Urlaub in der Ukraine Teil 8

Stefanie und ihr Freund sind per Autostopp durch die Ukraine gereist. Am Anfang ist ihnen das Leben auf der Straße ja noch ein klein wenig schwer gefallen. Fragen, wie wo scheißen, wo waschen und wo schlafen waren da noch ranghöher. Nachdem sie in der Ukraine aber so viele nette Menschen getroffen haben, finden Stefanie und ihr Freund immer mehr Gefallen an ihrem Roadtrip. Sogar zum Autostoppen sind die beiden mittlerweile zu faul und nehmen meistens den Bus. Das ist vielleicht nicht schneller, aber immerhin nicht lebensgefährlich. Nach ihrem Stop in Czernovic geht es weiter nach Odessa. Nach ein paar Tagen trennen sich die beiden aber, weil A. schon mal nach Uman fahren will, um dort die Lage auszuchecken bevor Rosch ha-Schana, der jüdische Neujahrstag beginnt. 

A. hat sich mittlerweile gemeldet und so mache ich mich am nächsten Morgen um 5 Uhr früh durch die noch schlafende, dunkle Stadt auf den Weg zum weit entfernten Busbahnhof und weiter nach Uman. Als allein reisende Frau ohne Russischkenntnisse errege ich noch mehr Aufmerksamkeit als mit A., und die Busfahrer kümmern sich rührend engagiert um mich, weil ich verwirrt und debil wirke. Gegen Mittag komme ich an und gehe zum mit A. ausgemachten Treffpunkt.

Videos by VICE

Noch habe ich vor allem Ukrainer gesehen, aber hier auf der Hauptstraße spazieren schon die ersten orthodoxen Juden in ihren traditionellen Gewändern vorbei und beten laut vor sich hin, ich bin ganz aufgeregt – fremde mystische Welt. Von weitem sehe ich A. auf mich zukommen, er trägt Kipa und ich fühle mich wie bei einem Klassentreffen. Was hast du all die Jahre gemacht, altes Haus? Was hast du alles erlebt? 

Er erzählt mir, er würde für 40 Dollar die Nacht bei einem Typen namens Sascha in einer Garage schlafen. Der Typ sei ein bisschen suspekt, er ist auftrainiert, hat eine Glatze und immer wenn er bis jetzt aus dem Haus auf die Straße gegangen ist, haben die Nachbarn nervös zu murmeln begonnen „Oh, Sascha, schau, Sascha. Sascha kommt.“ Er erzählt, er hätte einen jungen New Yorker kennen gelernt, durch den er gestern bei einem Rabbiner in einem Haus zum Essen eingeladen war, ein uralter Typ mit langem, weißen Bart, der versunken in einem Sessel saß, schwieg und dabei so aussah, als hätte er eine Million Bücher gelesen. Das Essen wurde in Kanada zubereitet und extra per Flugzeug importiert und obwohl er selbst Jude ist, hatte er Angst, bei dem extrem ritualisierten Verzehr der Speisen irgendeinen fatalen Fehler zu machen. Er hätte auch schon ein paar wenige Frauen gesehen, die Straße, die zu Rabbi Nachmanns Grab führt, zu dem alle pilgern und in der sich die Zelte und Gebetsräume befinden, sei abgesperrt, aber hin und wieder würden schon auch ukrainische Frauen zu ihren Wohnhäusern durchgehen und ein, zwei Jüdinnen hätte er schon gesehen, diese würden sich aber betont abseits halten. Am ersten Abend hätte es ziemlich geschüttet und daher hätte er ein paar israelischen Hippies ohne Unterkunft in seiner Garage Unterschlupf gewährt. Sie trugen Batikkleider, Hippietücher, meinten, die Westbank gehöre den Israelis und spielten ultranationalistische Lieder auf ihrer Hippiegitarre. Sascha hätte diese ungefragte Einquartierung nicht so gefallen und am nächsten Tag hat er bei ihnen ordentlich abkassiert.

A. sagt, er hätte sich mehr interessante Diskussionen über Glaubensgeschichte, Spiritualität und so erwartet, sei aber mittlerweile etwas enttäuscht und gelangweilt davon, ständig mit allen darüber zu reden, wie org es ist, Jude zu sein.

