The Women who run Swiss music: Nathalie Brunner, DJ und Nightlife-Aktivistin

Am 8. März ist Weltfrauentag. Wir haben uns aus diesem Anlass Beyoncés Empowerment-Hymne zu Herzen genommen: “Who run this world? Girls!” In den vergangen Tagen stellten wir auf Noisey Frauen vor, die nicht auf der Bühne stehen, sondern aus dem Hintergrund die Schweizer Kultur gestalten. The Women who run Swiss music, könnte man sagen. Heute die vierte von vier: Nathalie Brunner alias Playlove.

Laut der länderübergreifenden Datenbank “Female Pressure” machen weibliche Produzentinnen selbst im 21. Jahrhundert nur knapp zehn Prozent an elektronischen Musikfestivals und in Clubs aus. Dies gilt auch für die Schweiz, deren Nachtleben nach wie vor von Männern dominiert wird und wo weibliche Akteure eher hinter dem Bartresen, in der Garderobe oder an der Kasse des Clubs anzutreffen sind. Damit sich das ändert, riefen 2013 Nathalie Brunner alias Playlove und Eva Geiser alias Marta Sonnenschein in Zürich und Istanbul das Kollektiv und den heutigen Verein Les Belles de Nuit ins Leben.

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Mit dem Verein motivieren die mittlerweile rund elf aktiv Mitwirkenden hinter Les Belles de Nuit Frauen und andere Minderheiten im Nachtleben, sich nicht nur auf der Tanzfläche einzumischen. Sie setzen sich für eine bunte Durchmischung im Hintergrund ein und wollen jüngeren DJs, Produzentinnen oder Veranstalterinnen – oder jenen, die es noch werden wollen – ihr Know-How weitergeben. Dies tun die Nightlife-Aktivistinnen in Form von bunten Partys sowie Workshops. Der nächste Workshop zu “Strategien zur Verbesserung der Sichtbarkeit und Vernetzung Schweizer Musikerinnen” etwa steht am 1. April in Zusammenarbeit mit Helvetia Rockt im Rahmenprogramm des M4Music Festivals an.

Dieses Jahr feiern Les Belles de Nuit ihr fünfjähriges Bestehen. Ein perfekter Grund, mit der Vereinspräsidentin Nathalie Brunner über ihr Schaffen zu reden. Als DJ Playlove hat sie sich 1999 dem Platz hinter den Plattentellern verschrieben und war unter anderem Resident im von Acid Pauli initiierten Club Rote Sonne in München, dem Tresor in Berlin sowie im Hive, Cabaret, Klaus und an der Lethargy in Zürich. Mit Les Belles de Nuit tragen sie und ihre Mitwirkenden nicht zuletzt einen Bärinnenanteil zur Emanzipation des Zürcher Nachtlebens bei – auch wenn wir hier noch am Anfang stehen –, sondern fördern und beraten europaweit DJs, Veranstalter und Clubmacher.

Noisey: Warum braucht es den Verein Les Belles de Nuit, der sich explizit der Förderung von Frauen und anderen Minderheiten im Nachtleben verschrieben hat?
Nathalie Brunner: Den braucht es, um Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit zu erlangen sowie ein Netzwerk zu schaffen. Wir möchten zudem zeigen, dass das Auflegen Spass macht und die Berührungsangst vor der Technik nehmen. Fast jede DJ-Karriere fängt eigentlich damit an, dass du dich irgendwo um die 20 herum langsam auch für den Platz hinter den Plattentellern interessierst. In meinem Fall bin ich über mein Umfeld in die Szene reingerutscht und habe mir am Anfang eigentlich nie wirklich gross etwas dabei gedacht, dass ich als Frau eine krasse Minderheit unter den DJs bin. Die Auseinandersetzung mit dem Thema kam eigentlich erst nach den ersten Reaktionen, als ich damals Ende der 90er mit Auflegen angefangen habe.

Welche Erfahrungen hast du denn gemacht?
Abgesehen davon, dass du ganz oft als Lesbe wahrgenommen wirst, weil du etwas machst, was die Jungs machen, hatte ich auch schon Bookings im Ausland, weil sie dachten, ich passe gut zur Resident-DJ, die eine Lesbenparty auf die Beine stellt. Gerade in den frühen Jahren war es ganz oft so, dass du belächelt wurdest, wenn du einen Fehler gemacht hast. Als junger Mensch musst du halt auch einfach über solchen Dinge stehen können.

