Menschen

Shitstorm: Wie du Betroffenen helfen kannst – oder dir selbst

"Das ist eine massive psychische Gewalterfahrung", sagt die Sozialarbeiterin Claudia Otte über Hass im Netz.
Screenshots von beleidigenden Nachrichten als Beispiele für Hass im Netz
Symbolfoto bestehend aus: Wolken: Imago Images | Design Pics || Nachrichten: Screenshot von Twitter || Bearbeitung: VICE

Auf Twitter zeigt sich derzeit wieder die hässlichste Fratze unserer Gesellschaft. Die Wiener Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl erlebt – oder überlebt – gerade eine Lawine an Hassnachrichten, nachdem der Welt-Autor Rainer Meyer, besser bekannt als Don Alphonso, über sie geschrieben hat. Ein rechter Mob wütet gegen Strobl; Es geht soweit, dass Rechtsextreme Beleidigungen und Drohungen im digitalen Kondolenzbuch ihres Vaters hinterlassen.

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Die Sozialarbeiterin Claudia Otte von HateAid erklärt in diesem Interview, was es mit Menschen macht, wenn sie von Hass im Netz betroffen sind und wie man ihnen in einem Shitstorm zur Seite stehen kann. Die Organisation HateAid hilft Personen bei digitalem Hass.

VICE: Was macht es mit einer Person, wenn sie von Hass im Netz betroffen ist?
Claudia Otte: Hass im Netz ist ganz klar eine Gewalterfahrung. Sie ist deswegen so schwerwiegend, weil sie auf alle vier psychischen Grundbedürfnisse wirkt und sie untergräbt. Das bedeutet konkret: Solche Attacken greifen das eigene Selbstbild an, weil die betroffene Person zwangsläufig durch den Hass, der ihr entgegenschlägt, das eigene Selbstbild infrage stellt. Dann fühlt man sich alleine, ausgeschlossen und isoliert, was wiederum den Wunsch nach sozialer Zugehörigkeit angreift.


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Gerade wenn die Attacken wie in diesem Fall auch die Familie oder das analoge Leben betreffen sind das Sicherheitsgefühl und die eigene Autonomie massiv eingeschränkt. Das können Betroffene dann auch nicht mehr abschütteln, wenn sie den Computer ausmachen. Wenn die private Adresse im Netz veröffentlicht ist, fühlen sie sich auch in ihrem Zuhause nicht mehr sicher. Die Angriffe werden aber auch deshalb von den Betroffenen als so einschneidend erlebt, weil sie kein Gegenüber haben, sondern nur eine anonyme Masse, die nicht greifbar ist und der sie sich hilflos und ohnmächtig gegenüber sehen.

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Was wenn sich der Hass über mehrere Wochen zieht?
Wenn sich ein Hatestorm über Wochen hinzieht, ist das eine massive psychische Gewalterfahrung. Diese wird zunächst Ängste, Scham, Hilflosigkeit oder Wut auslösen. Daraus können aber durchaus ernsthafte psychische Erkrankungen entstehen, wie zum Beispiel Depressionen, psychosomatische Symptome wie Schlaflosigkeit oder Angsterkrankungen. Die Lebensqualität der Betroffenen leidet, ihre Leistungsfähigkeit nimmt ab. Das führt oft zu Arbeitsausfällen. Im Extremfall kann digitale Gewalt auch zu Suizidgedanken bis hin zum Selbstmord führen.

Wer ist besonders betroffen von Hass im Netz?
Besonders oft betroffen sind marginalisierte Gruppen, also Menschen, die auch im analogen Leben oft von Diskriminierung betroffen sind. Damit meine ich unter Anderem BPoC, Menschen aus der LGBTQI-Community, Frauen, Geflüchtete. Dazu oder auch innerhalb dieser marginalisierten Gruppen sind oft Menschen des öffentlichen Lebens wie zum Beispiel Journalistinnen oder Aktivistinnen, die mitunter starke politische Meinung vertreten, von Hass im Netz betroffen. Mit ihrem Standing und ihrer Haltung geben diese Menschen viel von sich preis und machen sich hierdurch angreifbar.

Die Täter und Täterinnen haben nicht nur, aber oft, eine rechte oder rechtsextremistische Motivation. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass wir Angriffe immer dann beobachten, wenn sich Menschen zu bestimmten Themen wie Klimawandel, Feminismus, Migration oder Rassismus äußern.

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Wie schützt man sich selbst am besten?
Es ist wichtig, so wenig persönliche Daten über sich selbst im Netz preiszugeben wie möglich, dann ist man viel weniger angreifbar. Deswegen sollte man sich als allererstes darüber informieren, welche Daten öffentlich im Netz über die eigene Person zu finden sind. Das bedeutet konkret: Googeln Sie sich und schauen Sie auch auf Seite zwölf noch nach, ob dort vielleicht noch die Adresse oder die Schule der Kinder zu finden ist, weil sie dort eventuell einmal ein Amt übernommen haben. Fragen Sie sich immer, ob man aus den Informationen auf den eigenen Wohnort schließen kann.

Außerdem unbedingt die Sicherheits- und Privatsphäreeinstellungen der Social-Media-Konten überprüfen. Wer kann dort was sehen und wer kann mich kontaktieren? Wichtig ist auch ein verantwortungsbewusster Umgang mit Passwörtern, denn dann verringert man die Chancen, dass das Email-Konto gehackt wird. Ein Passwortmanager ist unerlässlich.

