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Uni-Professoren haben keine Ahnung davon, was es heißt zu studieren

In einem Artikel für die F.A.Z. bezeichnet der Dozent einer Eliteuniversität seine Studenten als faule Verbrecher ohne Ehrenkodex. Warum das eine bodenlose Frechheit ist.
Screenshot: YouTube

Es ist immer so eine Sache mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Einerseits ist sie eine der unerschütterlichen Bastionen des Qualitätsjournalismus, andererseits lässt sie manchmal Leute zu Wort kommen, bei deren verquerer Sicht auf die Welt—und insbesondere junge Menschen—mir ziemlich die Galle hochkommt. Als sie vor ein paar Monaten Videospiele als virtuelle Trainingscamps für IS-Terroristen bezeichneten zum Beispiel.

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Nun darf sich Axel Meyer, seines Zeichens Professor an der Universität Konstanz, in der F.A.Z. über die „Ehre und Ehrlichkeit der Studenten" das Maul zerreißen. Ein zu herber Ausdruck? Nun ja. Genau das tut Meyer aber in einer derart selbstgerechten und selbstherrlichen Manier, dass ich nichts anderes tun kann, als allen Göttern dieser Welt dafür zu danken, in meiner Studienzeit niemals mit einem solchen Dozenten konfrontiert worden zu sein. Vielleicht wird es nachts einsam im Büro, als Genie seines Fachs allein zwischen den Fischen und all den angestaubten Manuskripten, während man nur darauf wartet, von einem dieser räuberischen Studentenflegeln überfallen zu werden, die man tagsüber unterrichten muss. Wer weiß das schon. Irgendwoher muss der Hass des Lehrbeauftragten auf seinen Job aber kommen.

Meyer steigt mit einem verunglückten Raub in sein Stück über die verdorbene Jugend ein. Versuche, bei ihm im Büro einzubrechen, gab es. Das war nicht der erste Vorfall dieser Art an der Uni Konstanz, bei der anscheinend des Öfteren Laptops und andere Wertgegenstände aus unverschlossenen Räumen entwendet kommen. Als ihn ein Polizeibeamter fragt, ob der Grund für den versuchten Einbruch (weggekommen ist nämlich nichts, nicht einmal in den Raum selbst haben es die Möchtegern-Diebe geschafft) nicht auch die Beschaffung von Prüfungsdokumenten sein könnte, wird der Professor allerdings hellhörig. „ Am Montag nach dem Wochenende sollte die Prüfung geschrieben werden. Würden Studenten wirklich ins Büro eines Professors einbrechen, um das Prüfungsthema zu stehlen? Zumindest würde es mich nicht wundern, wenn dem so wäre."

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Vielleicht verläuft sein Leben auch so.

Dass diese eine Überlegung ihn überhaupt erst dazu inspiriert hat, den F.A.Z.-Artikel zu schreiben, spricht Bände und erscheint nur schlüssig. In den darauffolgenden zwei Seiten lässt Meyer nämlich keine Gelegenheit aus, sein persönliches Studentenbild klar zu machen: Alle Verbrecher, alle faul, alle reich und unmotiviert und im Allgemeinen eine freche Verschwendung seiner Zeit. Sogar—oder vor allem? Das wird nicht so ganz klar—die Ausländer: „Dass sie hier umsonst studieren dürfen, verwundert unsere internationalen Studenten immer wieder. Warum wir auf Kosten des Steuerzahlers nicht nur Inländer, sondern auch die zukünftige ausländische Konkurrenz ausbilden—denn hier bleiben die wenigsten—und damit einheimische Arbeitsplätze gefährden, bleibt wohl ein Geheimnis unserer vorausschauenden Politiker."

Alles an diesem Absatz klingt nach wirren Wutphrasen nach dem dritten Glas Portwein am universitätseigenen Edelholzschreibtisch. Besonders schockierend scheint mir aber Tatsache, dass sich ein Lehrkörper offen dagegen ausspricht, Bildung als Gut, das grundlegend jedem zur Verfügung stehen sollte, zu sehen. Wenn der Steuerzahler nicht dazu bereit ist, von seinen Steuergeldern die Ausbildung der nächsten Generation mitzutragen, dann gibt es zukünftig deutlich weniger Leute, die überhaupt dazu in der Lage wären, Steuern zu zahlen. Eigentlich ein ziemlich simples Gedankenspiel, auch ohne Doktortitel.

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Aber Halt, an Geld mangelt es ja gar nicht! Zumindest nicht in der Welt von Professor Meyer. „Unsere Studenten sind auch sonst verwöhnt, denn sie zahlen nicht nur keine Studiengebühren, sondern bekommen auch leicht Studienbeihilfe, Stipendien sowie andere Zuwendungen und Ermäßigungen. In jeder Hinsicht wird ihnen der Hintern gepudert und mit viel Fürsorge und Verständnis jede Faulheit und Inkompetenz vergeben." Die Studienbeihilfe ist klar an das Einkommen der Eltern gekoppelt und selbst wenn jemand den Höchstsatz bekommt, darf er nur einen bestimmten Betrag im Monat dazuverdienen. Sprich: Auch mit voller staatlicher Beihilfe, stehen einem Studierenden keine großen Summen zur Verfügung. Dass dem Durchschnittsstudenten Stipendien nachgeschmissen werden, wäre mir eine komplett neue Information und was genau versteht er unter „andere Zuwendungen und Ermäßigungen"? Nachlass bei Kinotickets und günstigeren Eintritt im Zoo? So wie Schüler einen Nachlass bekommen oder Sozialhilfe-Empfänger, weil niemand aus dem kulturellen Leben ausgeschlossen werden sollte, nur weil er wenig Geld zur Verfügung hat?