Wurdest du denn als weibliche DJ überhaupt irgendwann ernst genommen?
Jahrelang wurde ich nicht gebucht. Da habe ich für mich selber festgestellt, dass ich das selbst in die Hand nehmen muss. Deswegen habe ich angefangen, selber Partys zu veranstalten. Meine Freunde und ich haben dann die ersten Partys im Wiener Untergrund in den übelsten Hundsverlocheten, Puffs und Kellern organisiert. So konnten wir über Jahre hinweg einfach Lärm machen. Ich habe aber auch immer darauf vertraut, dass es von alleine weitergeht, wenn ich gut spiele. Ich hab mich selber nie vermarktet bei den Bookern und bis jetzt war das zum Glück nie nötig.

Mittlerweile gibt es im Gegensatz zu damals zwar schon sehr viel mehr Frauen in der Szene. So ist Les Belles de Nuit heute von der reinen Frauenförderung etwas weggekommen und wir suchen gerade einen neuen, gemeinsamen Ansatz, um auch andere Minderheiten in der Szene zu fördern. Zum Beispiel Queers und Transgenders – eigentlich alles, was sich von der festgefahrenen Rolle des typischen, männlichen DJs abhebt. Ich bin da der Meinung, dass diese Diskussion gemeinsam geführt werden muss. Es wird viel zu wenig dafür gemacht und irgendwer muss die Unverhältnismässigkeit anpacken.

Wie hat Les Belles de Nuit angefangen?
Mit Les Belles de Nuit haben wir – damals waren es nur Eva Geiser und ich – angefangen, weil wir in Istanbul viele musikbegeisterte Türkinnen kennengelernt hatten, die sich aber selber nicht trauten, aufzulegen. Aufgrund dessen sind wir 2013 einfach mal dort eingefahren und haben einen DJ-Workshop gegeben und das erste LBDN-Festival organisiert. Im selben Jahr kamen dann auch die Proteste im Gezi-Park auf. Dabei ist unter den Frauen, die an unserem Workshop teilgenommen hatten, etwas Faszinierendes passiert: Weil es irgendwann zu gefährlich wurde, um an den Protesten auf der Strasse teilzunehmen – besonders für Frauen – haben sich einige währenddessen mit dem Produzieren und dem Produzieren-Lehren so ins Zeug gelegt, dass das Line-up der zweiten Ausgabe des LBDN-Festivals bereits zur Hälfte aus Türkinnen bestand. Mittlerweile legen einige von ihnen auch international auf: Zozo zum Beispiel spielt regelmässig in der Panoramabar. Das zeigt, dass Musik ein Ventil ist. Und auf unsere Kolleginnen in Istanbul bin ich besonders stolz. Natürlich ist das nicht LBDNs Verdienst, aber wir haben da schon irgendwo einen Kickstart gegeben.

Und was hat sich seither verändert? Für euch und im Nachtleben? Hat LBDN etwas bewirkt?
Während den letzten fünf Jahren haben wir alle sehr viel Arbeit geleistet, sodass wir heute eine gewisse Präsenz erreicht haben. Mittlerweile fragen uns sogar Festivals nach unserer Meinung dazu, wen sie buchen sollen oder wie sie öffentlich zu Genderthemen stehen sollen. Wir sind also durch unsere intensive Beschäftigung mit dem Thema gewissermassen zu Expertinnen geworden. Momentan arbeiten wir vor allem daran, wie wir junge Frauen davon begeistern können, sich im Nachtleben einzumischen. Damit ist eigentlich nicht nur die Musik selbst gemeint, sondern alle Sparten: Von Licht, Deko, Promotion, Grafik über Technik und Ton, bis hin zum Veranstalten eigener Events und dem Fördern von mehr Frauen in leitenden Positionen im Nachtleben gehört alles dazu. In all diesen Bereichen, ausser vielleicht an der Garderobe, Kasse und der Bar, gibt es eine starke Unterbesetzung von Frauen – und Queers. Etwas schade finde ich aber, dass manche mit den Augen rollen, weil unsere Aktivitäten und Festivals teilweise komplett am Feminismus aufgehängt werden. Das nervt teilweise, weil ja jeder eine andere Auffassung von Feminismus hat. Deswegen versuchen wir als Verein zu zeigen, dass es natürlich schon um Feminismus geht, aber auch zu einem sehr grossen Teil darum, einfach gemeinsam eine gute Zeit zu haben.

