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Höllische Nachbarn

Berliner Polizistin spionierte mit dem Polizeicomputer ihre Nachbarn aus

Andere Beamte sollen sich für illegale Abfragen im Polizeisystem sogar mit Sex bezahlen lassen haben.
Foto: imago | Bernd Friedel

Raschelnde Gardinen, sichtgeschützte Zäune oder zerstörte Gartenzwerge. Misstrauen gegenüber den Nachbarn gehört wie der sonntägliche Autoputz zum deutschen Kulturgut. Nur 35 Prozent der Deutschen wünschen einen engeren Kontakt zu den Menschen, die neben ihnen leben, und jeder Zweite kennt sie nicht einmal, wie eine Studie der TU Darmstadt ergab. Was die Nachbarn hinter den Gardinen treiben, interessiert uns trotzdem – das haben nicht erst TV-Hits wie die Lindenstraße oder Höllische Nachbarn bewiesen. Eine Polizistin in Berlin wollte es ganz genau wissen – und spionierte jahrelang ihre ganze Nachbarschaft über das Polizeisystem aus, wie die Berliner Morgenpost berichtet.

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Die Beamtin aus Zehlendorf nutzte dafür das System Poliks, die Abkürzung steht für "Polizeiliches Landessystem zur Information, Kommunikation und Sachbearbeitung". Damit soll sie seit 2012 regelmäßig Schnellauskünfte zu Personen eingeholt und Datenbanken abgefragt haben. Einzige Gemeinsamkeit: Alle abgefragten Personen wohnten in ihrer Nachbarschaft. Aber: "Das unbefugte Abrufen, Übermitteln oder Verändern von personenbezogenen Daten ist strafbar", so Polizeisprecher Thomas Neuendorf gegenüber der Berliner Morgenpost. Auf Nachfrage von VICE bat die Polizei Berlin wegen unzähliger Anfragen um Zeit für eine Stellungnahme. Herausgekommen war der Fall wohl nur, weil ein Nachbar Anfang 2016 anonyme Hinweise bekommen haben soll, dass er ausspioniert werde, berichtet die Berliner Morgenpost. "Wir haben mehrmals festgestellt, dass ihr Nachbar illegal ihre Personendaten abfragen lässt", soll in dem Schreiben gestanden haben. Nach einem weiteren Hinweis erstattete der Mann Anzeige. Dann ging es schnell: Das Landeskriminalamt ermittelte gegen die eigene Kollegin, es folgte eine Hausdurchsuchung. "Bei Verdachtsmomenten einer missbräuchlichen Nutzung könne man im Nachhinein überprüfen, wer die Anfrage gestellt hat und warum", so Neuendorf. Wegen des Ausspähens von Daten und Verstößen gegen das Landesdatenschutzgesetz akzeptierte die Frau laut Bericht inzwischen eine Strafe über 6.000 Euro und muss mit nicht näher genannten "beruflichen Konsequenzen" rechnen.

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Der Fall ist keine Ausnahme. "Solche oder ähnlich gelagerte Fälle sind bekannt", so Neuendorf, der keine Zahlen herausgeben könne. "Eine Statistik wird beim Landeskriminalamt nicht geführt." Seit Anfang Oktober steht etwa ein anderer Berliner Beamte steht vor Gericht, weil er in 266 Fällen interne polizeiliche Informationen weitergegeben haben soll. Als Gegenleistung soll er in einer Tabledance-Bar freien Eintritt und kostenlosen Sex bekommen haben. Der Polizist streitet das ab, doch auch Kollegen belasten ihn.

Auf das Polizeisystem können in unterschiedlichen Berechtigungsstufen eigentlich alle Dienstkräfte des Polizeivollzugsdienstes zugreifen, so Neuendorf zur Morgenpost. Um weitere unbefugte Abfragen zu verhindern, soll in Berlin ab kommendem Jahr die Stelle eines Bürgerbeauftragten für die Landespolizei geschaffen werden, wie Politiker der rot-rot-grünen Regierung der Zeitung Neues Deutschland an diesem Donnerstag bestätigten. So steht es auch im Koalitionsvertrag. In Rheinland-Pfalz gibt es eine solche Stelle, bei der sich Bürger und Polizisten anonym beschweren können, schon seit dem Jahr 2014. Bereits nach hundert Tagen vermeldete der Bürgerbeauftragte mit 17 Beschwerden von Bürgern und sechs Eingaben von Polizeibeamten so viele Meldungen wie damals im ganzen Jahr zuvor.

Somit wird eine unabhängige Beschwerdestelle im System institutionell verankert. Hätte es diese Stelle schon gegeben, hätte der Nachbar nicht erst nach dem anonymen Hinweis selbst zur Polizei gehen müssen, im Idealfall wäre der Fall viel schneller aufgeklärt worden. Gegen neugierige Nachbarn hinter den Gardinen schützt das natürlich nicht.

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