Popkultur

Diese Serie zeigt schonungslos die neue Einsamkeit von Bushido

Ein Mann mit schwarzen Haaren und Bart sitzt auf einem roten Sofa

Diese Serie ist eine Dokumentation männlicher Einsamkeit, der Einsamkeit eines deutschen Rappers: Unzensiert – Bushido’s Wahrheit, anzuschauen auf Amazon Prime. Bushido, umgeben von seiner Frau Anna-Maria, umgeben von LKA-Beamten, umgeben von fast einem halben Dutzend Kindern, umgeben von Kameras, die immerzu auf ihn halten. Es ist ständig Leben um ihn, seine Familie wächst, Trubel, Umzugsstress. Aber Bushido ist zerknirscht, er wirkt einsam. Wie es zu dieser Einsamkeit kam, ob sie selbst verschuldet ist oder von den Umständen aufgezwungen: Von dieser Frage handelt diese sehenswerte Doku, die Bushido von Frühjahr 2018 bis Sommer 2020 begleitet.


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Die eigentliche Hauptperson dieser Serie ist eine, die man kaum sieht und hört, obwohl sie fast durchgängig präsent ist: Bushidos größter Feind, sein ehemaliger Manager und Freund, Arafat Abou-Chaker. Das ist die Doku in der Doku. Die Kamera zeigt Bushido, wie er Arafat beschreibt: als den Teufel, als den gefährlichen Schatten, der ihm folgt. Abou-Chaker selbst wollte sich in dieser Doku nicht äußern, das blenden die Macher am Anfang jeder Folge ein. 

So ist die Konstellation eine, die auch Grundlage eines Romans sein könnte: Eine Person, die niemals auftaucht, wird porträtiert durch Kolportage und Anekdoten, durch Psychogramme, durch ein düster gezeichnetes Bild. Was nicht heißt, dass man an den Beschreibungen grundsätzlich zweifeln muss. Aber dass sie einseitig sind, liegt in der Natur der Sache. Die Doku heißt ja auch Bushido’s Wahrheit. Oft ist sie mehr Retrospektive als Handlung. Es wirkt mitunter wie eine weirde Form der Trennungsarbeit.

Vereinsamung in Zeitlupe

Das Bedrückende ist, dass der Zuschauer Zeuge wird, wie sich die Menschen, Weggefährten, Freunde, einer nach dem anderen, von Bushido abwenden. Die Vereinsamung wird quasi in Zeitlupe dokumentiert. Warum sie sich abwenden, das wird nicht immer ganz klar. Sind sie Verräter oder einfach nur von Bushido genervt?

Bei seinem 40. Geburtstag – nach dem Bruch mit Abou-Chaker, aber vor dem Polizeischutz – sitzen viele Freunde noch an einer langen Tafel. Sie lachen, sie prosten sich zu, Bushido hält eine Ansprache, in der Ironie aufblitzt: Er sei jetzt 40 und treibe das Durchschnittsalter der Veranstaltung extrem nach oben.

Seine Frau reckt die Arme in die Luft zur Feier der neuen Freiheit. Ein paar Folgen später sitzt der Rapper am Küchentisch und zählt die verbliebenen Freunde an einer Hand ab. Capital Bra verabschiedet sich per Insta-Video, Bushido versteht die Welt nicht mehr. Hatten sie nicht eben noch ganz normal gewhatsappt?

Es passt zu der Enge, die der Zuschauer bezeugt, dass Bushidos Familie irgendwann in ein verglastes Loft am Potsdamer Platz zieht, das sie “Aquarium” nennen. Es ist wirklich beklemmend: Blick auf die “Mall of Berlin”, Blick auf den Stau am Leipziger Platz. Bushido sitzt an seinem Gamer-PC und macht Musik. Hat man Mitleid mit ihm? Oder ist das alles ein Gefängnis, in das er sich selbst begeben hat? 

Die Macht der Straße wendet sich gegen ihn

Das ist die naheliegende Moral der Geschichte: Ein aufsteigender Rapstar sucht die Nähe zu einem Clan, der ihn beschützt. Er fühlt sich so sicher, dass er beleidigt, verdammt, erniedrigt und pöbelt und dennoch keine Angst haben muss vor Konsequenzen. In seinen Videos sitzen die Jungs in dreifacher Mannschaftsstärke hinter ihm und nicken mit den Köpfen – als sichtbarer Beweis seiner Unangreifbarkeit. Da ist immer viel los, das Gegenteil von Einsamkeit. Doch dann frisst die Nähe Bushido auf, es kommt zur Eskalation und zum Test seiner Loyalität: Steht er zum Clan oder zu seiner Frau, die sich aus der Umklammerung lösen will, weil sie keine Luft mehr bekommt? 

