Marc Almond und Dave Ball zusammen mit dem Künstler Andy Warhol, Soft Cell gehörten zu den ersten europäischen Bands, die Erfahrungen mit Ecstasy machten
Soft Cell 1982 in der Factory mit Andy Warhol | Fcourtesy of Dave Ball
Popkultur

Wie Ecstasy die Musik deiner Eltern beeinflusste

Jahre vor den ersten Raves lernten ein paar junge Briten in New York Clubbing und neuartige Drogen kennen.

Heute sind die kleinen bunten Pillen quasi synonym mit Clubkultur. Das soll nicht heißen, dass man Ecstasy nehmen muss, um Spaß zu haben, auf keinen Fall. Aber unser Bild von einem Rave ist geprägt von Menschen mit unbändiger Energie, tellergroßen Pupillen und mahlenden Kiefern.

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Die weite Verbreitung von Ecstasy in Europa wird oft mit dem britischen Acid-House-Boom und dem sogenannten Second Summer of Love in Verbindung gebracht, als 1988 Horden junger Menschen in Clubs, Lagerhallen und auf Äckern zu revolutionärer neuer Musik schwitzten und tanzten. Zwei junge Männer aus Leeds hatten die Droge allerdings schon ein paar Jahre früher für sich entdeckt und dazu ein Album aufgenommen. Soft Cells Non-Stop Erotic Cabaret erschien 1981.

Das Duo bestehend aus Dave Ball und Marc Almond befand sich damals in einer komischen Situation. Ursprünglich hatten Soft Cell düstere elektronische Musik im Stil der Genre-Pioniere Suicide gespielt: paranoide Texte mit einem Hauch Melodie. Aber ihre Debüt-Single "A Man Can Get Lost" war gefloppt. Die B-Seite "Memorabilia", eine Kombination aus lockerer Disco-Bassline und futuristischem Proto-Acid-Techno-Beat, entwickelte jedoch ein Eigenleben. 

"'Memorabilia' landete auf Platz 99 in den Charts", sagt Ball und lacht, "aber die Clubs sprangen drauf an. In den Magazinen NME oder Sounds gab es die Charts von der Danceteria in New York und wir waren da drin. Unser Label sah das und dachte sich: 'Warum wird dieses komische kleine Duo aus Leeds, von dem noch niemand gehört hat, in den angesagtesten Clubs in New York gespielt?' Die haben dann wohl entschlossen, dass sie uns noch eine Chance geben sollten."

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Diese zweite Chance entpuppte sich als der Nummer-eins-Hit "Tainted Love", der Soft Cell zu Popstars machte.

Promofoto des Duos Soft Cell von 1981

Foto: Paul Cox, 1981

"Marc konnte in keinen Bus steigen, ohne vom Fahrer nach einem Autogramm gefragt zu werden", erinnert sich Ball. Als sie das Angebot bekamen, nach New York zu gehen, um dort ihr Debüt-Album Non-Stop Erotic Cabaret mit Mike Thorne aufzunehmen, sagten sie sofort zu. "Du konntest da komplett anonym sein", erinnert sich Ball. Das Duo tauchte in die Stadt ein, besuchte einen Club nach dem anderen. Almond, sagt Ball, habe das Ungewöhnliche an New York geliebt. "Die Paradoxie von Wohlstand und extremer Armut, Moral und Verkommenheit, es zeigte sich an jeder Ecke."

An seinem ersten Abend in New York ging das Duo ins Studio 54 und Almond konsumierte eine wilde Drogenmischung, die ihn in eine missliche Lage brachte. Eine Gruppe junger Frauen kam ihm zur Hilfe. Eine von ihnen traf er ein paar Nächte später in dem Afterhour-Club Berlin. Sie sollte wenig später als Cindy Ecstasy bekannt werden. "Sie würde mein und Daves Leben zutiefst verändern", schrieb Almond in seiner 1999 erschienenen Autobiografie "Tainted Life". Ihren Namen hatte Cindy bekommen, weil sie über einen seltenen Vorrat an reinem Ecstasy verfügte, mit welchem sie Ball und Almond bekannt machte. "Es war wie nichts anderes, was ich davor hatte", erinnert sich Ball.

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Ecstasy war damals so neu, dass es noch legal war – erst 1985 wurde sein Hauptwirkstoff MDMA in den USA verboten, 1986 in Deutschland. Das deutsche Pharmaunternehmen Merck hatte MDMA 1912 zum Patent angemeldet. Erste Versuche am Menschen wurden allerdings erst während des Kalten Kriegs vom US-Militär durchgeführt. Nachdem der Biochemiker Alexander Shulgin die Substanz 1965 erneut synthetisiert hatte, schlug MDMA den Weg ein, der es zu der Partydroge schlechthin machen solle.

1977 stellte Shulgin dem Psychotherapeuten Leo Zeff MDMA vor. Dieser war vom therapeutischen Potenzial der Droge begeistert und empfahl die Substanz an Tausende Kolleginnen und Kollegen in den USA. Mehrere Jahre war MDMA vor allem in Medizinerkreisen im Umlauf, bis 1983 ein texanisches Kokainkartell das Marktpotenzial erkannte und einen großflächigen Vertrieb aufzog.

Das bedeutete, dass die Pillen, die Cindy Ecstasy 1981 an Soft Cell und ihre New Yorker Partyfreunde verteilte, sehr wahrscheinlich von einer Therapeutin oder einem Therapeuten stammten. "Kaum jemand weiß davon", sagte sie Almond laut seinem Buch damals. "Ich bin eine der wenigen Dealerinnen und es gibt nur eine Quelle – das kommt alles von einer Person." Almond schreibt, dass seine erste Pille "die beste Drogenerfahrung war, die ich je hatte. Nach dieser Nacht wollte ich Ecstasy wieder und wieder nehmen." Und das taten sie auch.

