Urlaub in der Ukraine Teil 4

Da Stefanie und A. eine heimliche Leidenschaft für die Ukraine hegen, beschließen sie durch das Land zu reisen. Nach einem wilden Road Trip gelangen sie über die Grenze der Ukraine in das kleine, verschlafene Örtchen Ust-Tschorna. Stefanie und A. werden dort  von einer urigen Bauernfamilie aufgenommen. Nachdem sie auch endlich den langersehnten Karpatentiroler getroffen haben, sind die beiden überglücklich. Stefanie und A. sind so eingelullt von der Freundlichkeit der Familie, dass sie fast nicht mehr dort weg möchten. Weil es aber regnet und kalt ist, und vor allem weil A. in die Stadt Czernovitz verliebt ist, brechen die beiden auf und stoppen weiter.

Also marschieren wir ein paar Stunden bergab, währenddessen erzählen wir einander z. b. von unseren ersten Urlauben allein. A. sagt, er wäre mit 15 das erste Mal mit einem gemeinsamen Freund allein auf Sprachkurs nach Granada gefahren. Sie hätten ihre Bong und einen Nintendo mitgenommen und zwei Wochen die Unterkunft nicht verlassen, nur ein paar Mal, um einen Ausflug in eine heruntergekommene Plattenbausiedlung zu machen, um dort von zwielichtigen Junkies Hasch zu kaufen, das diese sich immer vorher frisch aus ihrem Arschloch zupfen mussten. Einmal wären in ihre Wohnung auch zwei junge Französinnen gezogen, die aber bald auf eine andere Unterkunft bestanden hätten, da sie von dem abartigen Geschrei, das die zwei, die nie aus ihren Zimmern kamen, beim Nintendo spielen verursachten, Angst bekommen hatten. Das ist stumpfsinnigste Geschichte, die ich je gehört habe, danke.

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Wir wandern und wandern, ein Fluss reißt neben uns vorbei und es regnet, was die Dramatik der uns umgebenden Karpaten noch verstärkt, alles ist so rau, sehr schön. Da es A. aber zu feucht auf der Glatze wird, fangen wir an zu stoppen.

Ein Typ in einem Lieferwagen bleibt stehen, er redet irgendwas von Dollars, wir verstehen es nicht genau, steigen aber trotzdem ein. Er verfrachtet A. in den Laderaum, während er auf mich in Ukrainisch einredet, ich schaue ihn nur lächelnd verständnislos an. Er fährt nervenaufreibend wild und weicht dabei ausladend den Schlaglöchern aus, zentimeterweit entfernt von steilen Abhängen. Einmal starrt er mich an und sagt irgendwas, was ich nicht verstehe, um im letzten Moment einem riesigen Holztransporter, der schon die ganze Zeit frontal auf uns zurast, auszuweichen. Ein anderes Mal fährt er auf eine Fußgängerin zu, und fährt und fährt und ich frage mich, wann er endlich ausweicht, sie sich wohl auch und in letzter Sekunde springt sie mit panischem Gesicht zur Seite. Während ich aufschreie, bekommt er einen Lachanfall. Großartig, ein unzurechnungsfähiger Irrer. Die restliche Fahrt verharre ich und versuche mich mental mit dem kommenden Tod abzufinden.

Irgendwann erreichen wir sogar lebend Tyachiv, einen Ort nur hundert Meter von der rumänischen Grenze entfernt. Wir gehen herum, schauen, fragen nach einem Internetcafe, aber anscheinend gibt es keins, kommen an einem Parkplatz vorbei, an dem in einem halboffenen Lieferwagen drei alte Herren mit Instrumenten sitzen und zusammen Musik spielen, obwohl kein Mensch in der Nähe ist, sonderbares Tyachiv.

Weil ich brunzen muss, kehren wir in ein Lokal ein. Es wirkt wie ein selten besuchter Ort, ein altes verlassenes Wirtshaus, überall an den Wänden hängt Kinderkleidung, die die alte Frau, die uns bewirtet anscheinend auch verkauft. A. plaudert mit ihr auf Russisch, sie erzählt, sie hätte vor 50 Jahren Deutsch in der Schule gelernt und fängt an ein paar Vokabeln zu demonstrieren. „SCHWIMMEN. KINDER. SCHULE.“ Nach jedem Wort lacht sie sich schlapp und auf den Kaffee sind wir eingeladen. Wir sind wieder hingerissen von der Freundlichkeit der Ukrainer und schweben auf unserem Liebeswölkchen davon.

