Arsenal-Fans haben einen echt beschissenen Ruf. Ich muss das wissen, weil ich selbst einer bin. Unser Ruf ist aber nicht deswegen so schlecht, weil wir uns regelmäßig mit gegnerischen Fans prügeln würden. Auch Rassismus-Vorwürfe kann man uns nicht wirklich machen, schließlich gilt der Verein als extrem cosmopolitan, hat Fans auf der ganzen Welt und sitzt im multikulturellen Londoner Stadtteil Islington. Warum zählen die Gunners dann zu den am meisten gehassten Vereinen in der Premier League?
Die Antwort darauf hat vor allem mit dem Online-Auftritt seiner Fans zu tun. Aktuell gilt Arsenal, was die sozialen Medien betrifft, als drittbeliebtester Verein der Welt, seinen 8,32 Millionen Twitter-Followern und über 37 Millionen Likes auf Facebook sei Dank. Nur zwei Klubs haben noch mehr Online-Anhänger: Manchester United und Barcelona. So viele Online-Fans bleiben natürlich nicht folgenlos. Einerseits endet gefühlt jede Telefon-, Online- oder Brieftauben-Umfrage mit einem Arsenal-Sieg. Andererseits führt eine riesige Fanbase unweigerlich auch zu etlichen Anhängern, die sehr starke Meinungen vertreten und diese möglichst überall lautstark kundtun wollen.
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Die wohl beliebteste Plattform für diese Form der Katharsis ist der Arsenal Fan TV, ein unfassbar erfolgreicher YouTube-Channel, die sich ausschließlich zum Ziel gesetzt hat, Gunners-Fans vor und nach den Spielen zu interviewen. Vielleicht hast du schon mal ein lustiges Produkt ihrer Arbeit gesehen, sei es als Vine (R.I.P.), als Video-Clip auf Twitter oder eben auf Youtube. Die schönsten Interviews sind natürlich solche, wo sich Fans in Rage reden und ihnen das Messer in der Tasche aufgeht. Am liebsten gegen mittelklassige Teams, deren Torhüter so gut gespielt hat, dass er „verdammt nochmal einen Ballon d’Or verdient hätte. Scheiße!”.
Die Clips sind überwiegend amüsant und sehr, sehr beliebt. Allein auf Twitter hat die Seite 110.000 Follower. Dazu kommen noch 230.000 Likes auf Facebook. Und ihre Vine-Loops (immer noch R.I.P.) knackten die 1,5-Millionen-Grenze. Um dem Phänomen Arsenal Fan TV so richtig auf den Grund zu gehen, habe ich mich aufgemacht und bin zum Emirates Stadium gefahren. Dort sollte Arsenal gegen Swansea spielen. Und die Waliser sind für die Gunners das, was man im Volksmund einen Angstgegner nennt. Denn der letzte Heimsieg gegen Swansea lag schon vier Jahre zurück. Ich erhoffte mir klammheimlich eine Niederlage, um vor der Kamera live ein paar nette Ausraster miterleben zu können.
Vor dem Spiel stehen die Jungs von Arsenal Fan TV gerne in der Nähe der Tony-Adams-Statue, und bitten Fans für Facebook Live und Snapchat um eine fundierte (lies: emotionsgeladene) Einschätzung. Um selbst auf Touren zu kommen, stellte ich mir schnell zwei überteuerte 3,8-prozentige Carlsberg rein—das einzige Bier, das im Emirates angeboten wird.
Hier traf ich auch den Godfather von Arsenal Fan TV, Robbie (oder ‚Man Like Robbie’, wie er genannt wird), der zusammen mit einem Fan—und seinem Kameramann Tal—über das anstehende Spiel sprach. Mir fiel sofort auf, wie unfassbar populär der Kerl ist. Robby ist unter Gunners bekannt wie ein bunter Hund. Darum wusste dieser Fan aus Mauritius—der extra für das Spiel nach England gekommen war—auch gefühlt alles über Arsenal Fan TV und sein berühmtes Gesicht. Er sagte ein 3:0 für Arsenal voraus, mit einem Tor von Sanchez und einem Doppelpack von Walcott. Mein Kanonenherz wollte ihm glauben, aber als Arsenal-Fan wusste ich nur zu gut, wie schnell eine Vier-Tore-Führung Geschichte sein und ein Ausgleichstor in der 94. Minute fallen konnte. Ich lächelte also skeptisch und ging weiter.
