Die Souvenirläden am Frankfurter Römer bieten mit Börsenzinntellern, Äpplewoibembeln und Marzipanfrankfurtern auf Papptellern im Grunde genau jenen Unrat, der großdeutsche (Früh-) Rentner seit Generationen in Autobussen durch die Republik treibt. Gräbt man sich jedoch vorbei an Euro-Aschenbechern und grenzwertigen Deutschlandtrikots findet sich schließlich auch ein T-Shirts, das bezeichnenderweise ganz hinten im Laden stapelweise aus offenen Kartons quillt: darauf prangt der Schriftzug „Frankfurt – Hauptstadt des Verbrechens“ über der stilisierten Skyline. Es unterstreicht damit einen Ruf der hessischen Großstadt, der ihr trotz aller Öffentlichkeitsarbeit immer noch vorauseilt. Denn abseits von herzerwärmenden Deutschlandklischees steht Frankfurt nach wie vor für ein gravierendes Drogenproblem, sein Rotlichtmilieu und eine der gewaltbereitesten Fußballfangemeinden der Republik.
Kurzum, Frankfurt ist eine Reise wert, um unseren Kenntnisstand in den angesprochenen Fachbereichen zu vertiefen. Gut, dass wir mit Twin einen Reiseführer an der Hand haben, der zumindest in zwei der genannten Punkte einen entsprechenden großen Wissensvorsprung bereit hält: Neben seiner wiederaufkeimenden Rapkarriere, welche auf dem Frankfurter Label „Echte Musik“ rund um Rapper wie Jonesmann, Jeyz, Blaze und nicht zuletzt Haftbefehl begann, blickt der knapp 30-Jährige auf eine Laufbahn als Türsteher im Frankfurter Milieu und als Mitglied der Frankfurter Hooligan-Gruppierung Brigade Nassau sowie eine gewisse Nähe zum Hell’s-Angels-Umfeld zurück. Wir trafen den Rapper in Frankfurt, um mit ihm über seine Stadt, seine Musik, die Brigade Nassau und das Rotlichtmilieu zu sprechen, und sitzen schon bald mit einem im Gespräch sympathisch rüberkommenden Mann am Tisch, durch dessen Leben sich das Thema Gewalt wie ein roter Faden zieht.
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Noisey: Du bist im Taunus, also außerhalb Frankfurts aufgewachsen. In einem Interview hast du mal gesagt, dass es für dich härter war, auf dem Dorf aufzuwachsen als in der Stadt.
Twin: Na ja, das Harte ist ja nicht, im Dorf aufzuwachsen, man wächst dort ja behüteter auf als in der Großstadt. Aber wenn du halt ein Gewaltpotential hast und stößt dann auf Großstädter, dann musst du dich natürlich ganz anders behaupten. Also musste ich mich öfter beweisen als ein Großstädter, egal ob im Kampfsport oder in der Musik.
Und mit Musik hast du aber ebenfalls außerhalb angefangen?
Ja, damals hatte ich meine erste Crew, die Jugded Boys. Zu allererst habe ich den Iz von Konkret Finn kennengelernt. Er hat mir alle Leute vorgestellt, so halt auch den Real Jay, den Bruder von Jonesmann. Dann ging es mit den Auftritten los, unser erster Auftritt war im Bahnhofsviertel in einer Stripbar. Da wurden dann auch die Frankfurter auf uns aufmerksam.
Wann ging das mit der Hooligansache für dich los?
Das fing vor meiner Zeit bei Echte Musik, also 2008/2009, an, ab dann wurde ich aktiv auf dem Acker, Wald und Wiese und so. Das hat mich auch alles viel stärker nach Frankfurt gezogen. Durch die Brigade Nassau kam ich an die Türen, habe als Türsteher gearbeitet und hatte zwangsläufig nur noch mit Frankfurtern zu tun. Und das eben auch musikalisch.
Du hast es schon selbst angesprochen: Du hast Gewaltpotential. Kannst du nachvollziehen, woher das bei dir kommt?
Ich wünschte, ich wüsste es, weil dann könnte ich es ja abstellen. Ich habe keine Ahnung, woher es kommt. Selbst wenn ich gute Laune habe, es kommt so schnell. Mir macht das ja auch Bock. Wenn ich schlechte Laune habe, habe ich eher keine Lust, weil ich weiß, dass ich dann total durchdrehe. Das ist einfach Gewalt bei mir, aber ich weiß auch nicht warum. Schlimme Kindheit oder so.
Du hast dieses Thema auch auf mehreren Songs angeschnitten.