Rosh ha-Schana in Uman: Hier liegt das Grab von Rabbi Nachmann, eine wichtige Figur des Chassidismus. Hier pilgern zu Rosh ha-Schana ca. 30.000 Juden hin, weil er vor seinem Tod dafür Seelenheil versprochen hat. Rosh ha-Schana in Uman wird auch das jüdische Woodstock genannt, denn chassidische Gottesdienste sind im Gegensatz zum streng reglemtierten Leben nicht besonders andächtig, sondern extrovertiert, mit wilden Tänzen, Wein, lauten Gesängen, wird exzessiv bis in die Nacht gefeiert (zu der Meldodie von „Numa Numa“, „Rabbi Nachmann“ gesungen, großartig, ich stelle mir vor wie Muslime zu Scooters „Fire“, „Allah“ schreien) und jeder betet in unterschiedlichem Tempo laut für sich vor sich hin. Aber nicht nur unter den religösen, sondern auch unter säkularen Juden ist es zu einem populären Reiseziel geworden, die Motive sind allerdings nicht so klar. Vielleicht deshalb:

Wir betreten das Gelände, ich bin total nervös und nicht sicher, ob ich nicht jeden Moment gelyncht werde. Wir landen auf einem weit entfernten Planeten. Es sind tatsächlich ausschließlich Männer unterwegs, eine gigantische Schar orthodoxer Juden mit ihren crazy Outfits, verschiedensten Styles von Schläfenlocken und Hüten und Pelzhauben, wilden Bartkreationen, altmodischen Anzügen oder weiten Gewändern. A. meint, ich soll darauf achten, wie jeder seinen ganz individuell Interpretation hat, es wäre einen eigenen Fashionblog wert, gucci hashanah. Alle gehen auf und ab, durch das langsame Flanieren, die Hitze und die weiten weißen Gewänder, die die meisten heute tragen, wirkt alles zeitlupenhaft, orientalisch und extrem trippig .

Man sieht aber außer den traditionell gestylten auch viele testosteronträchtige israelische Prolojuden mit Kipa, Pornobrillen und Jogginganzug (Jammi), Hippiejuden mit indischen Tüchern und erleuchtet- bekifftem Blick, New Yorker Hipster Juden, Businessjuden, kleinen, großen, dünnen, dicken, schwarzen, weißen Juden, wo man hinschaut jüdische Männer. A. meint, es hätte in den Vorjahren auch Queerjuden gegeben, die rosa Kipa trugen. Die Leute sind aus Israel, den U.S.A, Kanada, viele Südafrikaner, Australier und Franzosen, die meisten kommen von weit her. Je weiter wir gehen, desto größer wir das Gewusel, alle spazieren, beten oder tratschen, immer wieder sieht man herzliche Begrüßungsszenen, ein Mann mit riesiger Wampe geht mit leicht zurückgebeugten Oberkörper und offenen Armen auf jemanden zu und schreit „SCHLOMOOO!“

Da Feiertag ist tragen heute die meisten weiß statt schwarz, es erinnert an Bilder, die man aus Mekka kennt. A. erzählt, gestern wäre hier überall Musik aus den Boxen gekracht und alle hätten wüst abgeshaket. Ich ärgere mich, dass er mir nicht früher Freifahrt gegeben hat, da ich ohnehin schon als Frau da bin, möchte ich nicht auch meine Kamera auspacken, da heute ja auch Elektrizität verboten ist und A. meint, ich solle es auf gar keinen Fall tun. Ich weiß nicht ob es übertriebene Ängstlichkeit ist oder ob er Recht hat, also lasse ich es, was bei diesen Wahnsinnseindrücken sehr weh tut. Anscheinend zählen auch Feuerzeuge zu den verbotenen Dingen. Als wir eine Tschick rauchen, kommen sofort 15 Leute auf uns zu und möchten ihre daran anzünden.

Dass ich als Frau hier herumspaziere, scheint nicht offensichtlich anzuecken, die Blicke, die mich streifen, wirken nicht unfreundlich, in die Synagoge darf ich allerdings nicht. Dass ich das nicht tun werde, musste ich den bewaffneten ukrainischen Polizisten, die das Gelände bewachen, versichern, um überhaupt rein zu dürfen.

