Politik

Tönnies-Skandal: So kannst du Billigfleisch-Fabrikanten boykottieren

Corona-Ausbruch und Ausbeutung: Was du tun kannst, um Tönnies zu boykottieren

Erst ausbeuten, dann bei der Aufklärung mauern – ungefähr so lief es in Deutschlands größtem Schlachtbetrieb Tönnies in Rheda-Wiedenbrück. 1.331 Corona-Fälle wurden dort mittlerweile bestätigt.

Es dauerte Tage bis der Krisenstab im Kreis Gütersloh nach dem Corona-Ausbruch in der Fleischfabrik überhaupt aufklären konnte, wie massiv die Infektion vorangeschritten war. Dabei half am Ende sogar die Bundeswehr. Alle 7.000 Mitarbeitenden sind inzwischen in Quarantäne.

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Firmenchef Clemens Tönnies (hier im Bild) verlor bei einer Pressekonferenz kein Wort über die infizierten Arbeiterinnen und Arbeiter, die zumeist unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten und leben. Stattdessen sagte er, er sei selbst krank gewesen, aber jetzt “stehe ich und kämpfe an vorderster Front”. Tönnies muss nun seinen Hauptproduktionsbetrieb in Rheda-Wiedenbrück in Westfalen für 14 Tage schließen.

Zwar sind keine Fälle bekannt, in dem das Coronavirus vom Fleisch auf den Menschen übergesprungen ist. Denn um sich auszubreiten, braucht das Virus einen lebenden Wirt. Aber trotzdem hat Tönnies genug Gründe geliefert, um sich über das System Fleischproduktion in Deutschland zu entrüsten. Für Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter war das Grund genug, Supermarktketten zum Boykott von Tönnies-Produkten aufzurufen. Aber so einfach sollte man es sich nicht machen, erklärt Lebensmittelexperte Bernhard Burdick von der Verbraucherzentrale NRW im Interview mit VICE.

VICE: Herr Burdick, wie kann man die die vielen Tönnies-Produkte unter verschiedenen Markennamen gezielt boykottieren?

Bernhard Burdick: Ich würde nicht dazu raten, sich einen Täter zum Boykott rauszupicken. Es gibt überall in Deutschland unzumutbare Bedingungen über die ganze Kette hinweg.

Können Sie diese Kette kurz beschreiben?

Es fängt an bei den Arbeitern. Die ziehen immer den Kürzeren durch das unfaire Werkvertragsrecht. Das ist ein Freibrief, sie auszubeuten. Dann geht es weiter mit den Standards im Tierschutz – die Tiere können nicht vernünftig leben bis zur Schlachtung. Viele Tiere sind richtig krank. Das zeigen auch Untersuchungen: Die meisten Schweine werden im Alter von sechs Monaten geschlachtet. Doch selbst in diesem Kindergartenalter haben 15 bis 20 Prozent der Tiere schon massive Organschäden. Da stimmt was nicht im System. Ein Schwein kann ja eigentlich 20 Jahre alt werden.

Für Kontrollen dieser Betriebe fehlt das Personal – oder auch der Mut, sich gegen einen lokalen Arbeitgeber zu stellen. Und letztlich lässt der Strukturwandel Metzgereien und kleinere Bauernhöfe sterben, alles konzentriert sich auf riesige Fleischfabriken. Das sind alles Indizien dafür, dass hier etwas völlig aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Eine Untersuchung der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch und BR Recherche hat herausgefunden, dass sogar jede dritte Lebensmittelkontrolle flachfällt. Wieso?

Es wird gespart. Mehr Personal kostet Geld, deshalb finden noch nicht mal die geforderten Regelkontrollen statt.

Erinnern Sie sich noch an den Wilke-Wurstskandal vor wenigen Monaten [drei Menschen starben durch verseuchte Wurst, 37 Menschen erkrankten, Anm. d. Red.]? Da hat das eigene Kontrollsystem komplett versagt – und die externen Kontrollen auch. Trotzdem war es ein Kraftakt, diesen Betrieb dicht zu machen. Je größer eine Firma, desto mehr Arbeitsplätze gibt’s. Da haben die Zuständigen ehrlich gesagt oft eine Beißhemmung, die Standards auch wirklich durchzusetzen.