Welche Bewältigungsstrategien können Sie Betroffenen empfehlen?
Betroffene sollten sich zügig Menschen aus ihrem Umfeld anvertrauen und über die Geschehnisse sprechen. Zur Solidarität aus dem Umfeld ist es wichtig zu schauen, was der betroffenen Person gerade individuell gut tut. Gut ist auch, seine Social Media Konten erstmal von einer Person des Vertrauens betreuen zu lassen, die löscht und blockiert und erstmal aufräumt. Lesen Sie sich auf keinen Fall alles durch, sondern suchen Sie Abstand.

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Das kann aber nur ein erster Schritt sein: Suchen Sie sich Hilfe, denn Sie haben eine Gewalterfahrung gemacht, die Sie dauerhaft verarbeiten müssen. Wir empfehlen, sich an spezialisierte Beratungsstellen zu wenden und das Gespräch zu suchen. Manchmal ist auch eine dauerhafte Psychotherapie hilfreich.

Gibt es genug psychologische Betreuung in Deutschland für Menschen, die von Hass im Netz  betroffen sind?
Leider nein. Derzeit gibt es nur uns als einzige bundesweite spezialisierte Beratungsstelle in Deutschland für Betroffene von digitaler Gewalt.

Was muss sich aus Ihrer Sicht bei der Unterstützung von Betroffenen auf rechtlicher Basis verbessern?
Seitens Justiz und Rechtsdurchsetzung muss definitiv eine Sensibilisierung stattfinden. Betroffene werden von Polizei und Justiz derzeit noch zu oft nicht wahrgenommen, ernst genommen und teilweise sogar abgewiesen. Wir brauchen weitere spezialisierte Schwerpunktstaatsanwaltschaften, die sich mit den Themen der Betroffenen auskennen und um ihre belastende Situation wissen.

Außerdem muss klar der Zusammenhang zwischen Hass im Netz und organisiertem Rechtsextremismus gezogen werden. Viele Delikte sind politisch motiviert, werden aber nur als einfache Beleidigungen eingestuft. Vor allem aber muss die Politik die Plattformen in die Pflicht nehmen, die bei der Täterermittlung oft nicht kooperativ sind. Einer der wichtigsten Gründe, warum Anzeigen eingestellt werden, ist, weil die Täterinnen und Täter nicht ermittelt werden können. Das muss sich ändern.

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Wie kommt es, dass sich Menschen sicher genug fühlen, um anderen Beleidigungen und Bedrohungen zu schreiben?
Vor allem die mangelnde Strafverfolgung in den letzten Jahren ist ein wichtiger Grund dafür. Dadurch haben Täter und Täterinnen das Gefühl, dass das Netz ein rechtsfreier Raum sei und viele Betroffene denken, sie müssten die ganze Gewalt aushalten. Außerdem wird Hass im Netz auch durch die Algorithmen der Social-Media-Plattformen belohnt, weil er viele Emotionen hervorruft und oft viral wird. Das ist ja auch eine Ermutigung für die Täter und Täterinnen. Entscheidend ist aber schließlich auch, dass wir als Gesellschaft im Netz noch nicht wirklich solidarisch sind. Statt uns vor die Angegriffenen zu stellen, klicken wir oft einfach weg. Da fehlt es noch an dem richtigen Bewusstsein.

Wie schafft man Bewusstsein in der Gesellschaft?
Es braucht viel Medienkompetenz, Wissen und Sensibilisierung. Viele haben noch nicht verstanden, wie Algorithmen und Social-Media-Plattformen funktionieren. Oder dass Viralität manipuliert werden kann; dass rechtsextreme Gruppen gezielt versuchen, den öffentlichen Diskurs bei Twitter zu manipulieren und Leute gezielt angreifen, um sie aus dem Netz zu vertreiben.

Wie kann man helfen, wenn sich ein rechter Mob an einer Person abarbeitet?
Seien Sie solidarisch. Schreiben Sie eine private Nachricht oder posten sie in der Timeline der Person eine Nachricht. Wünschen Sie Kraft und Mut und sagen sie der Person, dass sie sich nicht unterkriegen lassen soll.

Machen Sie rechtssichere Screenshots von Äußerungen, die Sie als rechtswidrig einschätzen und schicken Sie diese zum Beispiel an HateAid oder die Meldestelle Respect. Melden Sie die Äußerungen bei Twitter, damit die Plattform gezwungen ist, diese zu überprüfen und zu löschen. Damit nehmen Sie der betroffenen Person viel Arbeit ab. Und: holen Sie ihr Netzwerk dazu, um die betroffene Person mit Solidarität zu fluten. Oft geht es bei einem Shitstorm darum, wieder Ausgewogenheit der Meinungen herzustellen, und der betroffenen Person zu vermitteln, dass sie nicht allein ist.

Wenn du von Hass im Netz betroffen bist, kannst du dich in Deutschland an HateAid unter +49 172 4636998 und beratung@hateaid.org wenden. In Österreich hilft dir die Beratungsstelle #GegenHassimNetz, du erreichst sie unter +43 1 929 13 99 und beratung@zara.or.at. In der Schweiz kannst du dich an netzcourage.ch wenden unter hallo@netzcourage.ch. Die Angebote sind kostenlos.

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