Teufelssprung: Der Brauch, der Babys von Sünde befreit

Seit 1621 feiern die Bewohner des kleinen spanischen Dorfs Castrillo de Murcia in der kastilischen Provinz Burgos am ersten Sonntag nach Fronleichnam das Fest “El Colacho”.

Wie so viele andere spanische Traditionen versteckt auch El Colacho seine heidnischen Ursprünge im Pelz der christlichen Riten. Bei diesem Fest springt ein als Teufel verkleideter Mann über Babys, die im letzten Jahr geboren wurden; es ist wie eine Art Taufe. Dann werden die Babys vom Bischof von Burgos gesegnet. Papst Benedikt XVI war darüber so unglücklich, dass er spanische Priester bat, sich von derlei Feierlichkeiten fernzuhalten, da es sich dabei nicht um anerkannte christliche Riten handle.

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Rodrigo Mena, ein Fotojournalist aus Burgos, der das Fest dieses Jahr dokumentiert hat, war so freundlich, uns ein paar Fragen zu beantworten.

VICE: Hi, Rodrigo. Wie hast du von dieser Tradition erfahren?
Rodrigo Mena: Inzwischen wohne ich in Madrid, aber ich bin in Burgos aufgewachsen, also habe ich von klein auf in den Lokalmedien Berichte über El Colacho gesehen. Allerdings hatte ich vor diesem Jahr nie die Gelegenheit, auch hinzugehen. Ich war in Burgos, und das war natürlich eine gute Gelegenheit, um vorbeizuschauen und mit eigenen Augen zu sehen, was ich schon so viele Jahre lang im Fernsehen und in Zeitungen mitbekommen hatte.

Weißt du, warum es El Colacho heißt? Ich habe gehört, das sei der Name des Dämons, der über die Babys springt, aber wer oder was genau ist dieser Colacho?
Niemand im Dorf kannte den genauen Ursprung des Namens. Sie konnten mir nur sagen, dass es eine Tradition sei, und dass damit vielleicht die Rosshaarpeitsche gemeint sein könnte, die El Colacho in einer Hand hat. [‘Cola’ ist Spanisch für ‘Schwanz’.]

Dem Brauch zufolge trägt El Colacho ein Kostüm mit leuchtenden Farben und einer Maske. Er hält in der einen Hand Kastagnetten und in der anderen die eben erwähnte Peitsche. Damit peitscht er alle, die ihn beleidigen.

Worum geht es bei diesem Ritual denn? Wo genau ist der Sinn darin, einen kostümierten Typen über Babys springen zu lassen?
El Colacho ist die Inkarnation des Teufels, und er springt über die Babys, um sie zu reinigen und ihnen alle möglichen Krankheiten vom Leib zu halten, der Überlieferung nach vor allem Hernien. Am großen Festtag, dem ersten Sonntag nach Fronleichnam, gibt es eine Parade durchs Dorf mit El Colacho, der [katholischen] Bruderschaft [Santísimo Sacramento de Minerva], dem Erzbischof, Tänzern und dem Atabalero, dem Kesseltrommelspieler.

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Jede Tradition hat ihre Kritiker. Gibt es gegen dieses Fest auch kritische Stimmen? Waren vielleicht irgendwelche Leute zugegen, die ein Problem damit hatten?
Ich habe niemanden gesehen, der dagegen demonstriert hat. Der ganze Ort widmet sich dem Fest, obwohl es dieses Jahr stark geregnet hat. Ich sehe das überhaupt nicht als kontroverse Tradition. Sie hat definitiv religiöse Wurzeln, aber es gibt religiöse und nicht religiöse Dorfbewohner, denen das alles gleich viel Spaß gemacht hat.

Würdest du sagen, es handelt sich um eine gefährliche Tradition, oder etwas, worüber man sich empören könnte?
Ich kann nachvollziehen, dass zwei Typen, die als Teufel verkleidet über Babys auf Matratzen springen, auf den ersten Blick sehr wunderlich wirken, aber wenn man es ein paar Mal gesehen hat, findet man daran nichts Kontroverses mehr.

Die Tradition gibt es seit 1621, und in all der Zeit hat es keinen einzigen Unfall mit einem Baby gegeben. Ich habe es dieses Jahr zum ersten Mal live gesehen, und ich konnte sehen, dass der Colacho so abspringt, dass er auf keinen Fall auf eines der Babys stolpern oder fallen könnte.

Findest du, Traditionen sollten von den sich wandelnden Moralvorstellungen einer Gesellschaft unberührt bleiben?
Meiner Meinung nach sollten sich alle Traditionen an unsere Zeit anpassen, genau wie wir als Gesellschaft uns weiterentwickeln, um nicht rückständig zu werden.

Natürlich gibt es die verschiedensten Arten von Tradition. Diese hier ist völlig harmlos, aber andere, bei denen zum Beispiel Tiere oder Menschen leiden, diese Traditionen sollte man ändern oder sogar abschaffen.

Für die Eltern, die ihre Babys dort hinbringen, muss es wohl ein ziemlich wichtiger Brauch sein.
Dieses Jahr ist El Colacho über etwa 100 Babys gesprungen—es ist also wirklich eine wichtige Tradition für die Leute hier, die die Feste in Castrillo de Murcia feiern. Du konntest den Eltern richtig ansehen, wie glücklich sie waren. Die Babys waren herausgeputzt bis zum Gehtnichtmehr und auch viele Eltern tragen ihre besten Sachen.

Für die Eltern ist es auch ein Ritual: Sie legen die Matratzen aus, bleiben bei den Babys und sehen zu, wie sie vom Erzbischof von Burgos gesegnet werden …

Es ist ein religiöses Fest, auf das viele Eltern seit fast einem Jahr warten, seit ihr Baby zur Welt kam.

Ich habe gesehen, dass manche Leute Decken von ihren Balkonen gehängt haben. Was hat es damit auf sich?
Sie hängen Laken, Tischdecken oder weißen Stoff auf, als Symbol der Reinheit, das den Teufel vertreiben soll. Entlang des Weges findet man kleine Altäre in der Nähe der Matratzen, die mit Blumen und Ikonen geschmückt sind. Dieses Jahr wurden die Feierlichkeiten von schwerem Regen ein bisschen beeinträchtigt, aber danach kam die Sonne hervor und hat die hellen Stoffe aufleuchten lassen.

Was steckt deiner Meinung nach dahinter, dass solche Feste heutzutage immer noch eine große Anziehungskraft ausüben, sowohl in Spanien als auch international?
Als ich dort war, habe ich viele Ausländer gesehen, von einer Gruppe aus Südkorea, die dabei war, eine Doku zu drehen, bis hin zu Leuten aus Lateinamerika, die Interviews führten. Es gab auch Journalisten von Agenturen wie Reuters oder Associated Press, die das Event livegestreamt haben.

Heute können wir dank dem Internet fast sofort wissen, was überall auf der Welt passiert, und das finde ich toll, denn so können wir neue Kulturen, Traditionen und Lebensweisen entdecken. Wir sind alle neugierig und wollen Neues lernen. Deswegen finde ich auch, dass die ganze Welt von solchen einzigartigen Traditionen erfahren sollte.

Danke, Rodrigo!

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