The Noisey-Guide To Konzert-Etikette

Vor ein paar Tagen spielte Kitty Pryde im Irving Plaza, New York und wurde von einem Pulk überstimulierter, stumpfsinniger Teenies mit folgenden Worten begrüßt: „LUTSCH SEIN‘ SCHWANZ! LUTSCH SEIN‘ SCHWANZ!“ Die Teenies antworteten damit auf den Artikel, den Kitty vor kurzem für Noisey schrieb, in dem sie Danny Brown in Schutz nahm und ihn als ein Opfer „sexueller Nötigung“ darstellte.

Lassen wir „die Sache“ mal beiseite. Ich kann jetzt nur für mich sprechen, aber wenn es darum geht Frauen zu begrüßen, dann gehört die massenhafte Beschwörung von Fellatio-Praktiken eigentlich nicht zu meinem Repertoire, sondern eher in das Kuriositätenkabinett der Anekdoten eines Steve Stifler.

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Wie konnten wir es nur so weit kommen lassen?

So ein Konzertbeginn sollte eigentlich niemand auftischen – selbst wenn „niemand“ eine Horde frauenfeindlicher Teenies meint, die nach der Show nach Hause gehen um sich in ihren Synthetik-Supreme-Klamotten einen auf ihre Prollerei runterzuholen.

Der Zwischenfall war auf jeden Fall nicht Dannys Fehler, sondern zeigt mit dem Finger eindeutig auf die Konzertbesucher. Klar, wenn man heutzutage auf ein Konzert geht, dann bedeutet das nicht mehr auf irgendwelche kulturell unglaublich wertvollen Shows in einem verkifften Club zu gehen, wie uns das unsere Eltern noch immer weißmachen wollen, dass das früher so war. Vielmehr bedeutet es 30€ für ein Ticket (+ Vorverkaufsgebühren) auszugeben und dafür als Gegenwert eine Dreiviertelstunde durch die verschwitzt stinkende Achselhöhle deines Vordermanns atmen zu dürfen. Aber der Anstieg der Preise und der Rückgang von Gemütlichkeit muss einen doch nicht gleich dazu veranlassen, sich so pöbelnd und fluchend zu verhalten, wie dein durchtrainierter und glattrasierter WG-Mitbewohner oder dieser spießige Angestellte, der sein Mikrowellen- und Stau-in-der-Innenstadt-Lifestyle in eine böswillige Ignoranz gegenüber der Menschheit ummünzt.

Wir brauchen ein paar neue Regeln für den Konzertbesuch! Ein genormter, ausformulierter Gesetzestext, den die Konzertbesucher als Nährboden für ihre tumultartigen Kulturtrips akzeptieren und der ihnen hilft, ein vernünftiger Mensch zu bleiben und den Schwachkopf in einem zu unterdrücken.

Vor der Show

Vor dem Beginn des Konzerts ölt man seine knarzenden Lenden natürlich mit etwas liquider Verpflegung, es sei denn man ist komplett straight edge. Wie auch immer, wenn du in den letzten drei Jahren in der Universität „erwachsen geworden bist“, deren einziger Vorteil es war in Studentenkneipen günstig an Alkohol zu kommen, dann wird dich der Preis für den Suff auf einem Konzert erst mal mit einem schuldengeplagten Vor-Abschlussprüfungs-Suizid liebäugeln lassen. Die Welt ist teuer, aber die unternehmensgesponserte Welt ist noch teurer. Tu dir selbst einen Gefallen und hol dir lieber eine ordentliche Flasche Bier beim Späti oder Discounter um die Ecke. Nur weil du alt genug bist, um ohne deinen Papi auf ein Konzert zu gehen, bedeutet das nicht, dass du dir jetzt Getränke nach dem Motto Kaufe-1-Zahle-2 leisten kannst. Klar wirst du jetzt nicht den Rock’n’Roll-Traum des sich durch die Menge unaufrichtiger Ottonormalverbraucher mit vier überschwappenden Bierbechern Wühlens erleben. Dafür kannst du gemütlich in den Veranstaltungsort schlendern und dein Portemonnaie bleibt zumindest bis zum post-konzertlichen Chill-Out-Weed oder bis zum Gang zur nächsten Fast-Food-Bude verschont.

