Tschüss, Rammstein—Diese Musik spielt es jetzt bei Perchtenläufen

Brauchtumspflege ist, trotz einiger unverrückbarer Grundgesetze, wie alles andere auch dem Wandel der Zeit unterworfen. So auch die am Land beliebten Perchtenläufe. Wenn es früher noch genügte, eine halbe Flasche Jägermeister zu exen, sich Pelz und Maske überzustreifen und dann gemeinsam mit Gleichgesinnten und bengalischen Feuern in der Hand, durch die Hauptstraße des Ortes zu marodieren, läuft das heute anders. Natürlich ist es immer noch gang und gäbe, dass die als Dämonen verkleideten Menschen vorzugsweise weiblichen Teenagern die Wadln grün und blau schnalzen und auch zum einen oder anderen Schluck Glühwein nicht nein sagen, aber die Vorgaben haben sich geändert. Strenge gesetzliche Regelungen hinsichtlich Brand- und Jugendschutz sowie Bürgermeister, die nicht besonders erpicht auf verrußte Fassaden und knöcheltiefen Dreck im Ortskern sind, haben die Perchtenläufe fast überall an entsprechend gewidmete Plätze am Ortsrand transferiert.

Und ebenso wie die Örtlichkeit hat sich auch der Ablauf gewandelt—statt einfach nur Radau zu machen, bieten straff organisierte Perchtengruppen heute durchdachte und choreografierte Mini-Dramen, die sich wie eh alles im Christentum—heidnischer Ursprung hin oder her—um Schuld und Sühne drehen. Damit die moderierte Geschichte auch entsprechende Musikuntermalung mit Pfiff hat, bedienen sich die Musikbeauftragten der Perchtengruppen gerne an einschlägigen Genres. Bewegung ist auch hier merkbar. Ich präsentiere euch nach einem steirischen Abend mit Shazam und Glühwein die Musiktrends bei Perchtenläufen 2016. Spoiler: Es kommt weniger Rammstein vor, als ihr denkt.

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Vor, zwischen und nach den Durchgängen der Perchtengruppen freilich muss man Gabalier, Die Stoakogler, The Village People, Drafi Deutscher und natürlich die Zillertaler Schürzenjäger ertragen. Damit die Jägermeister-Umsätze passen, gibt der typische Land-DJ alles und spielt die Saufklassiker rauf und runter. Lediglich in jenem kurzen Veranstaltungsteil, in dem ein “Nikolo” Süßigkeiten verteilt, lässt der gerne Michael Buffer imitierende Meister am Mischpult einen Funken Geschmack vermuten, als zwischen den üblichen Weihnachtshadern von Jose Feliciano und Chris Rea auch mal Dolly Parton zu hören ist. Das war es aber auch schon.

Wenn nun also im abgesperrten Bereich die Perchten wüten, gibt es schon auch klischeehaftes Düsterwerk von Rammstein oder Slipknot zu hören, mit aber je nur einem Song vertreten. Die völlige Absenz früherer Perchten-Evergreens von etwa Unheilig oder Nightwish lässt vermuten, dass sich die Hörgewohnheiten im Gegensatz zu den Trinkgewohnheiten doch sehr verändert haben. Pseudo-cineastischer Bombast von Globus oder E Nomine trägt meist den moderierten Teil der Show. Ganz stark vertreten dieses Jahr mit gleich vier Songs: das deutsche Metal-Urgestein Grave Digger, die mit ihrem zeitlosen Haudrauf-Geriffe die ideale Untermalung für den Teil liefern, wo die Perchten ihre Kuhschwänze auf die Zuschauer-Hosenbeine loslassen und wild gestikulierend durch brennende Strohballen stapfen. Some things never get old.

Auch dabei: Dimmu Borgir—war ja fast zu erwarten. Weniger breitenwirksam, aber durchaus passend gibt es dazu auch was von Varg auf die Ohren. Lacrimosa scheint also 2016 auch schon nicht mehr ganz dem Geschmack der aktuellen Musik-Auskenner zu entsprechen. Im Laufe des Abends wird mir langsam klar, dass geschminkte, gitarrenschwingende Bands auch beim Brauchtum am Land immer mehr Terrain an Künstler aus dem Elektrofach abgeben müssen. Tracks von Subsource tauchen da auf, Knooper & Smacktown oder Varien. Tracks von Künstlern also, die man nicht unbedingt auf jedem x-beliebigen Gothic- oder Metal-Sampler findet. Auch wenn mittlerweile Dubstep in die Tracklists der Perchtenläufe Einzug gehalten hat (was auch immer man davon halten mag), tröstet der Verzicht auf Einschlägiges von Skrillex. Stattdessen feuert der DJ, der mittlerweile eh nur noch ausführender an den Reglern ist, Tracks von Celldweller, KillSonik oder Dubsidia vom vorbereiteten USB-Stick. Hört, hört.

Immerhin kein EDM von der Stange, auch wenn eingestreute Tracks von beispielsweise DJ Maca Atomix & Corpse on Fire schon eher an ein Festival als an altehrwürdige Heidenbräuche erinnern, aber bitte. Zwischendurch gibt es ja eh zum Runterkommen immer wieder hanszimmerige große Gesten von Künstlern wie Lisa Gerrard, aber zumindest bleibt einem so Andrea Bocelli oder gar Helene Fischer erspart.

Unterm Strich also durchaus interessant, wie sich durch die Professionalisierung der Perchtenszene auch der Musikzugang diversifiziert hat und einem breiten Publikum in einem urtraditionellen Kontext Nischen präsentiert, die man sonst weder beim gewöhnlichen Fortgehen oder im Rundfunk mitbekommt. Unerschütterlich aber trotzdem mittendrin:  der typische Dorf-DJ, der seit Jahren den selben Partysampler spielt, den Volks-Rock’n’Roller gut findet und alle zwei Minuten die Hände sehen will. Brauchtum halt.

Header, sowie alle Fotos sind vom Autor.

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