Alle Fotos: Vincent Grundke
Mit einem Gefühl der Beklemmung, ungehaltener Vorfreude und nervösem Geplapper tritt zähflüssig ein Strom Extremsportler am 10. Februar in das Columbia Theater Berlin. Heute findet hier die letzte Show der markerschütternd monströsen The Dillinger Escape Plan statt. Ein Extrem unter den Extremen. Ein mächtig schief gegangenes Metal-Experiment. Oder geglücktes – das liegt im Auge des Betrachters. Mit dem Begriff Mathcore wird seit ihrer Gründung 1997 mehr jongliert denn je. Das ist technisch fast schon undurchsichtig vertrackter, extrem progressiver Metal, der Nachvollziehbarkeit nur nutzt, um sich direkt wieder drüber lustig zu machen.
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Lange waren TDEP der Staatsfeind Nr. 1 unter Metal-Sympathisanten. Jahre vergingen, in denen keiner raffen wollte, was die Geistesgestörten da mit ihren Geräten fabrizieren. Irgendwann Mitte der 00er kristallisierte sich auf – selbst für die Band – überraschende Art heraus, dass The Dillinger Escape Plan genug Hype-Potential besitzen, um einen Schneeballeffekt auszulösen. 2017 sind sie auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Und hören genau deshalb auf. Die Angst, sich selbst auszuschlachten und ganz langsam zu verglühen, zu verwesen, hat diesem Schritt unbedingte Kausalität geschenkt, erklärte Gitarrist Ben Weinman im August 2016 gegenüber Noisey.
Jetzt ist die Band in Topform, als sie da mit erhabenen Schritten auf die Bühne stolziert. Kurze Ruhe vor dem Sturm, dann explodiert die Hütte: Die ersten heftigen Zuckungen von “Prancer” dröhnen durch die Boxen, gleißend helles Strobolicht fräst sich in die Netzhäute – Alarmreaktion ausgelöst. Sänger Greg Puciato und Ben Weinman springen zeitgleich über die dicht gedrängten Fotografen. Mit den Knien zuerst, direkt ins Publikum. Kein Halten mehr, alles verschwimmt zu einer Masse. Immer wieder thront Ben fast schon im Spagat halb auf der Bühne, halb auf den Barrieren der ersten Reihe. Als Fotograf ist man schlicht nicht existent für ihn. Sein Fuß schießt an der Linse vorbei, die Gitarre lässt er am Gurt um seinen Arm kreisen. Vorbei an schreienden Gesichtern.
Anderthalb Stunden Ekstase, für Dillinger-Fans nur ein heftiger Impuls. Lange müssen sie noch sitzen und verstehen, was da gerade mit ihnen geschehen ist, während die Band ins polnische Warschau fährt. Um dieses Ungetüm wieder und wieder rauszulassen. Doch auf dem Weg zur nächsten Show in Krakau müssen sie Bekanntschaft mit einem anderen Ungetüm machen: einem LKW auf der Schnellstraße. Der rast in ihren auf dem Standstreifen gehaltenen Tourbus rein. Zum Glück nur in den Trailer, wer weiß, was sonst passiert wäre. 13 Businsassen mussten ins Krankenhaus, um nicht näher beschriebene Verletzungen durchchecken zu lassen. Nach über einem Tag Funkstille aus dem Hause Dillinger kommt ihr Statement: “Wir sind glücklich, am Leben zu sein. […] Wir hatten eine unglaubliche Zeit und sind gesegnet mit euch allen, solch einem großen Kaliber an Menschen. Es war eine Ehre, diese Shows spielen zu können, aber wir müssen die restlichen leider absagen.” Über die genauen Verletzungen kein Wort. Aber in dem Trailer war all das Equipment der Band, das fast komplett zerstört wurde.
Mittlerweile gibt es auch eine Gofundme-Charity-Seite, um der Band auf die Beine zu helfen. Dillinger schätzt den guten Willen der Fans, schreibt aber dazu: “Das ist kein Band-Account. […] Es gibt so viele Menschen, die Wohltätigkeit in dieser Welt brauchen. Diese jugendliche Zeit der Existenz unserer Spezies ist so herzzerreißend still und äußerlich so derbe unfair […]. Wir sind die etwas Glücklicheren. Wir können nicht kontrollieren, was ihr in die Wege leitet, aber wir schätzen es, auch wenn wir dadurch geplagt von existenzieller Schuld sind.”