Wenn du trotzdem zu blöd/stolz/alt dafür bist dein Geld mal ein wenig unter Kontrolle zu behalten und dir nicht vorher am benachbarten Spielplatz einen anlötest, dann wirst du wahrscheinlich das Set der Support-Band in der Warteschlange an der Bar verbringen. Und das ist echt schade, denn dieser Ort ist einfach der beschissenste Platz überhaupt. Du stellst dich an. Du wartest ewig. Du wirst von zwei fetten Typen ins Sandwich genommen. Du bist zu höflich, um dich bei den Vordränglern zu beschweren. Du wirst zunehmend aggressiver und fängst an die Blutrache an der Barfrau zu planen, die konsequent erst die Leute mit einem COMME DES FUCKDOWNS-Beanie bedient. Letztendlich wartest du zwei Stunden, die dich mit zwei Bieren entschädigen sollen. Dann musst du an das Loch denken, das der Suff gerade Woche in dein Koks-Budget für diese Woche gerissen hat und dann lässt du die Flüssigkeit wie jemand, der die Inflation hasst, durch deine Kehle ballern. Danach forstest du dich wieder durch die Crowd, um auf Klo pissen zu gehen. Schon verbringst du wieder viel zu viel Zeit in der Warteschlange und schlussendlich bist du die halbe Nacht im Kameradschafts-Karussell zwischen Bar und Klo gefangen. Klingt doch echt vielversprechend, oder?

Falls du es nicht magst, die halbe Nacht auf den Toiletten zu verbringen (und wenn doch, gibt es einen Grund außer Frauengespräche zu belauschen?), dann wird dir der Abend wohl kaum Spaß bringen. Glücklicher Weise ist es ja so, dass wenn man auf ein Konzert geht, die Wahrscheinlichkeit relativ hoch ist, dass man ein oder zwei gute Freunde zur Begleitung mitnimmt. Wenn dem so ist, dann herzlichen Glückwunsch, denn du scheinst keine unglaublich schreckliche Person zu sein. Andere Leute bringen aber auch gerne mal ihre bessere Hälfte mit aufs Konzert. Ich kann es ja verstehen, dass man ab und an mal eine Pause von Ben & Jerrys und dauerprokrastinierendem Mediatheken-Junkieismus in der Bettenburg braucht und dass diese Pause im Trost einer FIDLAR-Show gefunden werden kann, das geht echt vollkommen in Ordnung. Schäumt euch ein bisschen mit Bier ein, vergesst, dass ihr euch eigentlich hasst und macht euch auf zur nächsten Venue. Aber falls du übertrieben gereizt reagierst, wenn deine Freundin aus Versehen ein Arm ins Gesicht bekommt während du versuchst einen menschenleeren Kreis mit dem Radius von einem Meter um sie herum aufzubauen, dann solltest du die Logistik eines Post-Fremdgeh-Zwischenfalls in der ersten Reihe einer Punk-Show wahrscheinlich nochmal überdenken.

Wenn du deine bessere Hälfte zu ihrer Lieblingsband begleitest, als Voraussetzung dafür, dass sie es dir verzeiht, dass du damals „aus Versehen“ das blonde Mädchen in der dunklen Ecke von diesem einen Club gefingert hast und das anders nicht verhandelbar ist, dann geht das in Ordnung. Aber bitte, haltet euch einigermaßen im Zaum, es sind auch noch andere Leute um euch herum. Denn, im Gegensatz zu George Michaels Kleidungsstil im Video zu „Wake Me Up Before You Go-Go“ gehört der Austausch intimster Körperlichkeit auf Konzerten verboten. Falls du George bist, dann würdest du damit noch einmal gerade so davonkommen, wenn du das Gesicht eines Mädchens in Mitten des Circle-Pit ablutschst, weil du einfach mal mehrere Jahre in Sex-Appeal mariniert wurdest. George würde so etwas jedoch nie tun, denn er mag ja bekanntlich Männer. Du hingegen solltest das auf keinen Fall tun, denn du bist einfach mal nicht George. Das Wichtigste, an das du dich erinnern solltest, ist folgendes: wenn du nicht George bist, dann solltest du den ganzen Go-Go-Krams zu Hause machen.

Während der Show

Also, herzlichen Glückwunsch, du hast dich in deinem Weed-Verbrauch ein wenig eingeschränkt und das Saufgelage im Büro musste ausnahmsweise ohne dich Vorlieb nehmen, so dass du dich einigermaßen gesittet zum ersten Gig dieser gehypten Band aus England in deiner Stadt begeben kannst. Wahrscheinlich liebst du diese Band mehr als deine noch nicht geborenen Enkelkinder – aber dann zeig das verdammt nochmal auch! Du sollst den Schwarzmarkt-Tickethändler natürlich nicht mit deiner schwitzenden Hand übertriebenen Fantums ins Gesicht boxen, aber die Stammkunden der Konzerthallen und Clubs besuchen die Shows nun schon zu lange mit der Begeisterung eines gelangweilten Angestellten, der sich in die Schlange vor der nächsten Post-Filiale einreiht.