Wir laufen einer Bekanntschaft von A. übern Weg, Daniel, ein  Israeli, der A. am Vortag gefragt hat, ob er schon geile Ukrainerinnen kennen gelernt hätte und dass er sich in der Stadt so bald wie möglich eine Massage holen wird, angeblich pilgern auch Prostituierte zu der Zeit geschäftlich nach Uman.

Später treffen wir auch Sam, mit dem A. am Vortag beim alten Rabbi zu Besuch war. Sam ist ein hipper jüdischer New Yorker, der Anthropologie in Columbia studiert und eine Arbeit über dieses Event schreibt, ein ur cooler queerer Typ. A. und er holen sich was zu essen aus einem Zelt, während ich alleine dastehe und angespannt warte, dass mich jemand anzündet. Es gibt Unmengen an gutem Essen, das extra angeflogen wurde, umsonst und wir setzen uns in einen Park außerhalb der ZONE. Da beide nicht so hungrig sind, weil sie sich schon den ganzen Tag den Bauch voll schlagen, verspeise ich statt ihnen: cremiges Baba Ghanoush, saftigen gegrillten Fisch, Tahin zum Tunken, sagenhaft marinierte Truthahnkeule an aromatischem Kürbisgemüse und Okraschoten, knusprig gebackenen Lachshäppchen, trinke fruchtiges Traubensäftchen, knabbre süße Kekslein und bekomme lecker Kaffee, die Verpflegung ist fabelhaft. Währenddessen diskutieren Sam und A. angeregt, hundertausend Buchtitel fallen, ich kapiere nichts. Vor allem Sam redet extrem viel, er scheint selbst ganz aus dem Häuschen, ist superenthusiastisch und erzählt witzig und intelligent über Uman, schwule orthodoxe Rabbis, Queersein im Judentum, die liberalen New York Jews und deren linke Bewegungen, es fallen tausende Namen, es ist viel zu viel Information, als dass ich es mir in der kurzen Zeit merken kann, aber es ist super interessant und die ganze Atmosphäre ist spannend und irgendwie unheimlich. Im Hintergrund laufen im Park viele kleine jüdische Buben in schwarzen Anzügen mit Maschinengewehren aus Plastik herum, es scheint hier das beliebteste Spielzeug zu sein, ein irritierendes Bild.

Sam meint, dass es für viele chassidische Juden ziemlich Bad Ass wäre, hierher zu fahren, da schon der Kontakt zu säkularen Juden und zu nicht jüdischen Menschen sowieso, für manche völlig außergewöhnlich und im normalen Alltag nicht vorstellbar wären. Er meint, gestern wäre er mit einem Typen spaziert, der, als sie die christliche Kirche passiert haben, ausgespuckt hat. Im Hintergrund schreit plötzlich jemand was, die Leute schauen alle irritiert, anscheinend war es das hebräische Wort für „Nigger“. Die Stimmung hier ist nicht unbedingt harmlos, es gibt viel Fanatismus, auch sehr vereinzelt Verachtung gegenüber den Ukrainern, an deren Händen wieder andere glauben, das Blut ihrer Vorfahren zu sehen und es gab schon Vorfälle in denen mit Steinen geworfen wurde. 

Sam erzählt, dass eine befreundete Journalistin letztes Jahr ebenfalls am Feiertag, allein hier unterwegs war und fotografiert hat und dass sie ständig angestiegen und nach Sex gefragt wurde.

Wir spazieren noch mal durch die Absperrung durch diese orge Stimmung, durch zu einem kleinen See mitten in der Stadt. Hier mache ich auch das einzige Foto, motiviert durch einen kleinen, dicken Bub mit Kipa, der mit seinem Smartphone spielt (dass ihm sein Vater etwas später laut schimpfend wegnimmt). Eine Babuschka zeigt ihrer Enkelin die kleinen Buben, die anfangen sie zu beschimpfen, worauf sie der Vater zurechtweist.

Ich muss schon bald den Bus nach Kiew nehmen und von dort per Nachtzug nach Lviv, der größten Stadt der Westukraine, um irgendwie nach Wien zu gelangen, weil die Fängen des Callcenters warten. A. bleibt noch eine Nacht, da er im Vorhinein bezahlt hat und bezweifelt, dass dieser Sascha ihm das Geld zurückgeben würde, aber auch er will bald nach Hause, sich von den vielen Eindrücken und der körperlichen Anstrengung im eigenen Bett erholen. Wir verabschieden uns und ich steige in den Bus nach Kiew, Winki, Winki.

