Drogen

Überdosis Ketamin: Wie ich ins ‘K-Hole’ fiel

Tanzende Jungs in Sporthose

Ich spüre die Treppenstufen unter mir. Meine Freundin hält mich unter den Armen, schleift mich Richtung Ausgang. Berghain, irgendwann im Sommer. Der Berliner Club, für den jährlich tausende Touristen in die Hauptstadt reisen. Um zu feiern. Um Drogen zu nehmen. Um zu ficken. Bopp, bopp, bopp. Die Treppen. “Toni, Toni – bleib bei mir”. Ich höre meine Freundin, wie sie meinen Namen ruft. Aber bewegen kann ich mich nicht. Ich habe keine Kontrolle über meinen Körper. Der Grund? Ich habe eine Überdosis Ketamin genommen. Diese Nahtoderfahrung, denke ich rückblickend, hat mich gezwungen, erwachsen zu werden.

Wochenende in Berlin. 23 Uhr. HipHop dröhnt aus unserem DriveNow. Meine beste Freundin und ich schreien aus dem Fenster. Wir wollen feiern, trinken, Spaß haben. Halt beim Späti. Drei Flaschen Wein und Sekt.

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“Lass’ uns ins Berghain gehen”, sage ich. Es ist mein zweites Mal dort. Beim ersten Mal war ich stocknüchtern, heute bin ich hackedicht. Aber ich will mehr. Ich will den Kick.


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Ich werfe eine ganze Tablette nach. “Bist du bescheuert?!”, schreit meine Freundin mich an

Wir gehen die Metall-Treppe hoch zum Techno-Dancefloor. Der Beat langweilt mich. In der Panoramabar läuft Rihanna. Langweilig. In den abgelegenen Gängen sehen wir Pärchen rummachen. Ich schaue im Darkroom vorbei. Immer noch langweilig. Wir gehen auf die Toilette. Immer wieder schließen sich Gruppen in den Toilettenkabinen ein. Was ein Klischee, denke ich. Ich will sofort dazugehören. “Nimm’ eine halbe Tablette”, hat der Dealer gesagt. Später stellt sich heraus: Es ist Ketamin, was sonst eher geschnupft wird. Meine Freundin und ich spülen jeweils eine halbe am Waschbecken runter. Nach zehn Minuten – nichts. Ich werfe eine ganze Tablette nach, spüle Wasser hinterher. “Bist du bescheuert?!”, schreit meine Freundin mich an. Hier beginnt der Spaß und damit auch der Absturz.

Ketamin beschleunigt die Herzfunktion und erhöht den Blutdruck, was für Menschen mit einem schwachen Herzschlag bei Operationen gut ist. Anästhesisten nutzen es als Vollnarkosemittel. Wie viel ich mir an diesem Abend reingepfiffen habe, weiß ich nicht. Ich weiß nur: Ich wollte mich um jeden Preis betäuben, meine Gefühle nicht spüren, nicht mit mir selbst sein. Ketamin ist dafür ein gutes Mittel.

In geringen Dosen wirkt Ketamin euphorisierend, ähnlich wie Alkohol. Man kann davon Halluzinationen bekommen. Die Wahrnehmung von Raum und Zeit wird beeinflusst. Wenn es blöd läuft, man zu viel nimmt und dazu Alkohol trinkt, kommt es zum K-Hole.

Techno-Tanzfläche. Die Beats hauen rein. Ich kenne die Menschen um mich herum. Eine Arbeitskollegin, ihre Pupillen heute so groß wie Unterteller. Meine beste Freundin neben mir. Ich werde eins mit den Rauchschwaden. Meine Freundin geht auf die Toilette.

Auf einmal stehen halbnackte Männer in Ledergeschirr um mich herum. Wie ein Bühnenbildwechsel im Theater – und ich habe in dem Moment die Augen zu. Ich bin verwirrt, nehme alles nur noch verschwommen wahr. Ich wanke. Ich falle. Ich bin alleine.

“Alles fühlt sich so einsam an”, denke ich mir auf dem Berghain-Boden. Ich fühle mich losgelöst von meinem Körper, als würde ich über der Situation schweben. “Toni, was ist los?” Meine Freundin hat mich gefunden. Sie zieht mich hoch, schleift mich die Treppe runter. Weitere Arme greifen nach mir. Ich höre Stimmen. Mein Verstand ist da, ich schreie innerlich, aber ich kann mich nicht bewegen. Ich bin machtlos.