Bushido entscheidet sich nach einigem Hin und Her für Frau und Familie. Seine Frau, Anna-Maria, auch das zeigt diese Doku, ist klarer und mutiger als Bushido. Sie lässt niemals Zweifel daran, wem ihre Loyalität gehört. Durch seine Entscheidung gegen Abou-Chaker begibt sich Bushido auf die Rückseite der Macht, sie wendet sich gegen ihn. Das wäre die naheliegende Moral: Die Beleidigungen, die er austeilte, kommen nun zurück. Jede einzelne als Bumerang. 

Aber diese Moral würde irgendwie anerkennen, dass es OK ist, was da gerade passiert. Sie würde dieses parastaatliche System von Verletzung und Vergeltung akzeptieren. Aber es ist nicht richtig, niemals, dass eine Familie unter Polizeischutz leben muss, dass Kinder von LKA-Beamten zum Kindergarten gebracht werden. Jede Schadenfreude über den großmäuligen Gangsta-Rapper, der sich von der Polizei bewachen lässt, ist daneben und falsch. Ebenso daneben und falsch ist es allerdings, dass Bushido weiter beleidigt, als sei das alles nicht passiert. Als habe er nicht schmerzhaft lernen müssen, dass Worte und Taten Bedeutung haben, so sozialpädagogisch das auch klingen mag. 

Wie glaubhaft ist die Läuterung?

Auf seinem neuesten Album beleidigt er beispielsweise eine kritische Rap-Journalistin. Was soll das? Rappt da gerade wirklich einer, der seine Vergangenheit hinterfragt? Das sind die Momente, in denen man ihm seine Läuterung nicht abnimmt, auch mit bestem Willen nicht. Und man entwickelt diesen guten Willen durchaus, während man diese Doku schaut, fast gezwungenermaßen. 

Die Kamera ist in sechs Episoden, 270 Minuten lang, so nah an Bushido und seiner Familie, was gleichzeitig großartig und potenziell gefährlich ist. Die Kamera folgt jeder Windung seiner kreisenden Gedanken, die sich schätzungsweise zu achtzig Prozent um Arafat Abou-Chaker drehen und zu zehn Prozent ums Finanzamt. Denn nicht nur ein Clan bedroht Bushido, sondern auch die Möglichkeit horrender Steuernachzahlungen. (O-Ton Bushido: “Das ist eine Sache in Deutschland, das weiß jeder: Finanzamt ist kein Spaß.”) 

Die Kamera zeigt seine Tränen, seine Kinder, sein Wohnzimmer, seine Urlaube, Ehestreit, Schwäche. Sein Wahnsinnigwerden während des Lockdowns, was unser aller Wahnsinnigwerden ähnelt. Der Tiger im Käfig. Seine Nervosität vor einem großen Termin, dem Prozess gegen Abou-Chaker. Seine wackeligen Versuche, wieder musikalisch auf die Beine zu kommen. Seine Freude, als er mal wieder einen Trainingsanzug geschenkt bekommt. Diese Freude ist echt. Die Kamera ist immer da, nur Meter entfernt.

Die eigentliche Heldin

Den Machern von Unzensiert ist ein Blick in die Seele des Deutschrap gelungen, man guckt in die Abgründe einer leuchtenden Welt. Man hört die Stille hinter dem Lärm, hinter den Bühnen, den Autos, den kreischenden Fans. Oft sitzt Bushido einfach nur da und sagt: nichts. Kaum etwas kontrastiert das Rap-Geschäft so hart wie diese Stille.

Neben einer Hauptfigur hat diese Doku eine Heldin: Anna-Maria Ferchichi, Bushidos Frau.​​ Die Loyalität, die sie ihrem Mann entgegenbringt, hat nichts mit der verqueren Vorstellung von Ehre zu tun, sie verwechselt Liebe nicht mit Kritiklosigkeit, widerspricht und hinterfragt ihn. Die Freunde verabschieden sich, eben waren sie noch Brüder. Anna-Maria bleibt, sie durchkreuzt seine Einsamkeit. Vielleicht wird ja doch alles gut, irgendwie. Das erfahren wir dann in Staffel 2.

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