Ein Leben ist ein Leben und wer tötet, ist ein Mörder, und wer getötet hat, der muss bestraft werden, und wenn es ihn das Leben kostet. Der Mensch ist ein Tier, eines ohne Fell, ein nackter Affe. Nacktaffen eigentlich, so nannte sie 1967 Desmond Morris, ein Zoologe, in seinem Buch, „Der nackte Affe”. „Mensch und Tier”, diese Bezeichnungen sei so unsinnig wie „Fichte und Pflanze”, einen Unterschied gäbe es nicht. Deswegen besteht Silke Ruthenberg darauf, den Menschen einen Nacktaffen zu nennen. Sie will die „ideologische Besetzung” aufbrechen, die die unterschiedlichen Bezeichnungen zu Folge haben. Silke Ruthenberg ist eine Pionierin der veganen Szene in Deutschland, eine Autorität, auch wenn sie über die Jahre weniger Zuspruch bekam. Sie ist Chefin von „Animal Peace”, einer Tierschutzorganisation mit etwa 5000 Mitgliedern und sehr genau 3827 Facebook-Likes. Schon in den neunziger Jahren war sie aktiv, immer auch ein Liebling der Presse. Wenn sie redet, dann hat das nicht unbedingt deswegen Gewicht, weil sie so viele Menschen hinter sich versammeln kann, sondern weil sie eine radikale Stimme ist. Animal Peace ist klein, klein gemessen an den Zielen, die sie haben, aber wenn sie reden, dann hört man ihnen zu.
Die vegane Szene hat in den letzten Jahren massiven Zulauf bekommen, die meisten entscheiden sich aus ethischen Gründen dafür, kein Fleisch mehr zu essen. Ihnen liegt der Tierschutz am Herzen, sie verzweifeln an den Zuständen in den riesigen Mast- und Schlachtbetrieben. Doch so wahrnehmbar groß diese Gruppe geworden ist, so klein ist auch der tatsächliche–politische–Einfluss geblieben. An dem Kern des Problems hat sich wenig geändert. Im Gegenteil: Die deutsche Fleischindustrie wächst noch immer, vor allem durch den Export. 2016 ist ein Rekordjahr: 8,22 Millionen Tonnen (Tonnen, nicht Tiere sind die Maßeinheit) Fleisch wurden produziert, so viel wie nie zuvor. Die politisierte vegane Szene versagt in ihrem zentralen Ziel. Die Gründe liegen vor allem bei den professionellen Tierschützern, die ihrem Anliegen oft mehr schaden als nutzen.
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Ein Bauernhof im Januar ’16, ein Bauer betritt seinen Kuhstall, dort findet er seinen toten Vater. Der Bulle hatte ihn angegriffen und tödlich verletzt. Animal Peace schrieb daraufhin, sie würden sich vor „diesem Held der Freiheit” verbeugen, bezeichnete den Stier als „Held”, den Bauern einen „Sklavenhalter”. Als im Juli diesen Jahres ein Stier einen Torero in der Arena tötete, nannte Animal Peace das Tier einen „Freiheitskämpfer”, der den „widerwärtigen Sadisten” in sein „kaltes Herz” getroffen habe. Und als Gerwald Claus-Brunner einen Mann tötete und sich selbst das Leben nahm, sagte sein Bruder, dass Claus-Brunner in der Vergangenheit Tiere gequält habe, daraufhin schrieb Animal Peace dazu: „Der Pirat war schon lange ein feiger Mörder bevor er sich strafbedroht an einem Nacktaffen vergangen hat. Wen wundert´s [sic]? Das war ja dann ein Schritt in die Richtung ausgleichende Gerechtigkeit.” Sie feiern den Tod der Menschen am Rande der Legalität, oft bekommen sie Anzeigen dafür, was sie sagen. Alles dient der Provokation. Alles, um die Menschen daran zu erinnern, dass sie „eine Tierart unter Millionen anderer Arten sind”, wie es Silke Ruthenberg im Interview ausdrückt. Sie ist eine Anti-Speziezistin, jemand der es ablehnt, den Wert eines Lebens daran zu bemessen, welcher Spezies es angehört. Konsequent angewendet bedeutet das: Wenn ich einer Fliege etwas zuleide tue, bin ich ein Mörder. Dann habe ich auch nicht mehr mit übermäßiger Gnade zu rechnen.
Über Jahrhunderte haben sich Gesellschaften das Bekenntnis zu einer unantastbaren Würde des Menschen erkämpfen müssen, das geht den Anti-Speziezisten nicht weit genug, sie wollen auch die gleichen Rechte für alle Tiere. Doch so lange die Tiere nicht gleichbehandelt werden, kann man den Menschen auch schlecht behandeln, so macht es den Eindruck.
„Eine Diskriminierung von Individuen aufgrund ihrer Artzugehörigkeit ist Speziesismus und das ist genauso falsch wie Rassismus oder Sexismus”, sagt auch Harald Ullmann, zweiter Vorsitzender von PETA Deutschland e. V. Mitleid entstünde aus der Nähe zu anderen Lebewesen, was es verständlich macht, aber dort dürfe die Solidarität nicht aufhören.