Bevor Nu-Metal um die Ecke kam und all unsere Leben zerstört hat, gab es mal eine Zeit, in der man seinen Körper wie ein Schneepflug in die Organe anderer Menschen gerammt hat und damit zeigte, dass man die dargebotene Musik mag. Das funktionierte ein paar Jahre bis auf einmal jeder anfing mit den Achseln zu zucken, introvertiert mit den Füßen zu wippen und letztlich gelangweilt war und entschied nie wieder auf ein Festival zu gehen. Vor kurzem jedoch haben Jay Z und Kanye West die Circle-Pits für sich entdeckt und der Trend des „Moshens“ erlebt eine kleine Wiederauferstehung. Ich will dir damit jetzt nicht vorschreiben, dass du dich in die Tiefen des Moshpits begeben musst um Spaß zu haben, denn ehrlich gesagt hört sich das für jeden über 16-Jährigen wahrscheinlich etwas zu reduziert an. Dennoch finde ich, dass wenn man etwas mag, man sich nicht davor zieren sollte es auch zu zeigen, indem man seine Arme um sich schlägt oder seine Lunge aus sich heraus brüllt, so dass der/die Leadsänger(-in) merkt, dass du dich diesem Anlass voll widmest und er/sie deshalb mit dir schlafen wird. Aber fang bloß nicht an dem Frontmann einen zu blasen, denn wenn die Gitarren- und Urban Outfitters-Welt auch nur irgendwie Ähnlichkeiten mit der Rap-Welt hegt, dann wird es ein Schneegestöber von wiederverwerteten Copy-Paste-Blogeinträgen geben, die den Content-Farmern im Internet eine Woche lang eine reiche Ernte bescheren, obwohl sie das gar nicht verdienen, weil das Internet ein Platz für Gedanken und nicht für massenhaften Copy-Paste-Missbrauch ist. Halten wir es kurz: hebe dir so was für zu Hause auf.

Wenn du versucht mit einem Haufen Frischfleisch und manchmal auch nicht ganz so frischem Fleisch Spaß zu haben, dann wird es höchstwahrscheinlich ein wenig wärmer und schweißiger werden. Du wirst wahrscheinlich den Drang verspüren dein T-Shirt auszuziehen und dein gekämmtes Brusthaar von der Stammkundschaft der versifften Konzertgänger begutachten zu lassen. Aber das wäre genauso widerlich, wie wenn du dein Shirt in der U-Bahn ausziehen würdest, weil es „so verdammt heiß“ ist. Es ist wichtig Spaß zu haben, aber es ist mindestens genauso wichtig, dass die Person hinter dir den Abend nicht damit verbringen muss den Schweiß von deinem nackten Oberkörper verdauen zu müssen, da eine Konzerthalle ja bekannter Maßen mit einer Dose Ölsardinen vergleichbar ist.

Wenn du Spaß auf der Show hast und nicht damit beschäftigt bist es deiner Freundin zu besorgen oder dich an der Bar anzustellen, dann wirst du wahrscheinlich auch ein paar Videos von der Show machen, um sie dir auf dem Weg nach Hause in der Bahn nochmal anzuschauen. Alte Leute maulen deshalb immer rum. Aber alte Leute haben auch keine Social-Media-Präsenz, die sie stündlich updaten und füttern müssen. Wenn die irgendwann sterben, dann wird von ihnen nichts Weiteres als ein Grabstein und eine Beerdigung in einer Kirche, an die sie eh nicht glauben, übrig bleiben. Die sind doch einfach nur neidisch, denn wenn du mal irgendwann das Zeitliche segnest, dann werden deine Nachfahren stolz auf deine turbulente Konzert-Historie per Instagram zurückblicken können. Also, mach weiter und filme alles, das würdig ist auf deinem Smartphone eingefangen und gespeichert zu werden, damit du etwas Fesselndes für deine Post-Konzert-, Prä-Schlaf-, Klo-Phase hast. Aber dein iPad lässt du bitte zu Hause.

Nach der Show

So! Du hast also das beste Konzert deines Lebens erlebt, ein Haufen Geld dadurch gespart, dass du nicht das überteuerte Bier von der Bar gekauft hast, und deine Beziehung trotz nicht stattfindender Beinahe-Sex-Praktiken gerade so aufrechterhalten. Rundum: du hattest eine Menge Spaß. Was machst du also als nächstes?

Keine Ahnung, was immer du halt willst. Wenn du zu Hause bist, dann tu dir keinen Zwang an und wasch dir deinen schweißverkrusteten Hintern unter der Dusche oder weich dich in dein Sofa ein bis dein Tinnitus langsam abklingt.

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