Wie fördert ihr eure Acts ausserhalb von euren Partys?
Wir geben hauptsächlich unser Wissen weiter und stellen unser Netzwerk zur Verfügung. Wir möchten nämlich niemanden mit unseren Erfahrungen bevormunden. Dennoch sollen junge Acts auf unser Know-How zurückgreifen können, um dann ihr eigenes Ding zu machen. Im Rahmen unserer Festivals bieten wir verschiedene Workshops an, wie wir es in Istanbul gemacht haben. Die Inhalte der Workshops reichen von Themen wie Label-Management über Selbstvermarktung hin zu analoger und digitaler Musikproduktion und dem Auflegen in verschiedenen Formaten. Gleichzeitig organisieren wir auch Diskussionsforen, bei denen es einfach um den reinen Austausch geht. Dafür holen wir je nach Thema auch mal Spezialistinnen und Spezialisten aus dem Ausland herbei, die genauso zu LBDN gehören. Oder wir buchen Acts und versuchen, diese im Rahmen des Festivals mit anderen KünstlerInnen zu connecten. Auf diese Weise wächst unser Netzwerk im In- und Ausland.

Wir hatten in Vergangenheit auch Spassformate wie etwa Crossdressing, bei dem es uns einfach darum ging, Berührungsängste zu nehmen und etwas aus den Gesellschaftsnormen auszubrechen. In diesem geschützten Rahmen soll man sich mit LBDN einfach mal austoben dürfen, ohne Angst vor Kritik haben zu müssen.

Wie äussert sich diese Zaghaftigkeit der Frauen gegenüber dem Auflegen?
Die Gespräche auf der Damentoilette sind ein Paradebeispiel dafür: Wenn eine junge Frau zu mir kommt und mir Komplimente für mein Set gibt, frage ich meistens, ob sie nicht auch Lust hätte, selber ein Set zu spielen. Doch darauf kommt immer die Antwort: “Ja ne, ich bin eher so auf der Tanzfläche.” Dabei komme ich ja auch von da her, aber es ist den meisten nicht bewusst, dass du so ein Set in erster Linie für dich selbst und nicht für das Publikum spielst. Und diese Berührungsangst ist etwas, woran wir extrem viel arbeiten müssen. Natürlich gibt es da auch den Zeitfaktor, der viele davon abhält – gerade Frauen über 25, die erst gerade frisch im Berufsleben stehen, hätten zwar das nötige Interesse, aber ihnen fehlt es dann an der Zeit. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir vor allem Jüngere ansprechen. Bei denen spielt die Zeit noch nicht so eine grosse Rolle.

Was unternehmt ihr denn, um an jüngere, potenzielle DJs zu gelangen?
Das ist permanent ein Thema bei uns. Es ist sehr schwierig, an sie heranzukommen. Unsere Generation im Verein ist jetzt über 30-jährig und die Zielgruppe wäre um die 20 herum. Wir versuchen über unser Netzwerk, darauf aufmerksam zu machen und arbeiten an Workshops und Intensivwochen, um so auch abseits des Festivals an die Jüngeren ranzukommen.

Wie könnten Produzentinnen deiner Meinung nach besser gefördert werden
Es gibt schon Veranstalter, Clubmacher und Booker, die sich sehr bemühen, dass die Hälfte ihrer Acts weiblich sind. Ich finde diesen Ansatz aber eher unrealistisch, denn dafür reicht das Angebot einfach noch nicht. Die Acts müssen ja auch thematisch oder vom Genre her zu einem Festival oder einer Veranstaltung passen und auch noch gerade dann Zeit haben. Damit wir das irgendwann einmal erreichen können, braucht es erst andere Lösungen. Jetzt ist es einfach sehr wichtig, die Leute zum Nachdenken und Diskutieren anzuregen. Und in einem zweiten Schritt sollte man schauen, dass es in Zukunft allgemein mehr weibliche Acts gibt. Das heisst, als Veranstalter wäre es wichtig, dass du dich immer wieder umhörst, ob es nicht neue Talente gibt, und versuchst diese zu fördern. Bei den Geschäftsleitungen der Clubs sollte auch mal die eine oder andere Frau in eine leitende Position gebracht werden, um dem Männerverein entgegenzuwirken.

