Unser großer, wunderschöner, sentimentaler Festival-Jahresrückblick

Dieser Artikel wird präsentiert von SEAT Sounds. Er ist Teil des VICE Guides für Festivals , alle Texte findet ihr hier.

Man kriecht zerknittert aus dem Schlafsack, die Freunde pennen noch alle im Zelt. Ja, man spürt die letzte Nacht, das endlose Tanzen und den geteilten Tetrapack mit undefinierbarem Inhalt. Die Ohren pfeifen ein wenig, die Knie knacken. Nirgendwo sind einem die morgendlichen Beschwerden nach dem Feiern so herzlich egal wie auf einem Festival. Auch dieses Jahr sind wir wieder mit strahlenden Gesichtern aus stickigen Konzertzelten gekommen, mit Anlauf in den staubigen Moshpit gerannt und ohne Schamgefühl wohlig-übernächtigt auf den Isomatten zusammengebrochen.

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Die Festival-Saison ist anstrengend, stinkt nach Schweiß und verschütteten Getränken und schickt sich immer klarer an, unsere Urlaubssaison zu ersetzen. 2018 haben uns die riesigen Massenveranstaltungen erneut gezeigt, wie gut es sein kann, am Tag sechs Konzerte zu sehen, mit den besten Freunden zu campen und, wenn es richtig gut läuft, sogar neue Leute beim gemeinsamen Mitgröhlen des Lieblingssongs kennenzulernen. Und nebenbei benehmen sich nicht nur wir, sondern anscheinend auch die Musikerinnen unserer Herzen wie die Axt im Walde, sobald das Eintrittsbändchen um das Handgelenk gezurrt wurde. Hier sind unsere zehn Highlights des Festivaljahres 2018.

Beyoncé auf dem Coachella

Beyoncé ist nicht die Art von Mensch, die wegen eines kleinen Schnupfens oder akuten Kein-Bock-Anfällen leichtfertig ihre Fans, Veranstalter oder Crew verprellt. Man könnte so weit gehen zu sagen, dass Beyoncé vermutlich der zuverlässigste Mensch dieser Welt ist. Das gilt sowohl für die Einhaltung von Terminen, als auch für die Qualität von allem, in das sie auch nur einen Funken ihrer Energie investiert. Dass sie 2017 dennoch ihren Coachella-Headliner-Auftritt canceln musste, schmerzte die Queen vermutlich genauso sehr wie die Fans, die sich bereits Tickets gekauft hatten.

Das Gute daran: Man konnte davon ausgehen, dass der Nachholtermin 2018 umso krasser sein werden würde. Und das war er auch. Bei Gott, das war er.

Feine Sahne Fischfilet sind die neue größte Rockband Deutschlands

Kumpel mit Campino ist Monchi Fromm, der Sänger von Feine Sahne Fischfilet, schon seit längerem. Genau so eine Rampensau wie das Düsseldorfer Punk-Orakel mittlerweile auch. Wer das Glück hatte, die Band aus Mecklenburg-Vorpommern auf einem ihrer Festival-Gigs dieses Jahr zu sehen, hat wahrscheinlich das vor Schweiß triefende Shirt ausgewrungen und seinen Freunden zugeschrien: “Scheiße noch mal, so geil wurde mir noch nie ein Pfeffi in die Fresse gefetzt!” Kann passieren, wenn Monchi mit der “großen” Flasche auf die Party kommt.

Neben dem Spaß beim Feiern haben Feine Sahne Fischfilet aber auch wieder gezeigt, wie ein Festival so richtig toll sein kann: ohne Nazis nämlich. Das Wasted in Jarmen hat die Band, wie schon in den Jahren zuvor, mit ihrem Freundeskreis quasi zu Hause auf die Beine gestellt. Vom Gerüst der Bühne bis zur Theke der Pommesbude, in Jarmen wurde alles selbst aufgebaut. Wenn es eine sympathischere Rockband geben sollte, nennt sie uns! Bis dahin bezeichnen wir Feine Sahne Fischfilet absolut schamlos und voller journalistischer Integrität als die neue größte Rockband Deutschlands.

