An einem warmen Tag in Südkalifornien betritt die 25-jährige Alyssa Salazar einen Starbucks: Sie trägt ein blaues Chiffonkleid mit Cupcake-Druck, zartrosa kniehohe Stiefel und eine herzförmige Handtasche. Keine von uns bestellt etwas zu trinken, denn es ist Ramadan und deswegen fasten wir beide. Während unserer Unterhaltung nestelt sie an der Schleife, die an ihrem Kopftuch befestigt ist und aus demselben Cupcake-Stoff besteht wie ihr Kleid.
Das ist ein ganz alltägliches Outfit für einen Lolita-Fan. Diese etablierte Subkultur stammt aus Japan und besteht aus Mädchen, die sich in ihrem Stil von der schreiend aufwendigen Ästhetik viktorianischer Kleidung inspirieren lassen. Doch Salazar, eine Konvertitin zum Islam, hat sich in der Lolita-Community einen Namen gemacht, indem sie auf ihrer Tumblr-Seite, The Hijabi Lolita, Fotos ihrer täglichen Outfits postet—mit Kopftuch. Das Wort „Hidschabi” beschreibt muslimische Frauen, die den Hidschab, also das Kopftuch, täglich als Teil ihrer religiösen Praktik tragen.
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Im Laufe der letzten zwei Jahre hat Salazar mit ihrem Blog mehr als 10.000 Follower angelockt. Mit wachsender Prominenz sieht sie sich auch vermehrt den hochgradig kritischen und wählerischen Geschmäckern der Lolita-Community gegenüber. Doch als Muslimin ist sie es gewöhnt, dass andere Leute ihre Kleidung unter die Lupe nehmen und kritisieren. VICE hat sich mit Salazar über Vladimir Nabokov, Islamophobie und ihr Dasein in den Randbereichen sowohl der muslimischen Gemeinschaft als auch der Lolita-Community unterhalten.
VICE: Kannst du kurz für Unwissende erklären, was Lolita-Mode ist?
Alyssa Salazar: Lolita-Mode hat ihren Anfang in Harajuku in Tokio. Sie basiert auf der Mode des Rokoko und der viktorianischen Epoche, nur eben etwas modernisiert. Es ist kein Cosplay. Es ist kein Living Doll. Es ist eine richtige Moderichtung mit ihren eigenen Regeln und ihrem eigenen Stils. Es gibt mehr als Tausend verschiedene Lolita-Kleider und –Muster. Es gibt verschiedene Unterkategorien von Lolita. Es gibt Sweet Lolita, Classic Lolita und Gothic Lolita. Dann ist da noch Punk-Goth Lolita. Und es gibt auch Otome, eine sehr entspannte Form von Lolita. Du kannst dich sogar als Pirate Lolita oder Witch Lolita kleiden.
Wie lauten denn die Regeln für diesen Stil? Sich so zu kleiden wirkt auf mich wie eine Kunst für sich.
Wir nennen unsere Outfits nicht „Outfits”. Wir nennen sie „Coordinates” oder „Coords”, weil alles auf einander abgestimmt sein muss. Jedes Outfit ist sehr aufwändig zusammengestellt. Es gibt einen Unterrock, den man trägt, um das Volumen zu wahren. Dann die Socken, Stiefel, Blusen, Kopfschleifen, Accessoires, Taschen. Wenn du keine Hidschabi bist, dann gibt es noch Perücken und Hauben.
Wie hast du angefangen, dich dafür zu interessieren?
Meine Freundin verkaufte einen ihrer Röcke, und ich entschied mich einfach, ihn zu kaufen. Ich wusste nicht, ob ich das selbst auch machen konnte, wegen meinem Hidschab. Doch dann erzählte mir meine Freundin von SugarNoor, einer anderen Hidschabi-Lolita, und ich dachte: „OK, es ist also möglich.”
Wie passt du den Lolita-Stil auf deinen Hidschab an? Wie läuft das ab?
Es gibt eigentlich keinen Unterschied, denn Lolita ist ohnehin ziemlich hochgeschlossen. Ich könnte das hier ohne Kopftuch tragen.
Assoziieren die Leute es automatisch mit Lolita von Vladimir Nabokov?
Manchmal assoziieren die Leute es mit dem Buch, denn es gibt manche Lolitas, die innerhalb des Ganzen Age Play betreiben. Age Play ist ein Fetisch, bei dem die Leute gerne als Babys verkleidet Sex haben. Das ist kein Lolita. Nicht alle Lolitas mögen Age Play. Aber manche eben schon, und das führt dazu, dass Leute, die Lolita nicht kennen, solche Dinge damit verbinden.