Ist denn das Angebot der einzige Grund, warum immer noch mehr Männer gebucht werden? Und wie schneidet deiner Meinung nach Zürich diesbezüglich ab?
Ich denke, Frauen werden beim Auflegen nach wie vor sehr kritisch beäugt – egal, ob in Zürich oder irgendwo sonst. DJing ist eine Männerdomäne. Die eine These dafür, warum immer noch mehr Männer in Clubs spielen, ist, dass die meisten Bookings über Freundschaften stattfinden. Es sind fast wie Seilschaften, dass der eine Freund Partys organisiert und dann natürlich seinen Freund bucht, der sich ein bisschen an den Plattentellern übt. Ist auch irgendwie verständlich, Homies buchen Homies. Aber so langsam rutschen auch die Frauen da rein.

Eine Freundin von mir hatte letzthin ausserdem eine andere, wirklich spannende These aufgestellt, warum mehr Männer mit dem Auflegen anfangen. Sie sagt, dass es in dem Alter – also so um 17, 18 – vor allem darum geht, beim begehrten Geschlecht gut anzukommen. Darum würden sich Frauen vor allem um ihr Aussehen kümmern, während Männer etwas machen müssen, um bei den Frauen gut anzukommen, wenn sie nicht gerade aussehen wie Ryan Gosling oder dem Football-Quarterback entsprechen. Also fangen viele zum Beispiel einfach mal mit Auflegen oder einem anderen bühnentauglichen Instrument an. Ich finde diese These eigentlich recht interessant, auch wenn ich sie jetzt nicht verallgemeinern möchte. Und eben gerade die Gespräche auf der Toilette, die ich immer wieder mit jungen Frauen führe, sind sinnbildlich dafür.

Also, ganz ehrlich, ich habe mich überhaupt nicht attraktiv gemacht bei den Jungs, als ich mit Auflegen anfing. Sie haben mich vielmehr als eine Konkurrenz gesehen, denke ich. Oder als eine Lesbe. Natürlich nicht alle, aber es gibt schon noch die, die einfach Mühe mit starken Frauen haben. Und trotzdem glaube ich ganz fest an eine gute und gleichberechtigte Zukunft.

Mit welchen Schwierigkeiten muss sich denn eine weibliche Produzentin besonders herumschlagen?
Als ich 1999 angefangen habe aufzulegen, war es fast unmöglich, dich gleich als DJ zu etablieren. Erstens konntest du dir die ganze Technik nicht leisten, weil die sauteuer war, dann hast du Jahre gebraucht, dein Hirn soweit zu trainieren, um die Geschwindigkeit einer Platte von der anderen zu unterscheiden – geschweige denn anzupassen – und dann musst du dich noch trauen, vor Publikum zu spielen. Gerade für letzteres braucht es extrem viel Mut, denn da trennt sich die Spreu vom Weizen. Aber gerade deswegen wollen wir allen Mut machen, denn beim Spielen vor Publikum lernst du sehr viel dazu. Es passiert nämlich ein sehr wichtiger Entwicklungssprung, wenn du ein paar mal vor Leuten gespielt und schon mal ein Set vom Anfang bis zum Schluss aufgebaut hast. Für so eine Dramaturgie braucht es Erfahrung und du lernst dabei nie aus. Und da passieren halt auch Fehler. Du sollst die Fehler aber machen dürfen. Die gehören einfach dazu. Doch gerade das ist das Problem mit weiblichen DJs: Machst du als Frau einen Fehler, wird gleich gesagt: “Ja, klar kann die nicht richtig auflegen, das ist ja auch eine Frau und die checkt die Technik nicht.”

Was wünschst du dir für die Zukunft der Zürcher Szene?
Generell mehr mutige, junge Menschen, die Initiative zeigen, Seich machen wollen und ohne Rücksicht auf Gesetze, Vorschriften, Normen oder Meinungen einfach ihr eigenes Ding durchziehen; rotzfrech, mit viel Freude an der Sache und zwar gemeinsam, ohne sich gegenseitig auszugrenzen und in einzelne Genres oder Cliquen zu gruppieren. Doch so habe ich Zürich eigentlich kennengelernt. Die Stadt hat sehr viele DJs, aber trotzdem bist du nicht an einen Club oder eine Clique gebunden, sondern ziehst immer von Ort zu Ort durch die ganze Stadt. Und was ich mir wirklich wünsche, ist, dass die Leute für mehr Freiraum kämpfen. Das ist nämlich das grösste Problem hier in Zürich. Seit ein paar Jahren gibt es keine illegalen oder temporären Clubs mehr. Dabei sind die gerade für junge DJs so wichtig, damit die sich dort einfach auch mal ausspielen und experimentieren können.


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