Otto hat auf dem Wacken gespielt

Mit Hits wie “Friesenjung”, “Wir haben Grund zu feiern” oder einem Cover von “We Are The Champions” bekommst du sie anscheinend alle. Also wenn “du” Otto Waalkes heißt und “alle” 75.000 Menschen sind, die in den verschiedensten Kostümen auf das Wacken fahren. Aber ganz ehrlich – ist schließlich verständlich, dass man eine solche Ikone der deutschen Komik auf einem solch ikonischen Event der deutschen Festivalszenerie wie dem Wacken sehen will.

Zu Witzen, die flacher sind als Ottos Heimat, und Kalauern, bei denen schon eure Eltern nur noch müde grinsen konnten, witzelte sich der König der Ottifanten eine Stunde lang über die Bühne des größten Metal-Festivals Deutschlands. Herrlich nostalgisch mag es für die meisten klingen, wenn die typisch gackernde Lache zwischen den schwarzen Kutten und Kostümen erklingt. Herrlich harmlos ist es aber mittlerweile auch, was auf dem Wacken passiert.

Ein DJ-Auftritt, der das Tomorrowland perfekt beschreibt

Salvatore Ganacci hat dieses Jahr den wohl tomorrowlandigsten Auftritt aller Tomorrowland-Auftritte hingelegt. Ein Paradies für EDM-Klischees! Von magischen Übergängen, die sogar ohne Zutun des DJs perfekt Song in Song fadeten, über Dancemoves mit vollem Körpereinsatz bis hin zu dadaistischen Ad Libs – der Schwede lieferte dieses Jahr nur noch ab und begeisterte damit sowohl die ernsthaften EDM-Fans in Belgien wie auch die hämischen EDM-Hasser bei Nois… äh im Internet.

Salvatore gehört für diese umfassende Darbietung also dennoch gewürdigt, denn schließlich erheiterte er sämtliche Gemüter. Und wer weiß: Vielleicht ist das alles ja auch gar nicht so einfach, wie er es erscheinen lässt? Verwirrt sein und nicht auflegen können, ist nämlich noch lange kein EDM. Oder vielleicht doch …?

Unsere Liebe für das splash! stirbt nie

Eine kluge Person im Internet hat das splash!-Festival in diesem Jahr als Ort bezeichnet, wo inzwischen nur noch 20-Jährige neben der Spur rumrennen – wir müssen bei dieser durchaus wahrheitsgetreuen Beschreibung nachsichtig schmunzeln. Das splash! wird einfach immer einen ganz besonderen Platz in unserem Herzen haben, auch wenn die Erkenntnis, dass wir langsam zu alt für den Quatsch werden, immer schwerer in Leber und Magengrube zieht und zerrt.

Verdrängung ist jedoch eines unserer Spezialgebiete. In dem Sinne: Nach dem splash! ist vor dem splash!, wir sehen uns nächstes Jahr!

Oma holt sich Autogramm von Vince Staples

Das vermutlich beste Fan-Foto dieses Jahr zeigt eine ältere Dame mit Gehstock auf dem splash!, die eigentlich auf der Suche nach Cro war und stattdessen Vince Staples in ihr Sammelbüchlein aufnehmen konnte. Feels.

https://www.instagram.com/p/BlGntlznUDM/?taken-by=vincestaples

Der beste HipHop-Act dieser Festival-Saison kann nur Trettmann heißen

Vom Southside im südlichsten Süden Deutschlands zum Spektrum nach Hamburg. Vom Mini-Rock-Festival auf einem Marktplatz im Südwesten Baden-Württembergs auf die Bühne des splash! in Ferropolis. Trettmann hat sein Album DIY auf über zwanzig Festivalbühnen live gespielt und wir verneigen uns vor so viel Hingabe im HipHop. Natürlich wird “Nur noch einen” beim splash!, der Hochburg des Genres, zwischen den Stahlkonstruktionen von Gräfenhainichen aus den lautesten Kehlen mitgesungen. Wer aber selbst die Instagram-Apostel des Lollapalooza, die mehr Glitzer sind als Mensch, im Moshpit zum Ausrasten bringt, ist das beste Beispiel dafür, wie HipHop zurzeit funktioniert. Und wahrscheinlich auch ein ganz passabler Musiker.