Aber welchen Einfluss hatte die Droge auf Soft Cells Musik? Was die einzelnen Songs auf Non-Stop Erotic Cabaret angeht, lässt sich eigentlich nur spekulieren. Die ersten Synth-Klänge von "Frustration" klingen wie ein Groove, den stark von Raves beeinflusste Bands wie die Happy Mondays Jahre später spielen würden. Der letzte Song des Albums, die wunderschöne Ballade "Say Hello, Wave Goodbye", flutet ähnlich kribbelnd-warm an wie ein MDMA-Rausch. Aber wie gesagt, das sind nur Vermutungen.

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Schwarz-Weiß-Foto von einer lachenden Dragkünstlerin und einem schmunzelnden jungen Mann mit Ohrringen und Holzperlenkette

Mark Almond mit Divine in New York, 1982

Almond hatte 2021 keine Lust, über Ecstasy zu reden, aber in "Tainted Life" erinnert er sich: "Es dauerte nicht lange, bis wir noch leicht auf Sendung von der Dosis der letzten Nacht im Studio auftauchten. Und danach dauerte es nicht mehr lange, bis wir es auch im Studio nahmen – insbesondere beim Abmischen des Albums." Sein Partner Ball lässt hingegen anklingen, dass der Ecstasy-Aspekt des Albums vielleicht etwas übertrieben wurde. "Stevo Pearce, der damalige Manager von Soft Cell, hat damals das Gerücht verbreitet, dass das ganze Album auf Ecstasy entstanden ist", sagt er. 

In Wahrheit spielte Ecstasy eher eine Nebenrolle auf Non-Stop Erotic Cabaret. Das Album war zum Zeitpunkt der Aufnahmen bereits größtenteils fertiggeschrieben, die Droge kreierte eine Partyatmosphäre drumherum. Indirekt zu hören ist Ecstasy aber auch. Laut Almond seufzte und stöhnte Josephine Warden im Hintergrund von "Seedy Films" im Ecstasyrausch. 

Nach der Veröffentlichung des Albums vervollständigte das Duo jedoch seine Wandlung zu einer Gruppe, die auf Ecstasy Musik zum Ecstasykonsum über Ecstasy macht. Der Remix von "Memorabilia", der 1981 erschien, ist eindeutig elektronische Dance-Musik. Der sich jetzt über sieben ekstatische Minuten erstreckende Track – Almond bezeichnete ihn gar als "erste Acid-House-Techno-Aufnahme überhaupt" – featured sogar einen sinnlichen Rap von Cindy Ecstasy: "Let's take a pill and shut our eyes and watch our love materialise." 

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Aber Ball und Almond waren nicht die einzigen Typen aus Nordengland, die sich in den frühen 80ern in New York rumtrieben und in den Clubs ihre Liebe zu Disco, Clubbing und Ecstasy entdeckten. New Order und A Certain Ratio machten 81 und 82 fast dieselben Erfahrungen, welche vor allem bei New Order zu einer großen musikalischen und professionellen Veränderung führte. Auf dem 1983 erschienen Album Power, Corruption and Lies gibt es sogar einen Song mit dem Titel "Ecstasy".

Soft Cell brachten in den folgenden Jahren Pillen mit nach Großbritannien, um dort in einem kleinen ausgewählten Kreis die Ausschüttung von Glückshormonen anzukurbeln. Zwei der bald erfolgreichsten Popstars der 80er, Boy George und George Michael, experimentierten mit der Droge lange vor ihrem Boom und vermeintlichen Einfluss auf die britische Musikszene. Die ersten substanziellen Lieferungen erreichten Großbritannien 1985. Im selben Jahr erschien in der Zeitschrift The Face der erste britische Artikel über die Droge und Clubs wie Taboo wurden zu Ecstasy-Hotspots. 1986 erreichte die E-Entdeckungsphase auf der Insel schließlich ihren Höhepunkt, als DJs aus Ibiza zurückkehrten und im Gepäck Geschichten, neue Tracks und Pillen mitbrachten. Daraufhin explodierte die Clubkultur zusammen mit Ecstasy.

Während New Order 1988 Hallen mit 10.000 Fans füllten und auf Ibiza ein von Acid House inspiriertes Album schrieben, arbeitete Soft Cells Dave Ball mit Psychic TV an Jack the Tab – ein Album, das manche als das erste Acid-House-Album überhaupt bezeichneten, was viele andere vehement bestreiten.

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Zwei junge, dunkel gekleidete Männer in einem vollgesprayten Spiegel

Gibt es also einen direkten Zusammenhang zwischen Soft Cells Ecstasy-Abenteuern 1981 und der Entwicklung der britischen – und damit im erweiterten Sinne auch europäischen – elektronischen Pop-, House und Techno-Musik? Ja und nein. Soft Cell haben eindeutig einen Stil beeinflusst, aber damit Ecstasy funktioniert, überhaupt verstanden wird, müssen alle auf dem gleichen Level sein. In vielerlei Hinsicht waren Soft Cell auf diesem Gebiet ihrer Zeit so weit voraus, dass andere Menschen kaum die Möglichkeit hatten, von der Kultur um Ecstasy beeinflusst oder geformt zu werden, weil ihnen die gelebte Erfahrung fehlte. 

"New York war turbulent", fasst es Marc Almond heute zusammen, als er sich daran erinnert, wie beeindruckt er von den Klängen von Patrick Cowley und Grace Jones war, die durch erstklassige Soundsysteme schallten. "Wenn man das Leben an unserer Sammlung von Erfahrungen misst, dann war dieser Trip so viel."

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