Meine Mutter war halt recht jung und dann bekam sie gleich Zwillinge. Sie war 21 damals, zweieinhalb Jahre später kam dann noch mein kleiner Bruder. Dann hat sie sich von meinem Vater getrennt, der hat sich nicht mehr gemeldet, den kenn ich nicht. Dann zieh mal mit 23, 24 drei Kinder groß. Dadurch, dass sie arbeiten gegangen ist, waren wir oft alleine. Wenn du dann draußen rumfliegst und immer der große Bruder bist und dein Zwillingsbruder immer dabei ist, dann lässt du dir von den Größeren nichts sagen und willst dich messen. Dann fängt die Schule an und die Gesamtschule, dann lernt man andere Leute kennen. Ich denke, das kommt davon, dass ich viel alleine gewesen bin.
Abends holt mich Twin am Bahnhof ab, in der Nacht will er mit einigen Rappern einen XXL-Remix zum Song „Hoffnung“ aufnehmen, der gerade auf seinem neuen Mixtape 13 vor 12 erschienen ist. Auf der Fahrt in den Taunus erzählt er mir begeistert, dass er spontan eine ganze Reihe an Leuten zusammentrommeln konnte. Als wir das Auto abstellen, sind wir mitten auf dem Land. Das Studio befindet sich zusammen mit einigen Proberäumen im Rückgebäude eines Bauernhofs. Das Zimmer ist bereits gesteckt voll. Neben den Newcomern Blut und Kasse und Pedaz warten bereits Blaze, Sängerin Marcella und die Rapper Born und Bleck. Bald stoßen Toony und Cashmo hinzu, um jeweils ihre Parts zu schreiben und parallel ein Video dazu zu drehen. Später sollen auch noch Vega, Bosca und Jonesmann ihre Parts beisteuern. An diesem Abend merkt man Twin die Freude über die spontane Aktion sichtlich an.
Dein ehemaliges Label „Echte Musik“ schloss 2011. Wie sah es für dich denn musikalisch danach aus? Konntest du überhaupt weiter Musik machen?
Doch klar, ich habe weiter mit Jonesmann gearbeitet. Aber die ganze Szene hat ‘nen anderen Werdegang gemacht. Jeder wollte nur noch Rapper hören, die von Kokain, Nutten und Waffen gerappt haben. Das fand ich nicht cool. Dementsprechend waren auch die Fans. Da stehen dann hundert Halbstarke in Lederjacke und Boxerschnitt und starren auf die Bühne, als wollen sie dich angreifen. Und hinterher kommen sie dann her und wollen ein Autogramm haben. Für solche Leute will ich keine Shows machen.
Und wie kommt es, dass du jetzt wieder aktiv bist?
Ich wollte ja nicht wirklich aufhören, ich hatte nur eine Zeit lang keinen Bock mehr. Irgendwann habe ich jemanden kennengelernt, der ein Studio hatte. Vega hat mich mit auf Tour genommen und mich überredet, wieder aufzutreten. Die größten Motivationsschübe gibt der Toony mir. Das ist mein Motivationstrainer, mein Seelenklemptner am Telefon. Ich brauche immer Schübe von außen, ich helfe lieber anderen, als dass ich mir selber helfe. Das war schon immer so.
Auf dem Weg zurück nach Frankfurt erzählt mir Bleck, selbst engagierter Eintracht-Frankfurt-Ultra von kürzlichen Keilereien mit Fans von APOEL Nikosia. Auch Vega und sein Partner Bosca sind aktive Ultras und irgendwie scheint selbst bei der Recordingsession das Thema Fußball präsent zu sein. Als ich Twin am nächsten Abend in einem Irish Pub treffe, erzählt er mir von den Randalen einiger Offenbacher Hooligans, die die Weihnachtsfeier der Brigade Nassau nutzten, um unbehelligt in Frankfurt Alarm zu machen. Offensichtlich gehört so etwas in Frankfurt zum Tagesgeschäft.
Wie kamst du überhaupt zum Fußball?
Eigentlich habe ich mich für Fußball an sich nie interessiert, ich war Basketballer. Ich habe halt schon immer Kampfsport gemacht, hatte da einen Kumpel, der hat mir Videos gezeigt und meinte: „Ey, komm mal mit!“ Da habe ich gesagt: „Ihr seid doch verrückt, hau ab. Ich box mich doch nicht ohne Grund.“ Irgendwann hatte ich eine Zeit, da war ich nur abgefuckt, depressiv, schlecht drauf und da habe ich gesagt, ich komm mit, ich muss jemandem aufs Maul hauen. Mich juckt daran nur die Gewalt, nicht mal unbedingt die Stadt. Ich habe nicht wie die meisten extremen Fans den Hass auf die anderen Städte, ich habe einfach nur Bock, mich zu boxen, und den Anderen danach aber auch die Hand zu schütteln und dann ist gut.
Du sprichst die Brigade Nassau und das ganze Thema recht offen an.
