Am 22. November werden wir die erste Dekade Merkel hinter uns lassen. Am 22. November 2005 wurde Angela Merkel Bundeskanzlerin. Exakt drei Monate vor ihrem zehnjährigen Jubiläum stellte sie die Biografie ihres Vorgängers vor.
Schröder war 1998 aufregend. Nach 16 Jahren Kohl versprach er Veränderung und ein neues Gesicht. Für diejenigen, die damals zum ersten Mal wählen konnten, und die, die kurz davor waren und anfingen, ein politisches Bewusstsein zu entwickeln, war der Schröder-Wahlkampf ein prägendes Erlebnis. Es ging dabei zugegebenermaßen hauptsächlich um irgendeine „Veränderung” und diffuse Slogans über eine neue Mitte, aber immerhin eine Mitte, die von der SPD dominiert werden sollte und nicht mehr von der CDU und Helmut Kohl, der eine ewige Kanzlerschaft anzustreben schien. Die SPD erreichte 40,9% in der Wahl, die CDU verlor 6,3% und hatte nur noch 35,1% der Stimmen.
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Schröder war weit charismatischer als Kohl und wirkte wie ein deutscher Bill Clinton. 1999 sorgte eine von Peter Lindbergh fotografierte Strecke in Life & Style (einer schon seit Ewigkeiten eingestellten Zeitschrift) für Aufsehen, in der der damalige Kanzler in Brioni-Anzügen zu sehen war.
Aber dann ging auch schnell wieder alles den Bach runter. Die anfängliche Euphorie wurde schal, als die rot-grüne Regierung die Bundeswehr 1999 zum ersten Mal in der Geschichte der BRD aktiv in einen Krieg schickte. Mit der Agenda 2010 beerdigte die Sozialdemokratie sich 2003 dann erstmals selbst, indem sie den Kündigungsschutz lockerte, Leistungen der Krankenkassen strich und Hartz IV einführte (natürlich alles zusammen mit den Grünen). Über die tatsächliche Wirkung der Agenda für die Wirtschaft wird heute noch gestritten.
Nach der Vertrauensfrage im Bundestag und vorgezogenen Neuwahlen war die SPD nicht mehr die stärkste Fraktion (mit 34,1% damals das drittschlechteste Ergebnis in der Geschichte der SPD, die Zukunft sollte zeigen, dass noch viel Platz nach unten da ist, momentan liegt die Partei bei 24 Prozent in der Sonntagsfrage). In einer großen Koalition ist es üblich, dass die größere Fraktion den Kanzler stellt. Bei der Elefantenrunde am Wahlabend konnte das TV-Publikum dabei zusehen, wie ein Stern verglühte, als Schröder sich live einfach weigerte zu akzeptieren, dass seine Kanzlerschaft vorbei ist.
Und dann kam Angela Merkel. Charismatechnisch das Gegenteil ihres Vorgängers. Eine Wissenschaftlerin, die die öffentliche Meinung über sich selbst, zumindest im Schröder’schen Sinne wenig zu interessieren scheint. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger, der sein Privatleben geradezu in die Öffentlichkeit zerrte und mit furchtbar männlichen Ecken und Kanten kokettierte, wirkt Merkel wie aus Teflon. Ihr Mann, Joachim Sauer, spricht in der Öffentlichkeit ausschließlich über seine Forschung. Familie und Privatleben finden in den Medien praktisch nicht statt.
Gleichzeitig ist ihre gefühlte Macht soviel größer. Schröder wirkt im Nachhinein wie ein betrunkener Provinzfürst, während Merkel wie ein Supermensch die Geschicke von Europa in Händen zu halten scheint. Egal welche Krise gerade passiert, Spendenaffäre, Finanzkrise, Fukushima, Eurokrise, Merkel ist am Ende immer stärker und mächtiger und bietet praktische keine Angriffsfläche.
Kritik an Merkel ist deswegen auch immer ein bisschen verzweifelt und läuft ins Leere. Wenn die Kanzlerin Bauchschmerzen wegen der Homoehe hat, schreien alle kurz auf, aber es ändert sich nichts. Merkel ist auch die Lieblingsfeindin der „Asylgegner” da draußen, die sich heiser kreischen können und doch außer einem freundlichen Winken keinerlei Reaktion der Kanzlerin erhalten. Andere Angriffe aus dem recht(sextrem)en Lager perlen genauso von ihr ab, was Kritiker natürlich trotzdem nicht davon abhält, sich vor Wut auf dem Boden zu wälzen wie ein Kind an der Supermarktkasse, das kein Überraschungsei bekommt.
Nichtmal von links gibt es große Kritik an Merkel selbst, die kontinuierliche Verschärfung des Asylrechts, die NSA-Affäre passieren scheinbar abseits der Kanzlerin. Und linke Politik beschäftigt sich in der Ära Merkel eher damit, die Kritiker der Kanzlerin zu bekämpfen, statt ihre Politik selbst zu kritisieren. Was auch nicht ungerechtfertigt ist, wenn man sich diese Leute näher anschaut.
Zum fast-zehnjährigen Jubiläum kommen Schröder und Merkel also wieder zusammen. Schröder hat die vergangenen zehn Jahre damit verbracht, russisches Gas zu promoten und wirkt ein bisschen wie der Typ, in den man als Teenager verknallt war und bei dem man heute nicht mal mehr im Geringesten verstehen kann, warum. Und Merkel ist Merkel. Sie wirkt sympathisch, ein bisschen unnahbar und man versteht nicht so ganz, was sie dazu bewegt hat, dieses Buch zu präsentieren. Gegenüber Schröder wirkt sie freundlich, aber distanziert und erzählt dann doch eine Geschichte über den Kuchen, der sie vor zehn Jahren im Kanzleramt erwartet hatte: „Das fand ich toll.”