Kriegst du manchmal eklige Kommentare von Männern zu hören, wenn du ein Lolita-Outfit trägst?
Tatsächlich habe ich das bisher nicht. Ich warte aber nur darauf, denn dann werde ich sie mit Pfefferspray vollsprühen. Meine Freundinnen haben mir erzählt, dass Typen manchmal ihre Röcke heben, um zu sehen, was sie so abstehen lässt. Das Unheimlichste, das ein Typ bisher zu mir gesagt hat, war: „Little Bo Peep, wo sind deine Schafe?” Aber meistens sprechen mich Frauen an und sagen: „Das sieht süß aus”, oder sie versuchen, Fotos zu machen, ohne mich zu fragen.
Aber wahrscheinlich kommentiert hin und wieder jemand dein Kopftuch.
Es gibt Hater, die im Vorbeigehen sagen: „Nimm das ab, wir sind hier nicht im Irak.” Aber wenn ich in Lolita bin, dann ist es anders. Die Leute halten es für Teil des Kostüms.
Ich hab vor Kurzem eine Facebook-Seite gesehen, die du verlinkt hast. Sie hieß „Ban Lolita Muslims” und sie haben dein Foto als Profilbild benutzt. Du schienst kein bisschen wütend darüber!
Das waren einfach nur Trolle. Ich schätze, ihnen ist nicht klar, dass die meisten muslimischen Lolitas keinen Hidschab tragen. Da hätte stehen sollen „Ban Hijabi Lolitas”, nicht „Muslims”.
Es ist witzig, denn sie haben mein Profilbild verwendet, aber [sie verwenden auch] alle Bilder von SugarNoor. Dann stand da lauter gemeiner Kram, wie: „So traurig, dieses Mädchen, in diesem Kleid, musste im Alter von 8 Jahren heiraten und wird nun von ihrem Mann geschlagen.” Oder: „Das Kleid ist schon ein bisschen zu schade, um total blutverschmiert zu sein.”
Wie haben andere in der Lolita-Community auf deine Hidschabi-Lolita-Coords reagiert?
Niemand aus der Community hat mich je angefeindet. Sie sind sehr offen dafür. Die verschiedensten Menschen finden ihren Weg zu Lolita. Und sie heißen einander willkommen. Sie haben mich akzeptiert und verurteilen mich nicht. Eigentlich finden sie es ziemlich cool.
Aber da ich das Kopftuch trage, habe ich das Gefühl, besser coorden zu müssen als alle anderen, die keins tragen. Weil ich mein Haar und überhaupt ein bisschen mehr von mir bedecke, muss ich mich mehr anstrengen. Ich will nicht als eine Ita gelten. „Ita” kommt von dem Wort „Itai” und bedeutet „Autsch”. Es bedeutet, dass dein Coord so furchtbar aussieht, dass meine Augen vom bloßen Hinsehen schon brennen.
Es scheint, als müsstest du mit dem muslimischen und dem der Lolitas zwei sehr anspruchsvolle Dresscodes einhalten, bzw. die verschiedenen Sittsamkeitsregeln, die damit einhergehen. Aber du kriegst es hin und siehst gut dabei aus! Wann hast du beschlossen, deine Outfits zu bloggen?
Ich war ein wenig nervös, was das anging. Es gibt da eine Website namens Behind the Bows; das ist so etwas wie eine Lästerseite für Lolitas. SugarNoor wurde auf dieser Seite viel angefeindet, als ihr Blog noch neu war. Jede Woche oder alle paar Wochen konnte man sehen, wie andere sie lächerlich machten, weil sie als Lolita ihr Kopftuch trägt. Deswegen war ich nervös; ich dachte, mir würde dasselbe passieren.
War es Islamophobie, oder waren die Leute einfach sauer, dass sie Lolita nicht auf die korrekte Art getragen hat?
Es war Islamophobie. Die Lolita-Community ist zwar sehr offen, aber es gibt trotzdem auch engstirnige Menschen.
Du hast gesagt, dass du früher aktiver in der muslimischen Gemeinde warst. Warum hat sich das geändert?
Ehrlich gesagt war ich als Konvertitin nicht sehr willkommen. Ich habe mich gefühlt wie die Quoten-Konvertitin. Bei den muslimischen Veranstaltungen habe ich mich am Liebsten mit meinem Handy in eine Ecke zurückgezogen.
Die Lolita-Community ist also toleranter?
Ich fühle mich in der Lolita-Gemeinschaft eher willkommen als in der muslimischen. Die Lolitas wollten mich tatsächlich kennenlernen. Sie laden mich zu Sachen ein und wenn ich zu den Veranstaltungen gehe, geben sie sich dort auch mit mir ab. Ich habe meine beste Freundin über Lolita kennengelernt.