Zu Straße für Straßenrap – Tightill im Interview

Tightill

Ein türkisches Bistro in Berlin-Kreuzberg. Es gibt Köfte und Lahmacun, ein paar Spielautomaten und Barhocker. Wir treffen uns mit Tightill, Musiker Schrägstrich Rapper von Erotik Toy Records, die derzeit etwas haben, was man in Fachkreisen einen “Hype” nennt. Wie es dazu kam, wer Tightill ist und wie sein neues Album klingt, werden wir in der nächsten Stunde herausfinden. Aber erst mal wird gegessen. Linsensuppe und Ayran, der Klassiker.

Tightill hat soeben sein Solo-Album Infinity auf den Markt geworfen, eine spleenige Mischung diverser Musikrichtungen und Epochen. Neue Deutsche Welle trifft auf Punk trifft auf Rap trifft auf Techno. In keine Schublade zu passen, kann eben auch eine ganz wundervolle Schublade sein, sofern man denn auf der Suche nach einer ist. Ist er aber gar nicht. “Ich habe noch nie wem nachgeeifert. Hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass ich erst mit Anfang 20 begonnen habe, Musik zu machen. Da ist man aus den Teenie-Schwärmereien rausgewachsen”, erklärt Tightill, während uns jemand bittet, den Platz vor dem Spielautomaten etwas freizuräumen. Sieht er sich denn überhaupt als Rapper? “Nicht unbedingt. Auf Infinity ist alles Mögliche drauf. Ein Punksong, ein Footwork-Track, Anlehnungen an die Neue Deutsche Welle und eben Rap.”

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Tightill 1
Foto: Daan dam

Dass diese vermeintlich krude Mischung dennoch einen roten Faden hat, liegt an der Art und Weise, wie Tightill sich und seine Kunst präsentiert. Freakig, amüsant, manchmal locker, manchmal absichtlich schwer verdaulich, ohne in die Parodie abzurutschen. Infinity erscheint sowohl über die Erotik-Crew als auch über Golden Press, ein Plattenladen/Label/Verlag-Konstrukt aus Tightills Heimatviertel in Bremen. Ziemlich viel Unwägbarkeit für einen Musikjournalisten, also nochmal der Versuch, irgendeine Schublade zu finden: Ist er eventuell eine Mischung aus Blixa Bargeld, Lgoony und Alexander Marcus? “Da könnte ich mit leben”, sagt er und lacht. “Anfangs haben mich meine Freunde immer gefragt, ob ich das ernst meine. Aber da ich einfach immer weiter mache, fragt inzwischen keiner mehr.”


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Dass er das ernst meint, ist inzwischen nicht mehr zu leugnen. Schon sein Mixtape “RnB-Anarchie”, das er 2017 zusammen mit dem Erotik-Toy-Member und seinem musikalischen Wegbegleiter Doubtboy veröffentlicht hat, fand seine Hörerinnen und Hörer. Jetzt geht es gefühlt so richtig los. “Das macht einfach mega Spaß gerade, weil man so viel Aufmerksamkeit bekommt.” Dazu kommt, dass er inzwischen das Gefühl hat, “mein Produkt wie einen Ball in der Hand zu haben. Ich kann jetzt machen damit, was ich möchte.” Und manchmal wird der Ball eben einfach nur wild durchs Zimmer geworfen. Dass es musikalisch keine “Schmerzgrenzen” gibt, wie Tightill es formuliert, hört man immer wieder. “Wenn ich glaube, dass das so stärker ist, dann mach ich es einfach.” Ob das jetzt Gabber- oder Baile-Funk-Einflüsse sind, spielt da erst mal keine Rolle.

Welchen Einfluss nimmt eigentlich Bremen auf seine Musik? Der gebürtige Hanseat hat zwischendurch mehrere Jahre in Berlin gewohnt und ist jetzt zurück in seiner Heimatstadt, wo auch das komplette Album entstanden ist. “Jeder hat immer was auf dem Zettel in Berlin. Und man selber hat auch viel auf dem Zettel und dann gibt’s ja auch noch all die Ablenkungen. Bremen ist da verbindlicher. Wenn man sagt, man trifft sich morgen, um Mucke zu machen, dann trifft man sich auch.” Ein weiterer Grund, nach Hause zurückzukehren, neben den alten Homies. Aber Berlin hatte auch seine Zeit. Im legendären und von Rio Reiser besungenen Rauch-Haus fanden einst die ersten Aufnahmen statt, mit einem Freund aus Rom. “Wir haben nur englisch miteinander gesprochen, also hat es irgendwie auch Sinn gemacht, auf Englisch zu rappen”, sagt Tightill, während wir die letzten Reste der Suppe ausschlürfen.

https://www.youtube.com/watch?v=x9FV8IlSqSk

Der Schutzschild, den man sich baut, wenn man als deutscher Künstler auf englisch singt, ist inzwischen nicht mehr vorhanden. “Mir gefällt das. Ich habe das Gefühl, ich lasse die Leute jetzt viel näher an mich ran.” Ein paar Dinge aus Berlin hat er dennoch mitgenommen. Etwa die Bekanntschaft zu Asad John, einem der spannendsten Produzenten derzeit. Auch die Drunken Masters finden sich als Mitverantwortliche auf der Platte. “Asad habe ich über Donvtello kennengelernt. Wir stehen oft auf die gleiche verrückte Musik. Der Vibe ist einfach gut.” Ansonsten arbeitet er daheim viel mit seinem Hausproduzenten Florida Juicy, ebenfalls Mitglied der Erotik-Toy-Crew, zu der auch Künstler wie Skinny Black Boy, Doubtboy und Young Meyerlack gehören.

Tightills Bremer Basis besteht sowohl aus dem klassischen HipHop-Umfeld (Graffiti & Skaterszene) als auch aus Punk- und Hardcoreleuten. Dass er dennoch nie Lust darauf hatte, typische Rap-Themen zu bedienen, liegt auch an der oftmals bemängelten Eindimensionalität vieler MCs. “Es war und ist nie mein Bestreben gewesen, Rapper zu werden. Ich habe keinen Bock, nur eine Sache zu machen.” Wer sich nicht in eine der klassischen Rap-Schubladen pressen lässt, wird schnell als studentisches Kunstprojekt abgestempelt. Gerade in Berlin ist die Gefahr hoch. Es gibt die Pop-Rapper, die Art-Fraktion und die Straßenrapper. Wer sich da nirgends einreihen will oder kann, der hat es oftmals schwer bei der HipHop-Polizei. “Ich habe keinen Bock, irgendwelchen Vorbildern zu folgen. Ich mache mein eigenes Ding”, sagt Tightill, als wir satt und zufrieden den Laden verlassen. Neben Musik ist das unter anderem mit seinen Freunden an der Ecke zu cornern, skaten und Graffiti. Und wenn das nicht HipHop und Straße ist, was dann?

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