzblaue Wahl-Watsche. Damals war gerade Schwarzblau zum ersten Mal in der Regierung und wenn man sich heute das Ergebnis in Oberösterreich anschaut, hab ich den Eindruck, wir hätten unsere schönen Sticker mit der Sau direkt nachproduzieren lassen können. Wie gesagt, nicht alles ändert sich.

Es ist nicht alles umsonst

Die Teenager-Zeit ist dein ultimativer Arschloch-Freibrief. Wenn du diese Zeit nicht in vollen Zügen und mit dem vollen Drama durchlebst, kann das meiner Meinung nach richtig schlimm ausgehen. Du bekommst nämlich nie wieder die Chance auf eine zweite Pubertät.

Leute, die aufgrund von körperlichen oder psychologischen Problemen diese Phase ihres Lebens überspringen, werden ziemlich sicher nicht auf dieselbe Art zu „gesunden” Erwachsenen, sondern wachsen eher zu Soziopathen heran. Oder gibt es einen besseren Begriff für Personen mit verkümmertem Empathie-Empfinden, extremen Stimmungsschwankungen und schwerer Egomanie, die aber weit über 18 Jahre alt sind?

Meine Notizen von damals—und dabei besonders solche Schmankerl wie: „Ich will einen Namen für meine Bong klarträumen”, „Was wenn der Himmel gar nicht echt ist” oder: „Ich merke viel aber auch alles”—beweisen mir, dass der Mensch eine Idiotenzeit zum Austoben braucht.

So, wie man als Baby erst zigmal mit dem Gesicht auf den Boden knallt, bevor man krabbeln kann, läuft man beim gesellschaftlichen „Krabbeln”-Lernen auch erst einmal durch alle möglichen Fettnäpfchen und stößt sich an halberwachsener Rhetorik und halbgaren Welterklärungs-Konzepten, bevor man wirklich sowas wie ein bisschen klüger wird.

Irgendetwas muss am Ende auch bei mir richtig gelaufen sein. Immerhin ist ja doch noch ein mehr oder weniger funktionierendes Mitglied der Gesellschaft aus mir geworden—und nicht der dauerkiffende, emotional instabile Verschwörungs-Hippie aus meinen Notizen. Und da gäbe es echt noch einiges an Facepalm-Material.

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