Ja, das gefällt vielleicht nicht jedem. Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er das an die große Glocke hängt. Ich habe nur das zu erzählen, das ist mein Werdegang und mein Leben. Ich mag nicht über Frauen und Geld und Autos und Schwimmbad und Grillpartys rappen. Das würde mir keinen Spaß machen, alles schon probiert. Wenn dann der ein oder andere denkt, dass ich da zu viel erzähle, dann soll er sich aber auch nicht filmen lassen auf dem Acker. Es gibt halt aber auch Leute bei uns, die sind Versicherungsmakler, Unternehmensberater. Die kommen eben nicht in die Videos rein oder ziehen Masken auf. Dadurch, dass ich HipHop mache und im Milieu arbeite, kann mir das egal sein.
Für einen Außenstehenden wie mich wirkt die ganze Ultra- und auch Hooligan-Szene in Frankfurt extremer als in anderen Städten. Ist da was dran?
Die Frankfurter Ultras sind mit Abstand die krassesten. Die machen am meisten, die gehen am meisten ab. Frankfurt ist da ganz vorne. Die Ackerleute, so Wald. und Wiesenkämpfer, das ist wieder eine andere Sache. Frankfurt ist schön asozial, ein guter Haufen. Wir stellen uns immer und kämpfen immer. Aber der Osten ist halt das krasseste, was dir passieren kann.
Auch in der Frankfurter Rapszene gibt es einige Hardcore-Ultras.
Ja, da gab ja vor Kurzem auch einen Zwischenfall in einem Hotel, da haben ein paar Leute eine Bank durchs Fenster geworfen und Bengalos geworfen. Die sind schon verrückt. Die gehen richtig vorwärts, aber stärker auf die Stadt und das Spiel bezogen. Ich freu mich, wenn die Eintracht gewinnt, aber ich habe Bock, mich zu prügeln, da mach ich das nicht abhängig von einem Fußballverein. Der kann dritte Liga sein, was weiß ich, Hauptsache, wir haben einen Mob von 15, 20 Mann und es geht los.
Nachdem Hooligan-Termine ja von den Fußballspielen losgelöst sind: Ist die Polizei da besonders hinterher?
Die sind auf jeden Fall hinterher. Es gibt schon Gruppen, die dann hochgehen und es sind eben immer dieselben, die hochgehen. Also muss da irgendwo der Maulwurf drin sein. Im Normalfall, Sonntagmorgen irgendwo am Rastplatz: Da dauert das Parken und das Umziehen länger als der Akt selbst. Wenn man sich da nicht zu dumm anstellt, dann findet das auch statt. Nur ganz selten kommen die Bullen dazwischen. Ich selber habe das zum Glück noch nicht erlebt.
Und wie lautet dann die Anzeige? Landfriedensbruch?
Da bekommst du die komplette Liste: Landfriedensbruch, Widerstand gegen die Staatsgewalt, gefährliche Körperverletzung, organisiertes Verbrechen und Versicherungsbetrug. Weil du gehst ja nicht ins Krankenhaus und sagst: Ich habe mich geprügelt. Was dann davon übrigbleibt, ist halt die Frage. Aber Widerstand gegen die Staatsgewalt kommt ja so oder so, weil keiner würde sich einfach verhaften lassen.
Nun bist du Security in einem FKK-Club. Wie bist du da hin gekommen?
Das ging etwas früher los. Erst mal an kleineren Türen, dann an größeren Türen und dann eben mehr und mehr mitten in Frankfurt. Das Fußballding hat das auf jeden Fall gefördert, da wirste gefragt, ob du Bock hast, eine Tür zu machen und so kommste rein. Das eine führt zum anderen. Von der Tür eben zum Milieu dann.
Da erlebt man gerade am Bahnhof sicherlich krasse Sachen.
Boah, na klar, Mann, was es da schon gekracht hat. Ich bin froh, dass ich nicht mehr direkt an der Tür stehe. Das ist gutes Geld, für die drei Tage, die du die Woche da stehst. Aber die drei Tage machen dich nervlich so kaputt, dass die restliche Woche für’n Arsch ist. Die Schlägereien oder Stechereien an sich find ich nicht so schlimm, aber die Folgen halt, die Verletzungen. Wenn da ein Freund liegt und fast am sterben ist, weil er in den Hals oder in den Bauch gestochen wurde. Das ist halt das Schlimme. Die Schlägerei juckt mich nicht. Aber das Aufwachen danach: Gott, was ist hier gerade passiert? Das dröhnt dann, das zerrt an dir.
