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Fußballer flog nach Neonazi-Skandal – und bekommt neue Chance bei linkem Club

"Ich habe den größten Fehler meines Lebens gemacht", sagt Daniel Frahn, ehemals Chemnitzer FC, heute Babelsberg 03. Doch wie glaubwürdig ist seine Reue?
Daniel Frahn, SV Babelsberg 03 Fans und Kritik
Daniel Frahn vor einem Banner der Fans von Babelsberg 03 || Foto: imago images | foto2press | bearbeitet

Eine zweite Chance zu bekommen, ist hierzulande eigentlich recht normal. Selbst wer gewalttätig wird oder im großen Stil betrügt, darf in die Gesellschaft zurückkehren, wenn er seine Strafe verbüßt hat und glaubhaft versichert, so etwas nicht wieder zu tun.

Was die Resozialisierung meistens sehr vereinfacht, ist eine glaubhafte Distanzierung von den eigenen Taten. Wer sich klar distanziert, erkennt ja auch an, dass er etwas falsch gemacht hat. Das macht den Fall des Fußballers Daniel Frahn so kompliziert.

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Frahn ist der erste deutsche Spieler, der von seinem damaligen Verein, dem Chemnitzer FC, entlassen wurde, weil er rechtsextremer Umtriebe verdächtigt wurde. Ein halbes Jahr später spielt Frahn nun neuerdings für den SV Babelsberg 03 – einen dezidiert linken Club.

Daniel Frahn: "Ich bin kein Nazi."

Daniel Frahn Chemnitzer FC T-Shirt Aktion für toten Neonazi-Hooligan
  1. März 2019: Bei einem Heimspiel der Chemnitzer FC hält Kapitän Frahn ein T-Shirt mit der Aufschrift "Support your local hools" hoch – die Aktion ist einem verstorbenen Neonazi-Hooligan gewidmet | Foto: imago images | HärtelPress

Auf ihren Trikots werben die Babelsberger nicht für Glücksspiel oder Limonade wie andere Vereine, sondern für die Seebrücke, eine zivilgesellschaftliche Organisation, die gegen die Kriminalisierung von Seetnotrettung im Mittelmeer kämpft. Der Verein hat die Kampagne "Nazis raus aus den Stadien" gestartet, ein Team für Geflüchtete organisiert und ohnehin dürfen Letztere kostenlos ins Stadion. Die Fanszene ist klar antifaschistisch orientiert.

Nun ist es nicht etwa so, dass Frahn nicht bereut, was bei seinem früheren Verein Chemnitz passiert ist. Im Gegenteil: Seit seiner Verpflichtung macht er öffentlich nichts anderes so häufig wie das. Nach seiner Vorstellung in Babelsberg hat Frahn sich erst bei einer vom Verein organisierten Veranstaltung den Anhängern gestellt, wenige Tage später nochmal Journalisten. Da saß er, an einem Montag, Mitte Februar, in grauem Kapuzenpulli und sichtlich nicht so richtig glücklich ob des allzu ernsten Themas – also seiner Person – und sagte Sachen wie: "Das war der größte Fehler meines Lebens."

Frahn meint damit gleich zwei Vorkommnisse, die ihn in Chemnitz unmöglich gemacht haben. Zumindest bei der Vereinsführung. Zunächst war da die "T-Shirt-Aktion", als Frahn ein T-Shirt mit der Aufschrift "Support your local hools" hochhielt. Das war der damals gerade verstorbenen Neonazi-Größe Thomas Haller gewidmet, Gründer einer Gruppe mit dem sehr sprechenden Titel "Hoonara": Hooligans, Nazis, Rassisten. Frahns zweiter Fehltritt war eine Fahrt zu einem Auswärtsspiel seiner Mannschaft – er selbst war da gerade verletzt – mit der lokalen Hooligan- und Neonazi-Größe Chris Junghänel. Dieser ist einer der Vorzeigerechten der Szene, war früher führende Figur bei Vereinigungen wie den NS-Boys und Kaotic Chemnitz, die der sächsische Verfassungsschutz als rechtsextrem einstuft. Gleichzeitig ging Junghänel beim Chemnitzer FC ein und aus.

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Das Besondere an Frahns Fall ist nun, dass er all das bereut – und das auch glaubhaft rüberbringt –, aber gleichzeitig behauptet, dass alles eine Art Missverständnis sei. Er habe schlichtweg nicht gewusst, was für einen Stofffetzen er da hochhält und mit wem genau er da zum Fußball gefahren und im Fanblock gestanden ist. Junghänel habe er "beim Playstation-Spielen" kennengelernt – online, jeder von zu Hause aus. Das kann man glauben, muss man aber logischerweise nicht.