Ich freue mich schon auf eine Fahrt mit dem Nachtzug, in der Ukraine gibt es die Kategorie Plackarty, das bedeutet man schläft in offenen Schlafabteilen, kann also unterschiedlichste Leute angaffen, mit ihnen in Kontakt kommen und als ich vor sechs Jahren so herumgefahren bin, wurde ich ständig auf Wodka, Salo und getrockneten Fisch eingeladen.

In Kiew nehme ich die U- bahn zum Bahnhof, darin begegnet mir auch ein Phänomen, dass ich bisher nur in der Ukraine gesehen habe: Slacker- Typen mit fettigen Dreadlocks und versifften Baggypants, die bildhübsche, gestylte Freundinnen in Minirock und High Heels haben.

Leider ist die Kategorie Plackarty ausgebucht und so nehme ich ein geschlossenes Abteil, ich bin zwar ein bisschen enttäuscht, sehe es aber halt als Luxus. 

Das ist leider falsch, als der Zug kommt, ich mein Abteil finde und öffne, kommt mir eine dicke, warme Wolke entgegen, feuchter Dampf legt sich auf mein Gesicht. Ein schwitzender, alter Typ in Unterhemd schläft in der engen Kabine anscheinend seit Stunden und seine Ausdünstungen sind höllisch. Ich mache wieder zu und rauche erstmal eine Tschick, um diesen Schock zu verarbeiten. Unangenehme Gedanken drängen sich mir auf: Ich stelle mir vor, er isst schon sein ganzes Leben lang ausschließlich nur Eierspeis, in der früh, zu Mittag am Abend, nur Eierspeis, dazu trinkt er Buttermilch oder dickflüssigen Likör. Ich habe das Bild vor Augen, dass sich unter seiner Kleidung eine Unterhose befindet, genäht aus Eierspeis. Kalte, halbvergammelte Eierspeise schmiegt sich sanft um seinen dickes Würstel und die runzligen, alten Hoden. Ich sehe vor mir, wie er seinen haarigen Körper jeden Abend vorm Schlafengehen stundenlang mit Majonäse einreibt, während er sich noch ein hart gekochtes Ei als Betthupferl in den Mund schiebt. Gott im Himmel, wie soll ich das überleben.

Irgendwann bin ich zu müde und begebe mich gefasst in die Sauna des Grauens, nach einer Minute werde ich bewusstlos und wache in Lviv wieder auf. Ich komme fix und fertig an und möchte auf dem schnellsten Weg nach Hause. Leider fährt der erste Zug erst am Abend in die Slowakei, damit habe ich nicht gerechnet, der Zug wäre weiter nach Ungarn gefahren, wo der meiste Schienenverkehr Richtung Westen geht. Scheiße. Ich bin völlig erschlagen und die Vorstellung 12 Stunden herumzuhängen erscheint mir furchtbar. Bis zu Mittag döse ich in der Bahnhofsgegend auf meinem Rucksack vor mich hin, kann mich nicht entscheiden, ob ich mir die 80 Euro nach Bratislava leisten will, gewöhnt an die Preise der Ukraine, fühlt es sich für mich wie ein unbezahlbares Vermögen an. Irgendwann nach vier Kaffees geht es mir endlich besser und ich spaziere in der belebten Universitätsstadt herum, das kulturelle Zentrum der westlichen Ukraine und ich suhle mich noch ein letztes Mal in der grindig lebendigen, fleischig fischigen Marktatmosphäre eines großen Rynoks.

Gegen Abend kaufe ich mir noch ein paar Bier und Sonnenblumenkerne und beschließe, die restliche Zeit bis zur Abfahrt im Bahnhofspark abzuhängen. Dort sitzen alte Männer und recht zentral eine große verwahrloste Romasippe, in der alle Generationen von 1-90 vertreten sind und deren Treiben ich gespannt beobachte, während ich drüber nachdenke, warum ich das so cool und wahrhaftig finde. Sie scheinen auch die andern Parkbesucher zu unterhalten. Ein ukrainischer Alki im Delirium ist bei ihnen auch mit von der Partie, er hat mir vor ein paar Minuten meinen Bierhansl abgeschnorrt. Die jungen Romafrauen tanzen vor ihm mit wackelnden Hüften und immer wenn er die Hand nach ihnen ausstreckt, geben sie ihm eine feste Ohrfeige und die Parkbesucher lachen. Die ca. dreijährigen Kinder der Sippe, drei Buben und ein Mädchen mit verfilzten langen Haaren, machen es den älteren Mädchen nach, sie tanzen hüftwackelnd um ihn herum, lachen und schlagen ihm auf die Beine und immer wieder ins Gesicht, er reagiert nicht, während ein etwas älteres Mädchen aus den leeren Flaschen im Mistkübel Bierreste in seiner Flasche zusammensammelt, die Szenen sind grotesk. 