Im Juli lockte ein Zahnarzt aus den USA den Löwen Cecil aus dem Hwange National Park, wo die Jagd illegal ist, schoss auf ihn mit einem Bogen, verfolgte das verletzte Tier für 40 Stunden, bevor er es erschoss, köpfte und häutete. Als die Behörden herausfanden, wer der Täter war, reagiert auch PETA. Die Vorsitzende des US-Verbandes sagte in einer Mitteilung, der Täter solle „ausgeliefert, angeklagt und vorzugsweise gehängt” werden. Die deutsche Sektion nahm die Mitteilung so nicht auf ihre Seite, ein Hauch von Distanzierung, trotzdem verteidigt Harald Ullmann seine Kollegin Ingrid Newkirk: „Ms. Newkirk hatte nicht damit gerechnet, dass dieser Kommentar tatsächlich allzu wörtlich genommen wird. Wir glauben, dass der Jäger in Simbabwe zur Rechenschaft gezogen werden sollte und die Konsequenzen tragen muss, wie es im Englischen heißt ,…and be hanged in the court of public opinion’. Wir sind eine gewaltfreie Organisation, wir arbeiten daran Gewalt zu stoppen.” Ja, es gibt die Redewendung „court of public opinion”. Da geht es allerdings um die öffentliche Meinung, die bei tatsächlichen Gerichtsprozessen oft bedeutsam für deren Ausgang ist, und nicht darum, jemanden zu lynchen.
Das alles sind Einzelfälle, sicher, und sie gehen unter in dem, was Tierschützer nahezu geschlossen bekämpfen, sie alle wollen das Ende der Massentierhaltung. Massentierhaltung, das Yuval Noah Harari im Guardian eines „der größten Verbrechen der Geschichte” genannt. Die Ausmaße der Produktion sind unermesslich, niemand kann mit Sicherheit sagen, wie viele Tiere schon ihr Leben gelassen haben. PETA schätzt die Zahl alleine in Deutschland auf etwa 60.000.000 Schweine. Jedes Jahr. Veganer tragen die Sorge um die Umwelt, die Gesundheit, die Zukunft des Planeten, das Leid der Tiere. Und wenn es darum geht, das industrielle Töten zu beschreiben, zu thematisieren, zu kritisieren, kann es manchen Tierschützern nicht weit genug gehen.
„Holocaust auf dem Teller”, das ist die Kampagne mit der PETA die meiste Aufmerksamkeit erreichte, allerdings auch viel juristische Aufmerksamkeit. Deutsche Gerichte unterbanden diese PR, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigte das Urteil 2012. PETA wollte lange nicht von dem unsäglichen Vergleich lassen, die rechtliche Einschätzung will Ullmann so verstanden wissen: „Das Gericht hatte die ,Holocaust auf dem Teller’-Kampagne nicht per se verboten, nur 7 der 8 Plakate, die eine direkte Gegenüberstellung von Tierleid und den Gräueltaten der Nazis zeigten, durften nicht mehr gezeigt werden, und das auch nur in Deutschland.” Richtig, denn so begründete das Gericht seinerzeit: Man müsse den „spezifischen Kontext der deutschen Geschichte” beachten und der Vergleich führe zu der „Bagatellisierung und Banalisierung des Schicksals der Holocaustopfer”. Bei aller berechtigten und notwendigen Kritik an der Massentierhaltung darf man nicht vergessen, dass das eigentlich ein System ist, das zur Ernährung von Menschen gedacht ist und nicht vergleichbar ist mit einem System, das allein zur vollständigen, totalen und ewigen Ausrottung des Judentums gedacht war. Yuval Noah Harari, der Israeli ist und in Jerusalem Geschichte lehrt, hat sich einer solchen Sprache aus guten Gründen nicht bedient, als er über Massentierhaltung sprach.
Das ist eine Radikalität, die es braucht, um die „apathische Öffentlichkeit” aufzuwecken, meint man bei PETA: „Die Geschichte hat gezeigt, dass gerade die Radikalen die waren, die die Sklaverei beendet haben, Frauen das Wahlrecht verschafften und gleiche Rechte für Homosexuelle erreicht haben. Ich nehme die Bezeichnung ,radikal’ immer als Kompliment auf.” Das ist ohne Frage richtig, richtig ist aber auch, dass es auch Radikale waren, die das Schlimmste hervorgebracht haben. Auch bei Animal Peace gibt es NS-Vergleiche, unter einem Post zu einem Bison, der einen Pfleger angegriffen hatte, sprach jemand von dem Pfleger als KZ-Wächter. Die entsprechende Zeilen sind allerdings inzwischen gelöscht, vielleicht hatten die Beteiligten sich über ihre eigene Sprache erschrocken.
Es ist 20 Jahre her, da hat Silke Ruthenberg die Sorge um die Sprache umgetrieben, als eine Vorstufe der Gewalt. Der Spiegel portraitierte sie, zitierte ein Flugblatt von ihr: „Schweine […] seien die primären Opfer faschistoider Wortwahl. Sensible Schweine müßten herhalten, die Immoralität von Nazi-Schergen und Massenmördern, Kinderschändern und Vergewaltigern auszudrücken, gar zu verschärfen.” Das würde ein Klima schaffen, in dem es in Ordnung erscheint, Tiere zu schlachten. Nun ist sie dabei, mit ihrer Sprache ein Klima zu schaffen, das dazu führt, dass Veganer—im besten Fall—verlacht werden. Es sind die Fälle oben, die hängen bleiben. Nicht die Argumente.
In den nächsten Tagen bekommen sowohl PETA Deutschland als auch Animal Peace die Gelegenheit, sich umfassend zu äußern. Wir werden die beiden Interviews, die geführt worden sind, in voller Länge veröffentlichen.