Am 8. März ist Weltfrauentag. Wir nehmen uns aus diesem Anlass Beyoncés Empowerment-Hymne zum Herzen: “Who run this world? Girls!” In den nächsten Tagen stellen wir auf Noisey vier Frauen vor, die nicht auf der Bühne stehen, sondern aus dem Hintergrund die Schweizer Kultur gestalten. The Women who run Swiss music, könnte man sagen. Heute: Lhaga Namlha Koondhor, ehemalige Geschäftsführerin des Longstreets und Creative Consultant.
Lhaga Namlha Koondhor ist wahrscheinlich einer der wichtigsten weiblichen Kreativköpfe in der Schweizer Nightlifeszene. In ihrer Position als Geschäftsführerin hat sie die Longstreet Bar an der Zürcher Langstrasse zu einem der angesagtesten und subversivsten Spots des Landes gemacht. Dabei war es ihr stets ein Anliegen, Plattformen für alternative Kunst, Subkulturen und Genres zu schaffen und Netzwerke für eben diese zu kreieren. Für dieses Engagement wurde sie und ihre Longstreet Bar 2012 mit dem Swiss Nightlife Award in der Kategorie “Best Nightlife Bar” ausgezeichnet. Doch viel wichtiger ist Lhagas Fähigkeit Leute zusammenzubringen, Menschen miteinander zu verbinden, Hypes zu kreieren und Trends zu setzen. Aus dem idyllischen Rapperswil zog es die in der Schweiz geborene Tibeterin nach Zürich, wo sie neben ihrem Engagement in der Longstreet Bar ihr eigenes Partylabel House of Mixed Emotions aufzog, als Asian Eyez selber an den Plattenspielern stand und zu einer der einflussreichsten und aktivsten Personen des Zürcher Untergrunds wurde. In dieser Hinsicht hat sie das Zürcher Nachtleben im letzten Jahrzehnt massgeblich mitgeprägt und geniesst nicht nur darum einen exzellenten Ruf.
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Lhaga hat sich Anfang dieses Jahres entschieden, ihre Position als Geschäftsführerin des Longstreets aufzugeben, um sich in Zukunft auf eigene Projekte zu fokussieren. Sie will sich verstärkt auf ihre Tätigkeit als Creative Consultant konzentrieren, bei der sie weltweit in den Bereichen Musik, Kunst und Mode in beratender Funktion arbeiten will. Sie hat jetzt schon mit verschiedenen Veranstaltern von Paris bis nach Peking zusammengespannt, mit denen sie Clubnächte kuratiert, neue Talente fördert und Netzwerke für verschiedenste Projekte strickt.
Wir haben die umtriebige Godmother der Langstrasse getroffen und uns über ihre weiteren Pläne nach der Longstreet-Ära, über das männerdominierte Schweizer Nachtleben und ihre Erfahrungen als junge tibetische Frau, die in der Schweiz geboren wurde, unterhalten.
Wie sieht deine Zukunft ohne Longstreet aus, und wie sieht die Zukunft der Bar ohne dich aus?
Meine Zukunft besteht aus einer Mischung aus noch mehr Hochhäusern und noch mehr Bergen. Das heisst: Ich werde in der Zukunft stärker international tätig sein und in anderen Metropolen arbeiten, aber ich möchte auch öfters meine Heimat Tibet besuchen. Ich war kürzlich in Berlin, wo ich mit dem Labelchef von Janus Dan Dernoch einen Event durchgeführt habe, und komme gerade erst aus einer Kurzvisite aus Paris, wo ich einen Film über die Fashion-Week-Präsentation des Modelabels Ottolinger im Palais des Tokyo geschnitten habe. Um die Zukunft des Longstreets muss man sich aber keine Sorgen machen. Sie ist in sehr guten Händen und auch ich werde meine Bindungen zu diesem Ort weiterführen.
Du hast das Longstreet als Geschäftsführerin, als kreatives Brain, aber auch als Aushängeschild zu einem der angesagtesten Spots in der Schweiz gemacht. Gab es dabei eine Formel, die du in Bezug auf die Geschlechterverteilung der Mitarbeiter oder in Bezug auf die Türpolitik angewendet hast?
Ich muss hier vorweg schicken, dass ich mich in einem Umfeld bewege, in dem Geschlecht und sexuelle Orientierung nicht wirklich eine grosse Rolle spielt. Ich meine hierbei vor allem mein persönliches Umfeld, da gibt es ganz verschiedene Geschlechteridentitäten und auch sexuelle Ausrichtungen. Ich habe das Gefühl, dass meine Freunde und ich diese berechtigten Forderungen nach Gleichberechtigung eigentlich bereits verinnerlicht haben und auch danach leben. Trotzdem kann ich deine Frage mit ja beantworten: Ich habe mich immer wieder bewusst darauf geachtet, dass ich bei der Zusammensetzung der Angestellten, der Kundschaft, aber auch der auftretenden Künstler – also bei der Programmierung – einen Mix hinbekomme, der eben genau diese Werte ausstrahlt und diesbezüglich gegen jede Art von Diskriminierung steht.
Hast du in dieser Funktion eindeutige Fälle von Sexismus erfahren?
Ich muss sagen, dass ich keinen konkreten Situationen, wie zum Beispiel verbalen oder gar physischen Übergriffen, begegnet bin. Aber ich glaube schon, dass ich mich als Frau manchmal noch stärker behaupten und beweisen musste. Das passiert ja oft auf einer sehr unterschwelligen und unkonkreten Ebene. Wenn zum Beispiel mal die Musikanlage ausfällt, ist es schon mal vorgekommen, dass die technischen Skills einer Frau unterschätzt oder gar belächelt wurden. Aber das hat dann halt auch eine gesellschaftliche Dimension, die in diesem Sinne nicht mit dem Longstreet zu tun hat. Und diesbezüglich ist natürlich auch die Langstrasse an sich ein Ort, der offen zeigt, wie sexistisch unsere Gesellschaft noch immer ist.