"Ich bin kein Nazi", sagt Frahn bei dem Gespräch mit Journalisten, immer und immer wieder. Eine Stunde lang fragen die nach, bohren, wollen es ihm nicht leicht machen. Das hohe Lied der Unwissenheit, Frahn singt es gar nicht schlecht. Aber zwischenzeitlich kommt einem der Gedanke, dass er es sich fast leichter machen würde, wenn er sagen würde, dass es ihn halt nicht gestört habe, mit diesen Leuten assoziiert zu werden. Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, heißt es. Schützt Gleichgültigkeit vor moralischer Verurteilung?

Der SV Babelsberg 03 steckt mitten im Abstiegskampf der Regionalliga, will einerseits nicht absteigen, andererseits dem gefallenen Frahn, der als junges Talent schon für den Club auflief, eine zweite Chance geben. Bei Frahns Comeback verhöhnten gegnerische Fans den Verein mit einem Plakat, auf dem stand: "Im Abstiegskampf ist jedes Mittel recht."

Ein Fanvertreter: "Die meisten fanden die Erläuterungen von Daniel vernünftig."

Daniel Frahn Heim ins Reich Fanattacke bei Comeback
  1. Februar 2020: Bei seinem Comeback wird Frahn von den gegnerischen Fans mit "Im Abstiegskampf ist jedes Mittel recht" und "Daniel Frahn – heim ins Reich" begrüßt | Foto: imago images | foto2press

Wer in der Vergangenheit von Daniel Frahn nach Hinweisen dafür sucht, was für ein Typ er eigentlich ist, wofür er steht, bekommt das Bild eines hallodrigen, etwas naiven und zutiefst unpolitischen Menschen. Frahns wichtigste Station war RB Leipzig, wo er fünf Jahre spielte und das Projekt in die 2. Bundesliga schoss. Ein Insider von RB berichtet VICE, dass Frahn nie eine Grenze zwischen sich und die Anhänger des Vereins gezogen hätte – und eben deshalb von ihnen geliebt worden sei. Er hätte sich eben auch mit Anhängern oder Angestellten des Vereins noch an einen Pokertisch gesetzt, wenn andere Spieler längst ihrer Wege gegangen seien. Rechte Aktionen oder Sprüche von ihm wären nie aufgefallen.

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In Babelsberg ist die Fanszene in Sachen Frahn gespalten, es scheint aber eine Tendenz zu geben, dem tief gefallenen Sohn zu vergeben. Denny ist seit 20 Jahren Anhänger von Babelsberg und sitzt im offiziellen Fanbeirat. "Es gibt zwar Leute, die sagen, der gehört hier nicht her", sagt er zu VICE, "aber insgesamt fanden die meisten, wie ich auch, die Erläuterungen von Daniel und vom Verein vernünftig." Nachdem klar geworden sei, dass Frahn verpflichtet wird, hätte es viele Diskussionen unter den Fans gegeben. Er selbst, sagt Denny, hat zwar "damit gerechnet", dass Frahn verpflichtet wird, sei am Ende aber doch überrascht gewesen.

Andere Babelsberger Fans, die nicht zitiert werden wollen, äußern sich kritischer. Der allgemeine Tenor dieser Anhänger ist, dass Frahns Erklärungen zu glatt klingen würden. Oder wie es ein Fan sagt: "Wenn er nicht gewusst hat, mit wem er sich abgibt, dann aber nur, weil er es aktiv nicht wissen wollte."

Aussteiger-Experte Wagner: "Alles andere wäre Naivität als Maskerade."

Nun gibt es keine Organisation, die sich speziell Menschen widmet, die in rechten Kreisen unterwegs waren, ohne diese als rechte Kreise erkannt zu haben oder erkennen zu wollen. Was es aber gibt, ist Exit-Deutschland, eine Initiative, die Menschen hilft, aus der rechten Szene auszusteigen. Deren Gründer und Leiter, Bernd Wagner, gibt sich überzeugt: "Die Losung 'Einmal Nazi immer Nazi' stimmt nicht." Er hält es für wichtig, "Türen offen zu halten", damit Menschen nicht für immer an die rechte Szene verloren gehen.

Zentral dafür, wenn sich jemand von rechten Kreisen distanzieren will, ist laut Wagner "ein klarer Bruch mit der rechten Ideologie". Was nicht gehe und auch nicht funktioniere, sei ein rein opportunistischer Ausstieg, etwa weil jemand berufliche oder soziale Nachteile erwarte und sich nur deshalb distanziere. "Wer wirklich aussteigt", sagt Wagner, "setzt sich intensiv mit den eigenen Motiven auseinander."