Der nächste Bus, den wir erwischen, geht nach Rakhiv, stoppen dauert uns mittlerweile zu lange. Das Städtchen ist zwar wieder nur 70 Kilometer entfernt, trotzdem ist es eine dreistündige Busfahrt. Die Stadt ist durch einen Fluss geteilt, es dämmert und wir möchten einen Zeltplatz auf der unbewohnten Seite des Flusses finden, deshalb gehen wir in ein kleines Lebensmittelgeschäft, um nach der nächsten Brücke zu fragen. Im Geschäft sitzen drei alte Männer und trinken Wodka. Sie heißen Pavel, Ivan und Vladimir (!) und drängen uns dazu ein paar Stamperl mit ihnen zu kippen. Ivan ist ein dünner, knautschig getrunkener, weißhaariger Mann mit roter Schnapsnase, Ivan hat einen viereckigen Kopf, groß wie mein Rumpf, Goldzähne, Lederhaut und braune mit einem dieser feinen Herrenkämme streng gescheitelte Haare und Pavel ist ein kräftiger 70jähriger mit guter Haltung und patriarchalischer Gestik, wir sind im Himmel der sowjetischen Altherrenstereotype gelandet und stoßen mit ihnen und einem lauten „Nastrovje“ an.

Sie schicken uns zur Brücke, die angeblich einen Kilometer entfernt ist. Nach einer dreiviertel Stunde Fußmarsch mit Gepäck finden wir zwar keine Brücke, sondern stoßen auf ein Haus, an dem ein „Motel“-Schild befestigt ist. Wir betreten eine dunkle, zwielichtige Bar und fragen nach einem Zimmer, aber alle schütteln nur abweisend den Kopf, als würden wir was völlig absurdes von ihnen wollen, nur eine Babuschka drückt uns zielstrebig Zwetschken in beide Hände, die sie uns verkaufen will. Während 4 verschiedene Frauen auf uns einreden und wir versuchen die Zwetschken gegen Widerstand in den Sack zurück zu legen, stieren uns ein paar junge Typen an der Bar an, die meiner Meinung nach etwas ganz elementar kaputtes im Blick habe, als wäre bei ihnen von frühester Kindheit an einfach alles schief gelaufen. Wir verlassen verstört das Lokal und kommen ein paar hundert Meter weiter an einer Wiese am Flussbett vorbei, überlegen, ob wir dort zelten wollen. Eigentlich finden wir es nicht gut im Blickfeld der Bewohner zu liegen und als ich A. von meinem Eindruck in der Bar erzähle, will er lieber ins Zentrum zurück, um einfach ein Zimmer zu mieten. Es ist auch schon fast völlig dunkel und wir können die Gegend nicht richtig einschätzen.

Am mittlerweile schon sehr anstrengenden Rückweg begegnen wir dem betrunkenen Pavel, der gerade sein Fahrrad heimwärts schiebt. Als er fragt, wo wir jetzt nun schlafen, sagt A., dass wir es noch nicht genau wüssten. Ein paar Minuten ist es unklar, aber irgendwann gibt uns Pavel eindeutig zu verstehen, dass wir bei ihm eingeladen sind. YES.

Er führt uns durchs dunkle Stiegenhaus eines Wohnblocks und hält dabei meine Hand fest, was ich aber als väterlich und nicht unangenehm empfinde und wir landen in seiner Wohnung. Wieder eröffnet sich ein bizarres Feuerwerk an Ornamenten vor uns. Pavel führt uns zuerst zu zwei Bildern mit Trauerbändern und zeigt uns seine verstorbene Frau und auch seinen bei einem Motorradunfall verunglückten Sohn, vielleicht um zu klären, warum er alleine wohnt und wir versuchen unser Beileid zu vermitteln, außerdem Bilder seiner Töchter, die Gott sei dank noch leben. Wir sind überrascht, die Wohnung ist extrem aufgeräumt, jede Decke, jedea Polster liegt in fast militärischer Ordnung an seinem Platz, der einzige Gegenstand, der herumsteht ist das Bügeleisen, aber auch das ist nur ein Indiz seiner Ordentlichkeit. Er weist A. an, auf seinem Sofa Platz zu nehmen, schaltet den Fernseher ein und reicht ihm die Fernbedienung. Mich dagegen schiebt er an den Hüften in die Küche und drückt mir auffordernd eine Zwiebel und einen Sack voll Hühnerflügel in die Hand. Ich finde es ziemlich lustig, habe keine Ahnung, was ich mit dem Fleischsack anfangen soll und beginne halt mal Zwiebel zu schneiden, während Pavel mich fragt, ob ich Kinder hätte und was meine Eltern beruflich machen.