Ich saß allein in diesem großen Familienhaus, mit einer saufenden Mutter, die sich regelmäßig ins Jenseits schießen wollte

Seit meiner Kindheit ist diese Einsamkeit in mir. Mein Vater, wie so viele andere Väter, hat sich um seine Karriere gekümmert und war emotional unerreichbar. Meine Mutter ist Alkoholikerin. Meine Schwester war drogenabhängig oder ist es, ich weiß es nicht, wir haben keinen Kontakt mehr. Wäre ich im Internat gewesen, wäre es die typische einsames-reiches-Kind-Geschichte. Stattdessen saß ich oft allein in diesem großen Familienhaus, mit drei Autos vor der Tür und der saufenden Mutter, die sich regelmäßig ins Jenseits schießen wollte. Ich war jedoch schneller und rief den Krankenwagen.

“Was hat er genommen?”, fragt der Sanitäter.

“Ich weiß es nicht”, sagt meine Freundin wahrheitsgetreu. “Toni, Toni, Toni”, ruft der Sanitäter. “Du darfst nicht sterben!” Diese Worte klingeln noch Wochen später in meinen Ohren. Nachts, bevor ich schlafen gehe. Tagsüber, wenn ich die Straßen entlanglaufe.

Ich wache auf und bin verwirrt. Dann sehe ich den Tropf und höre das Piepen. Eine Klinik in Ost-Berlin. Meine Freundin sitzt neben dem Bett. “Oh, Gott sei Dank!”, ruft sie. Sie klingt sauer und erleichtert zugleich. Ein Arzt kommt rein. “Nochmal Glück gehabt”, sagt er.

Ich hatte eine Überdosis genommen, ich war im K-Hole. Ketamin sorgt dafür, dass sich das Nervensystem beinahe vom Rest des Körpers löst. Man kann Psychosen oder Angstzustände erleben. Oder sterben.

Ich fühle mich in den Tagen nach dem Vorfall oft allein, hilflos, sehr schwer. Jedes Mal, wenn ich mit einer Situation überfordert bin, in der U-Bahn zu viele Menschen sind, die Welt sich scheinbar ein bisschen zu schnell dreht, habe ich Panikattacken. Immer wieder die Stimmen der Sanitäter. “Toni, Toni, du darfst nicht sterben.” Ich trinke mehr, um all das nicht zu spüren.

Mit jedem emotionalen Tief kam ein partytechnisches Hoch

Als Sohn einer Alkoholikerin habe ich gelernt, dass Alkohol und Drogen Gefühle betäuben können. Als Sohn einer Alkoholikerin habe ich leider nicht gelernt, wie man mit seinen Gefühlen umgeht. In Beziehungen, wenn alles zu viel wurde, betrank ich mich. Ich wollte meine Verzweiflung nicht spüren. Aber mit jedem emotionalen Tief kam ein partytechnisches Hoch. Mehr Alkohol, mehr Konsum, weniger fühlen.

Aber es war das letzte Mal Ketamin.

Denn die Angst vor dem kompletten Kontrollverlust wurde immer größer. Der Spaß und der Absturz rückten näher zusammen. Mit 24 Jahren habe ich den Alkohol und die Drogen aufgegeben, ein Jahr nach dem K-Hole. Das war verdammt schwer. All die Gefühle, die Traumata prasselten auf mich ein. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte – ich hatte es nie gelernt.

Ich leugne die Vergangenheit nicht mehr – meine Mutter, meine Schwester, meinen Vater, meine abgefuckte Kindheit, all die gescheiterten Beziehungen –, akzeptiere ich heute. Der Alkohol, die Drogen – all das ist Teil meiner Geschichte. Deswegen erzähle ich meinen Freunden davon. Deswegen schreibe ich diesen Text. Immer wieder brauche ich den Reminder, dass ich eben so bin, aber dass ich auf keinen Fall zurück an diesen Ort gehe. Es ist ein einsamer Ort, wo alles zu viel und gleichzeitig zu wenig ist: zu viel, um nichts zu spüren, zu wenig menschlicher Kontakt, der unter Alkohol und Drogen nicht möglich ist. Ich war ein Kind, das mit seinen Gefühlen nicht fertig wurde. Heute bin ich erwachsen.

Du hast ein Suchtproblem oder machst dir Sorgen um betroffene Freunde und Verwandte? Hilfe bei Drogenabhängigkeiten findest du in Deutschland über das Suchthilfeverzeichnis oder unter 01805 31 30 31 . In der Schweiz bietet Safezone anonyme Online-Suchtberatung, lokale Suchtberatungsstellen findet man bei Infoset . In Österreich findest du Beratung über den Suchthilfekompass .

*Update, 24.10.2019, 11 Uhr: In der vorherigen Textversion war die Dosierung für die medizinische Nutzung von Ketamin als Narkosemittel falsch angegeben. Wir haben diesen Absatz aus Sicherheitsgründen gestrichen.*

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