‘Until Dawn’ beweist, dass niemand von uns einen Horrorfilm überleben würde

Ich habe mich eigentlich nie für sonderlich dumm gehalten. Gut, bei der Matheabschlussprüfung bin ich in hysterisches Gelächter ausgebrochen und habe anschließend leise geweint, weil ich nichts mehr verstanden habe, aber einer Sache war ich mir zumindest immer sehr sicher: Wäre ich jemals in irgendeiner abgeschiedenen Hütte gefangen und es würde ein wahnsinniger Serienmörder auftauchen—ich würde auf jeden Fall überleben. Nachdem ich das Wochenende damit verbracht habe, in wechselnder Besetzung (mit Freundin, ohne Freundin) Until Dawn, eine Art ersten interaktiven Trash-Horrorfilm, zu spielen, ist mein Glaube in meine Lebens- und Denkfähigkeit allerdings zutiefst erschüttert.

Das erste Mal wurde das Playstation-Exclusive 2012 bei der Gamescom vorgestellt. Danach wurde es um den Titel ziemlich ruhig. Nach Videospielebranchenmaßstäben kein unbedingt gutes Zeichen. Jetzt, drei Jahre später, ist Until Dawn dann mit unveränderter Prämisse doch noch erschienen. Ein Jahr nachdem zwei Schwestern spurlos verschwunden sind, treffen sich acht Jugendliche in ebenjener Berghütte, die damals Ort des tragischen Vorfalls war, um ihrer Freundinnen zu gedenken. Wie es halt so ist, wenn man alleine auf einem verschneiten Berg irgendwo in Kanada ist, auf dem sich außerdem auch eine verlassene psychiatrische Anstalt befindet, gerät die Situation relativ schnell außer Kontrolle. Serienmörder tauchen auf, irgendjemand schlachtet Waldtiere ab und Jessica will erst mit Mike rummachen, wenn er ihr Smartphone wiederfindet. Wer wird die Nacht überleben? Alle? Niemand? Es liegt einzig und allein in den Händen des Spielers.

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Damit kommen wir aber auch direkt zum ersten großen Problem. Until Dawn suhlt sich so begeistert in sämtlichen Horrorklischees, dass auch die Protagonisten nicht viel mehr sind als stereotype Abklatsche ihrer filmischen Vorbilder. Der smarte und attraktive Frauenschwarm, der Nerd (der liebenswert sein soll, aber einfach nur nervt), die oberflächliche Abschlussballkönigin, das langweilige Sportass … Insbesondere zu Beginn gibt es eigentlich keinen Charakter, den man nicht hasst. Wäre ich durch jahrelanges Videospielen nicht darauf trainiert, immer die richtigen Knöpfe zu drücken und zumindest in der Theorie die korrekten Entscheidungen zu treffen, ich hätte meinen Spielfiguren nur zu gerne dabei zugeschaut, wie sie alle der Reihe nach qualvoll verenden.

Zombies, Kettensägen und Panikattacken—eine Nacht mit „The Evil Within”.

Während es klare Szenen gibt, in denen man das Schicksal der Teenager so richtig verkacken kann (verstecken statt weiter wegzulaufen, bei einem der immer ziemlich überraschend aufploppenden Quicktime-Events den falschen Knopf drücken), ist das Schmetterlingseffekt-Prinzip von Until Dawn allerdings überraschend subtil. Eure Antworten in Gesprächen, der allgemeine Umgang mit noch so unwichtig scheinenden Situationen und nicht zuletzt auch die Entweder-Oder-Entscheidungen, die euch in Zwischensequenzen abverlangt werden, bestimmen, in welche Richtung sich eure Geschichte entwickelt. „Endlich mal die Sachen vermeiden, die Protagonisten in Horrorfilmen immer falsch machen!”, dachte ich mir zu Beginn großkotzig. Nach fünf toten Teenagern war ich eines Besseren belehrt.