Wir verständigen uns überraschend gut mit Zeichensprache und internationalen Wörtern. Die Zwiebelstücke sind ihm zu klein und er übernimmt lieber das Ruder in der Küche, bugsiert mich auf einen Sessel und ich schaue ihm beim Kochen zu, während A. im Wohnzimmer eine ukrainische Casting Show verfolgt.

Irgendwann ist das Essen fertig und A. wird in die Küche gerufen, Pavel hat Verenijke gekocht, ukrainische mit Erdäpfelbrei gefüllte Ravioli, übergossen mit einer halben Packung Butter und gebratenen Zwiebeln, die wir auch sonst schon ein paar mal gegessen haben. Er schenkt A. und sich ein Stamperl Vodka ein, während ich ein Glas Rotwein bekomme, wie es sich für eine feine Dame wie mich gehört. Wenn er wüsste, dass ich mit einem Schluck seine ganze Wohnung austrinken könnte…

Wir essen und Pavel, der ursprünglich Russe ist, tratscht mit A.. Eigentlich erzählt er vor allem. A. wirkt sehr aufmerksam, interessiert und in Pavels Geschichten vertieft, und wenn ich frage, worum es geht, erklärt er mir freundlich, dass er fast nichts versteht, das Wiederholen von letzten Wörtern, das Aufzählen von Ländernamen reicht in solchen Situationen anscheinend für Stunden. (Wobei wir schon ziemlich geil auf seine Geschichten wären.) Wir haben aufgegessen, der zweite Gang kommt, gekochte Hühnerflügel mit Ketchup, da A. Vegetarier ist und daher behauptet eine Allergie zu haben, muss ich ca. 25 Hendlflügel allein essen. Pavel schneidet ihm eine halbe Wassermelone zurecht, um ihm weiter von vergangenen Zeiten zu erzählen. Während die zwei sich unterhalten, zerkaue ich eifrig die schmackhaften Hühnerteile mitsamt der dicken labbrigen gekochten Haut, beobachte  dabei abwesend die Bewegung von Pavels alten Halslappen und stelle mir vor, wie es sich wohl anfühlen würde, drüber zu lecken. Ganz rau. Irgendwann geh ich ins Bad, um meine von Geflügelfett und Ketchup verklebten Finger zu waschen, Pavel folgt mir, drückt mir fürsorglich ein Handtuch und seine Zahnbürste in die Hand und geht wieder. Ich bedanke mich und betrachte interessiert die Bürste und die verschiedenen Braun- und Gelbtöne der in alle Richtungen abstehenden Borsten, um sie wieder an ihren Platz zurückzulegen, da wo sie hingehört und wo sie auch seit vermutlich 30 Jahren liegt.

Wir schauen noch alle gemeinsam fern und kommentieren hin und wieder was, dann ist Schlafenszeit. Im Kabinett neben dem Wohnzimmer stehen zwei frisch bezogene, faltenfrei gemachte Betten mit exakt platzierten Zierkissen. Ich frage mich wirklich, ob er die jeden Tag so pedantisch perfekt herrichtet. Pavel bietet uns die Betten an, er selbst legt sich auf die Couch und zieht noch unter irgendeinem Schrank ein Brett vor, um seinen Nacken zu stützen. Verlegen darüber, dem alten Mann solche Umstände zu bereiten, gehen wir schlafen. Ich frage mich, ob ich wohl im Bett seiner verstorbenen Frau liege, während ich andächtig Pavels Schnarchen lausche, bevor ich selber einschlafe. 

Wir wachen irgendwann auf und wollen Pavel auch nicht länger zur Last fallen, er hat Kaffee gekocht, wahrscheinlich ist er schon seit 6 Uhr morgens wach und wundert sich wer die zwei Freaks in seinen Betten sind, wir können ja schwer einschätzen, wie betrunken er wirklich war, auf jeden Fall wirkt er etwas verhaltener. Nach ein bisschen freundlichem Gespräch lockert es sich aber gleich wieder und nach Dankbarkeitsbekundungen und einem Erinnerungsfoto verabschieden wir uns und marschieren los an den Stadtrand, um weiter zu ziehen.