Während Robbie von Teenagers für ein Selfie und Snapchat-Clips belagert wurde, unterhielt ich mich mit zwei echten Stammgästen bei Arsenal Fan TV regulars: DT (der für das ‚Wenger Out’-Banner verantwortlich war) und Troopz (der Kerl mit dem wohl härtesten London-Slang der Welt). Beide wollten so ziemlich null Informationen über ihr Privatleben rausrücken. Was einen eigentlich auch nicht überraschen sollte, angesichts ihres enormen Internet-Fames.
Während unseres Gesprächs wurden wir immer wieder von jugendlichen Fans unterbrochen, weswegen ich DT einfach fragen musste, wie es so ist, plötzlich berühmt zu sein:
„Ganz ehrlich: Das war anfangs schon ziemlich komisch. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Und es ist ein schönes Gefühl, leuchtende Kinderaugen zu sehen, nachdem man für ein gemeinsames Foto posiert hat.”
Wofür DT und Troopz stehen, ist eine neue Form des Internet-Fames. Ganz nach dem Motto: Wenn du eine starke Meinung hast, laut und gleichzeitig charismatisch bist, kannst du dir einen Namen machen—und sei es nur, weil du vor allem zur Zielscheibe von Internet-Hatern wirst. Was aber auch auffiel: Als die Kamera aus war, waren die beiden stinknormale Typen mit einer Leidenschaft für Arsenal, mehr aber auch nicht. Von ihrer augenscheinlichen Verrücktheit und der schillernden Persönlichkeit war nicht mehr viel übrig. Showbiz halt.
Dann bekam ich die Chance, mit dem Hauptact höchstpersönlich zu sprechen. Ich wollte von Robbie wissen, wie es zu dieser verrückten Bewegung gekommen ist.
„Unser erstes offizielles Video war ein Liga-Spiel gegen Tottenham”, erklärte mir Robbie. „Wir haben sie mit 5:2 geschlagen. Nach dem Spiel wollten wir Stimmen von Fans einsammeln. Die meisten reagierten aber abweisend und meinten nur: ‚Wer seid ihr denn bitte?’ Seitdem hat sich vieles getan.”
Warum aber dieser YouTube-Kanal? Gibt es nicht schon genug Fußballgerede im Internet, Fernsehen und Radio?
„Mir fiel damals auf, dass zum Thema Fußball gefühlt alle zu Wort kommen, bis auf die Fans. Dabei sind es doch gerade die Fans, die Woche für Woche und egal bei welchem Wetter zu den Spielen ihrer Mannschaft pilgern. Wir hatten die Schnauze voll von all den sogenannten Experten, die häufig nicht mal live im Stadion sind, und wollten die Meinung derer hören, die das Spiel live verfolgt hatten.”
Ich will von Robbie wissen, wie er sich finanziert. Einige YouTube-Kanäle verdienen mit Werbung ja Unmengen von Geld. Aber er würde doch bestimmt auch noch einem „normalen” Beruf nachgehen?
„Ich habe bis vor einem Jahr als Landvermesser gearbeitet und mein Kameramann Tal im Sales-Bereich. Doch seit Beginn der letzten Saison betreiben wir unseren Kanal hauptberuflich. Wir waren nach vielen Spielen oft erst um vier oder fünf Uhr morgens im Bett, und da fällt es dann schwer, eigentlich noch etwas anderes zu machen.”
Man hatte schnell das Gefühl, dass für Robbie und Tal Arsenal Fan TV nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung ist, eine echte Herzenssache.
Nach dem Spiel, das Arsenal überraschenderweise gewinnen konnte (wenn auch knapp mit 3:2), ging der Menschenauflauf um Robbie und Tal in die zweite Runde. Hunderte Fans wollten mit dem Internet-Star fachsimpeln. Dafür standen manche auch mehr als 40 Minuten Schlange.
Dann hatte auch ich meinen Moment to shine, den ich euch nicht vorenthalten möchte, auch wenn die Anzahl meiner „at the end of the day”- und „to be fair”-Wiederholungen ziemlich peinlich ist.
So ist mein Fazit, dass das Ganze live deutlich weniger spektakulär ist, als es in den YouTube-Videos rüberkommt. Vor allem abseits der Kameras sind die bunten Charaktere bodenständiger als erwartet. Auch wenn eine Niederlage gegen Swansea vielleicht andere Emotionen geweckt hätte.
Das soll aber nicht heißen, dass der Channel keinen wichtigen Beitrag zur Fankultur rund um die Gunners leisten würde. Ganz im Gegenteil: Denn auch wenn es manchmal etwas peinlich wirkt, hier kommen authentische Dudes zu Wort, die so oder so Spannenderes zu sagen haben als die langweiligen TV-„Experten” à la Michael Owen. Und der Erfolg von Arsenal Fan TV gibt Robbie und Tal eh Recht.
Der Artikel erschien ursprünglich bei VICE Sports UK.