Ok, lass uns doch gleich auf diese Ebene wechseln. Wie schätzt du den Fortschritt der Gleichberechtigung in der Schweiz ein?
Wie gesagt, wenn du dich an einem Ort wie der Langstrasse und ihrem Rotlichtmilieu tagtäglich bewegst, wäre es Unsinn zu behaupten, diese Entwicklung sei beendet und vollzogen. Trotzdem bemerke ich eine Sensibilisierung und einen Fortschritt, der sich langsam aber sicher in breiten Gesellschaftsschichten durchsetzt. Ich stelle aber auch fest, dass eine massive Ungleichheit der Geschlechter innerhalb der Berufswelt besteht. Ich meine das nicht nur im Bezug auf Lohngleichheit, sondern auch im Bezug auf Haltung und Attitüde: Wenn ein Mann grossspurig und selbstbewusst auftritt, wird das oft als Stärke bewertet. Bei Frauen gelten solche Attribute eher als negativ und machen einigen vielleicht auch Angst. Meine Motivation war es schon immer, Menschen auf diese Themen zu sensibilisieren. Und darum sah ich es immer schon als wichtigen Teil meiner Arbeit an, dass sich Mensch mit verschiedenen Geschlechteridentitäten oder sexuellen Ausrichtungen begegnen. Es war zum Beispiel ein sehr befriedigendes Gefühl, als ich gesehen habe, dass sich Männer mit einem eher konservativen Verständnis von HipHop auf ein Konzert des New Yorker Queer-Rappers Mikki Blancho eingelassen haben und ich danach gemerkt habe, dass das in ihrem Denken etwas ausgelöst hat. Veränderungen brauchen Zeit, ich bin ein geduldiger und bescheidener Mensch und glaube daran, dass ganz viele, kleine Beiträge Denkweisen beeinflussen können.
Du hast dich in der männerdominierten Nightlife-Szene durchgesetzt und bleibende Spuren hinterlassen. Hatte das Frausein auch seine Vorteile?
Ich habe mir das in dieser Form gar nie überlegt. Ich dachte immer, mein Erfolg liegt an meinen Skills, meiner Persönlichkeit und an meinen Charaktereigenschaften als Mensch. Jedenfalls habe ich nie versucht, durch mein Geschlecht irgendwelche Vorteile herauszuschlagen. Mir war nur immer bewusst, dass ich einfühlsam und verständnisvoll bin und habe versucht dies auch einzusetzen, wenn es denn nötig war. Dass dieses Milieu sehr männerdominiert ist, ist mir natürlich bewusst, aber ich habe nie das Gefühl gehabt, dass das in irgendeiner Form ein Vorteil für mich ist. Ich war mir das aus meiner Biographie halt auch gewohnt, mich behaupten zu müssen, für meine Interessen einzustehen und meinen eigenen Weg zu gehen. Aber das war für mich zu dem Zeitpunkt eine interessante Herausforderung.
Wie nimmst du die Stellung der Frau in der tibetischen Gesellschaft wahr?
Ich wurde in der Schweiz geboren und kann darum vor allem über meine eigenen Erfahrungen in der tibetischen Exil-Gesellschaft in der Schweiz sprechen. Hier nehme ich sehr viele, starke selbstbewusste tibetische Frauen wahr, die ihre eigenen Visionen und Träume verfolgen und diese auch verwirklichen. Ich war immer schon umgeben von eigenwilligen, starken tibetischen Frauen und zum Glück hat das auch in vielen Bereichen auf mich abgefärbt. In meiner Familie sah es grundsätzlich so aus, dass mein Vater Hausmann war. Auch er hat immer mal wieder gearbeitet und Geld nach Hause gebracht, aber für diesen Teil war eher meine Mutter zuständig. Das sagt doch schon einiges aus, oder?
Ja, das tut es. Und kommt auch bisschen überraschend. War diese “ungewöhnliche” Rollenverteilung je ein Thema in deiner Familie?
Meine Eltern sind sehr pragmatische und praxisorientierte Menschen. Sie haben sich das so eingerichtet, weil es für die Familie am meisten Sinn gemacht hat und beide waren mit ihren Rollen mehr als zufrieden. Mein Vater ist übrigens der beste Koch der Welt und ich habe immer wieder festgestellt, dass er in der Rolle als Hausmann total aufblüht und ihm das Ganze einfach auch Spass macht. Er hat mir mal gesagt, dass er sehr gerne zu Hause ist und all die Arbeiten erledigt, die halt anfallen. Für meine Mutter hingegen, war es offensichtlich erfüllender, sich in der Arbeitswelt zu behaupten und sich selber auf diese Weise zu verwirklichen.
Hat der Weltfrauentag für dich eine Bedeutung? Zelebrierst du ihn oder hast du Erinnerungen an ihn?
Er hat für mich schon eine Bedeutung, ja. Es ist ein Tag an dem diese Werte eingefordert und zelebriert werden. Für mich persönlich ist aber jeder Tag Weltfrauentag, denn ich bin umgeben von starken Frauen und auch Männern, die diese Werte täglich leben und diese einen Teil ihres Alltags darstellen. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass alle Menschen sich gegenseitig akzepetieren, inspirierien, aneinander wachsen und sich in aller Form dabei unterstützen.