Abends sind wir wieder am Bahnhof unterwegs und kommen wieder an der Bar vorbei, an der ich Twin ursprünglich getroffen hatte. Durch die Fensterscheiben sieht uns der Chef des Ladens, wir betreten kurz die Bar, um ihm die Hand zu schütteln. Vor mir steht der deutsche Rotlicht-Stereotyp, ein solariumgebräunter Mann jenseits der 40, Schnurrbart, kurze grauen Haare, ein gewinnendes Lächeln und einen Händedruck, der Bände spricht. Ich kenne ihn aus einem Musikvideo von Twin, er eröffnet den Song mit seinem camouflagefarbenem Bentley und der unübersehbaren Hell’s-Angels-Bauchtasche. Willkommen im Milieu.
Dein Video „Frankfurter Jungs“ mit Hassan Anouri soll an Detlef Block erinnern, eine Frankfurter Milieugröße. Wie kam es dazu?
Hassan kannte Detlef persönlich, meine Verbindung kam eben durch die Hooligan-Szene und die Hell’s Angels. Detlef hat ja die ganzen Immobilien gemacht, die ganzen Puffs und so weiter. Hassan wollte halt nicht einfach nur einen Song machen für die Hools und Frankfurter Jungs und so, sondern eben einen roten Faden haben. Er hat auch das Konzept für das Video entwickelt, der Chef der Bar hier hat es finanziert. Wir wollten es Detlef widmen, er ist einfach eine Frankfurter Ikone.
Für Unwissende: Kannst du kurz das Frankfurter Milieu beschreiben? Wen macht das aus?
Na ja, Rotlichtmilieu halt, also Hell’s Angels. Das ist schon in deutscher Hand, obwohl auch viele Albaner im Milieu tätig sind. Aber es ist schon alte Schule, alles im Griff gehalten. Natürlich gibt’s da jetzt auch viele Rumänen und so, aber die Häuser sind alle in deutscher Hand.
Im „Frankfurter Jungs“-Video trägst du auch ein Hell’s-Angels-Supporter-Shirt.[Lacht] Ich habe halt viel mit denen zu tun, viele Freunde sind bei denen. Selber wollte ich auch mal Rocker werden, aber das habe ich mit der Geburt meiner Tochter auf Pause gestellt.
Was macht denn das Rockerdasein aus?
Das Freiheitsgefühl. Der Lifestyle ist einfach geil, die Leute. Wenn du an der Tür arbeitest, lernst du zwangsläufig alle Gruppierungen kennen. Seien das Hooligans, Streetgangs, Boxclubs, Rocker. Du lernst, auf wen du scheißen kannst und auf wen du aufpassen solltest. Ich kam direkt an eine Tür in Sachsenhausen, wo eh nur Hooligans waren. Danach dann eine Tür, die komplett in Hell’s Angels Hand war. Du lernst die Leute kennen, dann hängst du ab, dann bauen sich Freundschaften auf. Dann biste halt da am Start. Da kommt keiner und sagt: Du bist jetzt bei uns, schau dir das mal an. Da gibt’s keine Scouts oder so wie bei kleinen Streetgangs.
Gerade im HipHop ist das sehr in Mode gekommen, so eine Connection zu zeigen.
Das ist ja das Traurige, deshalb zeig ich das auch in keinem anderen Video. In diesem eben schon, weil wir eben auch so auf der Beerdigung waren und da geschlossen hingelaufen sind. Abgesehen davon lasse ich das aber außen vor, das eine ist HipHop und das andere ein Rockerleben. Das gehört da nicht hin.
Fler hat bei TV Total zum Beispiel einen Supporter-Sweater getragen.
Ich weiß nicht, welchen Werbevertrag er da hatte oder welche Auflage, dass er das macht. Wenn der ein oder andere meint, er muss da Schutz zahlen, dann soll er das machen. Ich zahl kein Schutz, ich würde mich da schon stellen und wenn ich da unterlegen bin, dann kann er von mir wenigstens nicht sagen, dass ich mich nicht gerade gemacht habe. Ich würde da niemals Unmengen Geld zahlen für irgendwelche Gruppierungen, damit die Kids denken, ich bin krass.
Die Abreise aus Frankfurt rückt die beiden vergangenen Tage in ein anderes Licht. Hatten wir unsere kleine Runde durch die Abgründe der Stadt mit einem eher angespannten Gefühl begonnen, wirkten Twins Erzählungen rund um Hooligans, Ultras, das Milieu und seine Rockeraffinität unprätentiös und natürlich. Seine Alltäglichkeiten eben und zugleich ein Lebensweg, für den sich der Frankfurter ohne sichtbare Bauchschmerzen entschieden hat. Ein Mikrokosmos, der mit etwas Abstand betrachtet wieder ähnlich befremdlich wirkt, wie zu Beginn. Und ein fester Bestandteil der Mainmetropole, genauso wie der am Frankfurter Römer feilgebotene Touristenquatsch um Börsenzinnteller und Marzipanwürstchen.
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