„Geld ist nicht wirklich ein Problem" behauptet Meyer dann nochmals und kommt zu seinem bisher wahnsinnigsten Vorwurf: Dass die meisten Studenten keine Unsummen für Fachliteratur ausgeben, die sie für lediglich ein Seminar benötigen—und deshalb gerne auf den Buchbestand der hochschuleigenen Bibliothek zurückgreifen. Ein Umstand, der den Professor aus unerfindlichen Gründen erzürnt wie kein anderer, denn wieder ist es der Steuerzahler, der zahlt. Für nichts Geringeres als die „Exzesse dieses kuscheligen Wohlfahrtsstaates."

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Schaut sie euch an, diese Blutsauger. Foto: this.is.seba | Flickr | CC BY-SA 2.0

Sind diese horrenden Preise für Fachliteratur die Schuld der Studenten, die sich ihre Bildungsexzesse vom Steuerzahler finanzieren lassen und sich im kuscheligen Wohlfahrtsstaat gepflegt auf die faule Haut legen? Oder darf man nicht ebenfalls die Frage stellen, ob Dozenten, die gerne auch mal ihre eigenen Werke auf die Literaturlisten für das Semester setzen, nicht auch irgendwie Teil der Rechnung sind? Wenn Studenten gezwungen sind, Fachbücher zu Fantasiepreisen zu kaufen, um auch nur ansatzweise erfolgreich durch die Prüfung zu kommen—sollte man dann nicht eher die Arbeitsmoral und die Intention des geschäftstüchtigen Dozenten in Frage stellen?

Der Gipfel der Realitätsferne ist allerdings die Tatsache, wie sehr sich Axel Meyer über die Praktik echauffiert, für Examen und Leistungsnachweise zwei Prüfungs- und Abgabezeiträume anzubieten. Was vor allem bei sehr schulisch ablaufenden Studiengängen absolut Sinn macht und den Studenten die Möglichkeit gibt, sich ausführlicher und zeitlich etwas intensiver auf die jeweiligen Abgaben und Prüfungen vorzubereiten, empfindet der Professor als absolute Zumutung. „Wenn sie die erste Prüfung nicht mitmachen wollen oder können, weil sie krank sind, und in der Nachprüfung durchfallen, haben sie Anspruch auf eine mündliche Prüfung"—wo kommen wir denn da auch hin, wenn Leute, die aus Krankheit, familiärem Notfall oder überraschendem Arbeitseinsatz einen Tag ausfallen, nicht komplett ein ganzes Semester wiederholen müssen? Oder, Gott bewahre, Professor Meyer seinen Job auch tatsächlich machen und an ganzen ZWEI TERMINEN das vermittelte Wissen abfragen müsste? Frechheit!

Interessant sind übrigens auch seine Ausführungen über Schummeleien an Hochschulen—vielleicht auch gerade deswegen der Verweis auf „Ehre und Ehrlichkeit" in der Überschrift. Tatsächlich ist es nämlich Professor Meyer selbst, der im Jahr 2004 stark in der Kritik stand, Mitarbeiter bei der Autorenangabe gerne mal zu vergessen oder es mit Quellenangaben nicht so wahnsinnig genau zu nehmen. In einem Artikel der Zeit ist außerdem von „wissenschaftlichem Fehlverhalten" und „Verletzung geistigen Eigentums" die Rede. Außerdem beschwert sich eine angebliche ehemalige studentische Hilfskraft in diversen Studentenforenbeiträgen darüber, dass der Akademiker jahrelang ausländische Studenten als billige Hilfskräfte ausgenutzt und anschließend gefeuert haben soll. Aber das nur am Rande.

Das Problem, lieber Herr Meyer, ist nicht ihre persönliche Meinung zur jungen Generation, oder dass irgendjemand bei der F.A.Z. es für eine gute Idee hielt, ihnen Geld dafür zu geben, dass sie ebenjene schriftlich in die Welt tragen. Das Problem ist, dass niemand ein wirklich guter Lehrer sein kann, der keinerlei Respekt für die Leute hat, denen er etwas beibringen soll. Wenn sie auch nur einen Studenten haben, der ohne Studienbeihilfe oder Stipendium, ohne superreiche „Helikoptereltern" an ihrer Eliteuniversität lernt und versucht, sich den eigenen Unterhalt und die Dutzenden Bücher Pflichtlektüre zu finanzieren, dann hat dieser Mensch ihren Respekt verdient—und jedes Recht der Welt, eine Prüfung zum zweiten Prüfungstermin zu schreiben.

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