Rechtsradikale veröffentlichen Haftbefehl gegen mutmaßlichen Messerstecher von Chemnitz

Die Rettungskräfte versorgten ihn noch an der Unfallstelle, der 35-jährige Daniel H. starb dennoch. Bereits kurz nach der Ankunft im Krankenhaus in Chemnitz erlag er den Stichwunden in seiner Brust. Die sächsische Polizei hat am Montag zwei mutmaßliche Täter festgenommen und Haftbefehle gegen den irakisch- und einen weiteren syrischstämmigen Mann verhängt. Am selben Tag zogen Tausende Rechte durch die Stadt, hetzten gegen Geflüchtete und Migranten, und überforderten Sachsens Polizei und Politiker. Und Politik und Polizei sind jetzt wohl noch überforderter: Der Haftbefehl gegen den Iraker ist in den sozialen Netzwerken gelangt, innerhalb einer Stunde wurde er in der Nacht auf Mittwoch tausendfach geteilt – zum Teil ohne Anonymisierung. Rechte wie Pegida-Mitbegründer Lutz Bachmann, ein AfD-Kreisverband und ein ehemaliger FPÖ-Politiker posteten den Screenshot.

Von der Echtheit des Haftbefehls auf dem Foto kann man ausgehen, weil die Namen des Opfers, der mutmaßlichen Täter, Zeugen und der Richterin genannt werden. Es wird sogar beschrieben, wie oft und wo genau die Täter mutmaßlich auf das Opfer eingestochen haben. Das Papier wurde mittlerweile im Falle der Seite von “Pro Chemnitz” von Facebook gelöscht, die Veröffentlichung des Haftbefehls verstoße angeblich gegen die Richtlinien des Netzwerks. Doch das rechte Bündnis hatte auf seiner Seite schon zu Spenden und erneuten Protesten am Donnerstag aufgerufen. Auf einer anderen Seite tauchten auch Fotos auf, die den mutmaßlichen Täter zeigen sollen.

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Das Sächsische Innenministerium reagierte noch in der Nacht auf Mittwoch via Twitter mit den Worten: “Woher und von wem die Bilder stammen, ist für uns gegenwärtig nicht nachvollziehbar. Wir haben sofort die Kollegen im zuständigen Staatsministerium für Justiz darüber informiert, dass diese Bilder in sozialen Netzwerken existieren.” Der Bild-Zeitung soll ein Polizeisprecher am Mittwoch bestätigt haben, dass es sich um den echten Haftbefehl handelt.


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Zugang zu einem Haftbefehl hat neben Staatsanwaltschaft, Anwälten und Gericht auch die Polizei. Wie die Rechtsradikalen an das Dokument gekommen sind, sei noch unklar. Sie gaben an, es sei “geleakt” worden. Im Internet kursieren Vermutungen darüber, dass ein Mitarbeiter der Polizei Sachsen mit den Rechten kooperiert haben müsse.

In einer Pressemitteilung des Innenministeriums Sachsen vom Mittwochmorgen heißt es: “Der Sachverhalt muss nun schnellstens aufgeklärt und die notwendigen strafrechtlichen Konsequenzen gezogen werden.” Die Staatsanwaltschaft Chemnitz habe bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, so das Justizministerium. Zuständig für den Fall ist jetzt die Staatsanwaltschaft Dresden, die bis zur Veröffentlichung dieses Artikels telefonisch nicht erreichbar war.

Die Sachsen SPD spricht bereits jetzt von einem Skandal. Die Polizei müsse gestärkt werden, damit sich ein solcher Vorgang nicht wiederhole, sagt der stellvertretende Ministerpräsident und Chef der SPD im Freistaat, Martin Dulig, gegenüber dem MDR: “Es muss klar werden, dass bestimmte Sachen in der Polizei nicht mehr geduldet werden. Es kann nicht sein, dass Polizeibeamte denken, sie könnten Dinge durchstechen, obwohl sie genau wissen, dass sie damit eine Straftat begehen.”

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