Vielleicht ist es dem explorativen Wesen des Mediums Videospiel zu schulden, aber als ich am Ende eines dunklen Ganges panische Mädchenschreie höre, gehe ich dem Geräusch nach. Alleine. Im Dunklen. Lediglich bewaffnet mit einer Taschenlampe. Weil es sich irgendwie richtiger angefühlt hat, als weiterzugehen.

Plötzlich war ich zu genau der Art von Slasher-Film-Opfer geworden, die sich für offensichtlich dumme Dinge entscheiden—und denen ich vor dem Fernseher immer zurufe, ob sie eigentlich total bescheuert sind (wer beim Filmgucken keine Selbstgespräche führt, werfe das erste Hackebeil). Leider macht es einem das Spiel aber auch ein bisschen zu leicht, von einer unnötigen Situation in die nächste zu stolpern. Du musst eine Tür verriegeln und hast eine Schusswaffe und ein Rohr bei dir? Dein Spielcharakter nimmt ungefragt die Knarre. Ein gesichtsloses Monster jagt einen durch den Wald und schlägt anschließend das Fenster der Hütte ein? Nevermind. Zeit für Heavy-Petting. Es gab mehr als eine Situation, in der das unbekannte Böse komplett fassungslos auf einer Schneewehe gehockt und sich gefragt haben muss: „Ist das ihr Ernst? WOLLEN die eigentlich sterben?”

Trotzdem schafft es dieses videospielgewordene Potpourri aus Saw, Cabin in the Woods, Scream und allem anderen, was nachts auf Kabel 1 läuft, einen bei der Stange zu halten. Ebenso wie bei schlechten Horrorfilmen ist man irgendwo zwischen hysterischem Lachen, lauten Schreien (Jumpscares, verdammte Jumpscares) und Fassungslosigkeit ob des hanebüchenen Plots gefangen. Und das macht insbesondere dann richtig Spaß, wenn man nicht alleine vor dem Bildschirm sitzt. Was passiert als Nächstes? Welche Rolle spielt der gruselige Psychiater, der einen in den Zwischensequenzen nach seinen größten Ängsten befragt? Ergibt gerade nichts Sinn oder liegt es an mir?

Motherboard: Leben und Lieben an der Gaming-Uni.

Schlussendlich gab es genau eine Situation, die mir wirklich das Herz gebrochen hat—und jetzt kommt ein minimaler Spoiler: Die, in der der Hundekumpel, der einen für eine gute halbe Stunde durch die Katakomben der Psychiatrie begleitet, stirbt. Ebenso wie bei den Teenagern, die ich nach rund neun Stunden Spielzeit auf dem Gewissen hatte, war sein Tod meine Schuld. Auch wenn bei nahezu jedem Spiel das brutale Ableben des treuen, tierischen Gefährten als billige Emotionalisierungsmechanik eingesetzt wird (ich warne dich, Fallout 4!), war ich am Boden zerstört. Ich hatte alles falsch gemacht. Ich war es nicht wert, diese Nacht des Grauens zu überleben.

Zurück bleibt nach mehreren wirren Storytwists, vielen furchtbar wundervollen Trash-Dialogen und einem schön animierten Klischee-Feuerwerk nach dem nächsten die Gewissheit: Die einzig sichere Art und Weise zu überleben, wäre es gewesen, die komplette Nacht einfach durchzuschlafen. Geht keinen Geräuschen nach, versteckt euch niemals unter einem Bett und schießt um Gottes Willen nicht auf Eichhörnchen! Solltet ihr euch merken, falls ihr das nächste Mal das Wochenende in einer verschneiten Hütte im Wald verbringt und von draußen plötzlich seltsame Geräusche hört.

Lisa glaubt immer noch, dass das Böse sie nicht sehen kann, wenn sie sich die Decke über den Kopf zieht. Folgt ihr bei Twitter.