Angenommen, ich mag trotzdem Fleisch. Wie treffe ich eine bessere Wahl?

Das ist nicht ganz einfach. Es gibt seit kurzem auf den Fleischpackungen Haltungsformen in den Stufen 1 bis 4. Das Problem ist, dass Sie in den Supermärkten fast nur Stufen 1 und 2 finden. Das ist viel zu niedrig, was das Tierwohl angeht. Zwischen Stufe 1 und 2 besteht nur ein winziger Unterschied. Ab Stufe 3 wird es besser, da haben Tiere zum Beispiel schon ein wenig Auslauf, statt auf der Größe eines DIN-A-4-Blatts zu leben und zu sterben. Aber genau das finden Sie so gut wie nie. Und Stufe 4 gibt es fast nur als Bio-Ware. Das kostet aber ein Vielfaches von konventionellem Fleisch.

Und in der Gastronomie, im Dönerladen oder an der Tankstelle?

Da haben Sie leider kaum eine Chance, zu wissen, woher das Fleisch kommt.

Nicht jeder kann sich ein Kilo Bio-Hähnchen für 30 Euro leisten.

Richtig, und die niedrigen Preise werden auch immer wieder Verbrauchern in die Schuhe geschoben. Aber die werden ja nicht als Schnäppchenjäger geboren. Wenn ich vor einem billigen und einem teuren Produkt stehe und ich keinen richtigen Qualitätsunterschied erkennen kann, handele ich rational, wenn ich das billigere einpacke. Am zu niedrigen Preisniveau sind die Einkäufer des Handels weitaus mehr Schuld als die Einkäufer der Haushalte.

Die Gewinnmarge in dieser Branche ist hoch, man kann mit Fleisch irre viel Geld verdienen. Warum haben sich nicht schon längst höhere Standards durchgesetzt?

Vielleicht, um noch mehr Geld zu verdienen? Durch die Coronakrise hat der Gastrobereich monatelang nichts abgenommen, Lieferketten wurden unterbrochen, das drückt nochmal auf die Preise. Alle paar Wochen gibt es dann Preisschlachten zwischen den vier Handelsketten, die den Markt kontrollieren. Das geht meistens so: Aldi setzt den Preis, die anderen ziehen nach. Da herrscht ein ganz harter und konzentrierter Kampf um Marktanteile.

Es ist klar, dass ein einzelner Konsument nicht das ganze System umwerfen kann. Aber was kann ich wirklich machen, wenn ich solche Tönnies-artigen Betriebe, die Menschen und Tiere ausbeuten, nicht unterstützen will?

Wenn Verbraucher Druck machen und sagen, ich will aber Stufe 3 haben, dann bewegt sich vielleicht etwas. Diese Haltungsform 3 hat ihren Charme, denn sie ist nicht so teuer und wirklich viel besser als die Stufen 1 und 2. Ansonsten gibt es noch Label des Tierschutzbundes oder von Neuland, auf die man achten kann. Leider gibt’s die nicht überall. Wenn Sie bei einem Metzger oder in einem Hofladen nach der Herkunft fragen können, machen Sie das. Vielleicht kommt es von einem Landwirt aus der Region, das wäre schon mal nicht so schlecht für Mensch und Tier. Aber wie gesagt, das ist alles nicht ganz einfach.

Angenommen, jemand möchte Tönnies-Produkte boykottieren: Würde es genügen, alle Packungen liegen zu lassen, auf denen unter “Schlachtung” “Rheda-Wiedenbrück” steht oder muss man auf etwas anderes achten?

Sie erkennen die Betriebe am sogenannten ID-Kennzeichen. Das ist auf allen tierischen Produkten drauf, auch bei Milch. Das ist ein Oval, in dem “DE” für Deutschland, dann ein Bundesländerkürzel wie “NW” für Nordrhein-Westfalen steht und am Ende “EG”, was anzeigt, dass das Produkt in der EU zugelassen ist. In der Mitte steht eine Betriebsziffer für jede Firma. Diese Ziffer kann man mit einer Suchmaschine auf der Website des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit finden.

Aber in die Richtung eines einzelnen Boykotts möchte ich Verbraucher gar nicht treiben. Viele andere machen ja genau die gleichen Fehler. Schlachthöfe bundesweit sind Hotspots für Ausbeutung.

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