Natürlich spielen auch Künstlerinnen wie SXTN oder Bonez und RAF Camora auf den Bühnen des Rock am Ring oder des Hurricane. Aber so genreübergreifend beliebt und akzeptiert wie Trettmann mit seinem Dancehall-Reggae-HipHop ist in diesem Jahr wahrscheinlich niemand. Es ist dieses “Peter Fox”-Gefühl, das sich von Chemnitz, Leipzig und dem Kitschkrieg-Studio in Kreuzberg über ganz Deutschland ausgebreitet hat. Big Up!

#wirsindmehr – Popmusik geht auch politisch

Über 65.000 Menschen sind am 03. September nach Chemitz gefahren, um ein gemeinsames Konzert von den Toten Hosen, Casper & Marteria, Nura, K.I.Z, Kraftklub, Feine Sahne Fischfilet und Trettmann zu besuchen. Und um damit eine solidarische Antwort zu geben auf den Fremdenhass und die Hitlergrüße, die sich in den Tagen zuvor auf den Straßen der sächsischen Stadt abgespielt hatten. Und ja, eine Veranstaltung, die von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Außenminister Heiko Maas empfohlen wird, ist sicher nicht das radikalste Punkkonzert.

Dennoch hat diese Veranstaltung gezeigt, dass es hierzulande Musikerinnen gibt, die keine Lust mehr darauf haben, unpolitisch und tatenlos zuzusehen, wenn sich Ungerechtigkeit und blanker Hass in Deutschland erneut Bahn brechen. Die Kunst begreift im großen Stil und zumindest für einen Tag, welche Wirkungs- und Anziehungskraft sie haben kann. Auch wenn einige Rapper nach dem kostenlosen Konzert eher Verwirrendes als Solidarisches von sich hören ließen, gab es mit dem Hashtag #sagfuckzurassismus aus dem HipHop ein kleines Zeichen der politischen Anteilnahme am gesellschaftlichen Diskurs. Vielleicht erwacht die Popmusik ja so langsam aus dem nichtssagenden Winterschlaf.

Yung Hurns wunderbare Interview-Rache beim Frauenfeld Open Air

Interviews sollen informieren und im besten Fall auch unterhalten. Und im Fall von Yung Hurn gerne noch eine Prise awkward Vibes enthalten. So geschehen beim diesjährigen Openair Frauenfeld. Das als “verstörend” betitelte Interview, in dem Hurn den Moderator herrlich auflaufen lässt, hat jedoch eine Vorgeschichte.

Im Jahr zuvor hatte es bereits ein Interview vom SFR mit dem Wiener Musiker gegeben, bei dem Yung Hurn überhaupt nichts ernst genommen hatte. Weder die Fragen, die auf ihn einprasselten, noch die SRF-Crew. Der SRF reagierte wiederum damit, dass er das ungeschnittene Video veröffentlichte und Yung Hurn im Infotext als “eine Art hyperaktives Kind” beschrieb.

Da sitzt Yung Hurn nun also im Jahr 2018, und was wie ein wirres Interview wirkt, ist tatsächlich so professionell und schlau, dass es viele vermutlich gar nicht bemerkt haben. Yung Hurn gibt den Leuten, was sie sehen wollen. Den exzentrischen Künstler, den spinnerten Vogel, den Kinski. Interview-Perlen!

Der Festival-Auftritt 2019, auf den wir jetzt schon mehr Vorfreude haben als auf alles andere: Die Ärzte kommen zurück!

Es scheint so, als sei die selbsternannte beste Band der Welt wieder auf den süßlich-oberflächlichen Geschmack des öffentlichen Auftritts gekommen. Ab 16. November hebt die Band zum einen ihren Boykott sämtlicher Streaming-Dienste auf! (Wir freuen uns wie die letzten Deppen, wenn wir auf einer “Monsterparty” unseren Freunden endlich unseren “Schrei nach Liebe” vom Handy durch die AUX-Buchse zwischen die Trommelfelle jagen können.)

Zum anderen spielen Farin Urlaub, Bela B und Rod González 2019 wieder auf den ganz großen Bühnen Deutschlands. Und mit ganz groß meinen wir vor 80.000 Leuten, wie beim Rock am Ring. Die Nachricht, dass die einzigen Konzerte der Ärzte hierzulande am Ring und beim Partnerfestival Rock im Park stattfinden werden, hatte bis Ende August übrigens schon 60.000 Menschen zum Kauf ihres Tickets bewegt. Könnte knapp werden, wenn ihr euch das Ticket zu Weihnachten schenken lassen wollt.

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