Die alten Ukrainer neben mir sprechen mich an, ob es in Austria auch „Zigani“ gäbe, aber unsere Gesprächsversuche scheitern recht schnell, über mich kommen sie aber miteinander ins Gespräch und so setzt sich ein alter Mann rechts von mir zum alten Mann links von mir. Als ein ca. 7 jähriges Mädchen aus der Sippe anfängt, in seine stehen gelassenen Taschen zu greifen, stupse ich ihn an und er steht wütend auf und verscheucht das Mädchen laut schimpfend. Eine ältere Romafrau fängt daraufhin an schreiend an, auf das kleine Mädchen einzuschlagen, bis es zu weinen beginnt. 

Währenddessen spazieren die dreijährigen Kinder herum, sie betteln, schlagen alten Leuten die Zeitungen aus der Hand, reißen mir die Sonnenblumenkerne weg und schlagen sich dabei auf die Brust wie stänkernde 40jährige Prolos, machen obszöne Gesten, spucken Leute an, greifen sich machoesk auf den Kinderschwanz, ihre gesamte Gestik und Mimik hat absolut nichts kindliches mehr, ihre Spieltrieb äußert sich nur in schlagen, stehlen und Leute anstänkern, als hätten sie nie was anderes gesehen. Ihre Augen sind aufgequollen und haben Tränensäcke, dabei können sie noch nicht mal richtig reden, auch ein ca. 7 jähriges Mädchen, das von den alten Ukrainern gefragt wird, wo sie denn schlafen würden und darauf auf den Boden zeigt, hat etwas für ein Kind völlig unpassend Verlebtes im Blick.

Ich finde das alles nicht mehr cool und wahrhaftig, die Alkoholikerin, die sich neben mich gesetzt hat und ein bisschen Englisch kann, fragt mich ob ich schockiert bin und ich sage nur verdattert „Yes, very shocked.“. So etwas verrohtes, brutales habe ich noch nie in meinem Leben gesehen, die kleinen Kinder sind völlig verstörend, ich würde sie am liebsten einpacken und mitnehmen. Das hat nichts mehr mit Armut zu tun, die über Generationen weiter getragene, empfindungslos wirkende, offensichtliche Kaputtheit dieser Partie ist das ärgste, was ich je länger betrachtet hab.

Irgendwann schnappe ich meine Bierflaschen und steige in den Nachtzug nach Bratislava.

Im Zug lerne ich noch einen deutschen Geographiestudenten kennen, ein Typ, der mir sofort sympathisch ist, ich erzähle ihm von meinem Schock und er, dass er gerade in Moldawien war und dort einen Monat lang die Sprache gelernt hat, weil ihn diese Gegend so interessiert. Wir trinken noch Bier im Speisewagon, ich hab schon einen sitzen und erzähle mehr als ich nachfrage, dabei klingt das ziemlich interessant. Irgendwann teilen wir noch mit einem eigenartigen Ukrainer Bier, von dem wir nur verstehen, dass er meint in Uschgorod gäbe es super Kokain, dann schenkt er mir ein Packerl Tschick, in dem ich am nächsten Tag seine Simkarte finde. Im Halbschlaf werde ich immer wieder von Grenzpolizisten gefragt, ob ich Waffen oder Drogen hätte, dann komme ich irgendwann in Bratislava an und verabschiede mich von Nils.

Ich nehme den nächsten Zug Richtung Südbahnhof, lasse die 14 dichten Tage im wilden Osten hinter mir, fahre erschöpft in den sicheren Hafen der Heimat und begrüße aus dem Fenster winkend meine Wiener und Wienerinnen, die Fahnen schwingen, auf den Straßen tanzen, fröhliche Märsche spielen und mir freudig zujubeln.