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Wagner beobachtet zuletzt, etwa nach dem rassistisch motivierten Terroranschlag von Hanau, dass sich verstärkt Menschen bei Exit melden. Auch will er schon eine nicht unerhebliche Anzahl an ehemaligen Hooligans betreut haben, die raus wollten. Ob Daniel Frahn nun gewusst hat, mit wem er sich da abgibt, weiß Wagner nicht und will es auch ausdrücklich nicht beurteilen. Aber grundsätzlich seien rechte Strukturen in Ostdeutschland schon erkennbar – "wenn man sie erkennen will", sagt Wagner. Alles andere sei "Naivität als Maskerade".

"Er wusste genau, mit wem er da abhängt."

Doch Daniel Frahn soll genau gewusst haben, "mit wem er da abhängt", anders als er es bei dem Gespräch mit Journalisten noch heruntergebetet hat – das sagt zumindest Thomas Sobotzik, bis September 2019 Manager in Chemnitz. In einem am Montag erschienenen Interview mit dem Kicker erklärt Sobotzik, die Polizei hätte ihn bereits 2018 auf Frahns "langjährige Verbindungen" aufmerksam gemacht.

Die Polizei Chemnitz bestätigt auf Nachfrage, dass ein szenekundiger Beamter im August vor zwei Jahren mit Sobotzik gesprochen hat. Ein Chemnitzer Anhänger hatte da gerade bei einem Auswärtsspiel die Reichskriegsfahne gezeigt. Der Mann gehörte zum rechtsextremen Kaotic-Umfeld. Im Gespräch mit dem Manager soll der Beamte eine mögliche freundschaftliche Beziehung zwischen Daniel Frahn und einem Kaotic-Mitglied angesprochen haben.

"Der Hinweis", schreibt die Polizei, "erging durch unseren Beamten an Herrn Sobotzik mit der Intention, dass Herr Frahn möglichst clubintern darauf hingewiesen wird, um welche Gruppierung es sich bei Kaotic konkret handelt." Über langjährige Kontakte zwischen dem Spieler und der rechtsextremen Fangruppe habe die Polizei damals wie heute allerdings "schlichtweg keine Erkenntnisse".

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Im Kicker wirft Sobotzik auch Frahns neuem Club vor, weder mit betroffenen Personen noch dem Chemnitzer Fanbeauftragten oder den Behörden den Austausch über den Spieler gesucht zu haben.

Der SV Babelsberg 03 will sich zu Sobotziks Aussagen nicht äußern. Es habe aber ein Gespräch zwischen einem Mitglied des Vorstands und Sobotzik gegeben, nachdem Frahn verpflichtet wurde, sagt man uns. Der Fanbeauftragte des Chemnitzer FC ließ unsere Anfrage bislang unbeantwortet.

Auf dem Feld ist er ein Anführer, abseits davon nur ein Mitläufer.

Nach allem, was Spieler, ehemalige und aktuelle Verantwortliche, Fans und Experten sagen, ergibt sich ein recht klares Bild des Falls Daniel Frahn. Frahn ist kein Nazi und war auch nie einer. Er ist ein 32-jähriger Junge, der gerne zockt, auf dem Platz und außerhalb. Er ließ sich allzu gerne von all den Schulterklopfern bequatschen, die jeden Verein umgeben – und mancherorts eben rechtsradikal sind. Was diesen Fall vor allem problematisch macht: Er hält dabei die Augen fest verschlossen, um nicht zu sehen, was für Menschen das sind. Er wollte es zumindest nicht sehen oder es war ihm egal. Auf dem Feld war und ist er ein Anführer, abseits davon nur Mitläufer.

Ob so einer zu einem antifaschistischen Verein passt, kann diskutiert werden. Ob die gezeigte Reue ausreicht, auch. Aber da viele Fußballfans nicht müde werden, die integrative Kraft ihres Lieblingssports zu betonen, ist es möglicherweise an der Zeit, dass sich Vereine hierzulande auch als Resozialisierungsprojekte begreifen.

Hooligans des Chemnitzer FC haben derweil am Wochenende auf Auswärtsfahrt in München randaliert. Laut Süddeutscher Zeitung und der Polizei München soll bei den Ausschreitungen auch mehrfach ein Hitlergruß gezeigt worden sein.

Mitarbeit: Thomas Vorreyer

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