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Schönheit

Immer mehr Beauty-Vlogger fischen sich teures Make-up aus dem Müll

In der Geschichte des Haul-Videos kündigt sich eine seltsame Wendung an: Immer mehr YouTuber geben vor laufender Kamera mit Make-up im Wert von mehreren tausend Euro an, das sie einfach aus dem Müll gefischt haben. Wir haben nachgefragt.
Shelbizleee poses with makeup she found in the garage. Photos courtesy of Shelbizleee Shelbi

Die 23-jährige Shelbi, die sich selbst Shelbizleee nennt, sitzt vor ihrem Computer und nimmt ein Video von sich auf. Alltag im Leben einer YouTuberin. Sie reißt ihren Mund weit zu einem strahlenden Lächeln auf. Ihre Augen werden von einem silbern schimmernden Lidschatten umrahmt. „Ich weiß, dieses Make-up ist ziemlich außergewöhnlich!", sagt sie. Das wirklich außergewöhnliche an dem Video ist aber eigentlich nicht der Lidschatten selbst, sondern woher sie ihn hat. Denn Shelbi nutzt YouTube und Facebook Live, um jungen Mädchen beizubringen, wie man in Müllcontainern nach Make-up taucht.

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„Ich verwende keinen flüssigen Lippenstift oder irgendwelche anderen Produkt, die verschmutzt oder nicht keimfrei sein könnten", erklärt mir Shelbi am Telefon. Sie empfiehlt jungen Frauen, in den Müllcontainern nach Make-up auf Puderbasis Ausschau zu halten. In ihrem Video erklärt sie, wie man Puderprodukte und Lidschatten mit Alkohol besprüht und von Schmutz befreit. Bei ihren Tauchgängen trägt sie immer Handschuhe. „Außerdem desinfiziere ich mir regelmäßig die Hände", erklärt sie.

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Shelbi ist nicht damit nicht allein. In den vergangenen zwei Jahren fingen immer mehr YouTuber an, in den Müllcontainern hinter Kosmetikshops wie Sephora nach Make-up zu suchen—und es scheint immer beliebter zu werden. Zumindest wurden die Videos millionenfach angeklickt. Seit Facebook Live zum Alltag vieler Social-Media-Nutzer gehört, übertragen einige Mülltaucher ihre Streifzüge auch live ins Netz. „Die Leute wissen, dass ziemlich viel weggeworfen wird, aber [es aus erster Hand zu sehen] hat einen gewissen Wow-Faktor", erklärt Shelbi.

Mülltaucher sind natürlich längst nichts Neues mehr. James Jugan kommt aus New Jersey und verkauft seit 1978 Secondhand-Make-up, das er aus Mülltonnen fischt. „Das ist wie die Lizenz zum Gelddrucken", sagte er 2015 gegenüber Racked. Shelbi begann aus ähnlichen Gründen damit, im Müll zu tauchen: Als sie vor drei Jahren noch im Westen von Texas studierte, bemerkten sie und ihre Freundin, dass einige ihrer Mitstudenten ihre Möbel am Ende des Sommersemesters einfach auf den Müll warfen. Sie haben die Möbel gesammelt und online weiterverkauft. „Wir haben in diesem Sommer mehrere hundert Euro mit Sofas, Betten und so weiter verdient", sagt sie.

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Shelbi liebte ihren Teilzeitjob aus mehreren Gründen. Zum einen ist sie einen begeisterte Umweltschützerin: Seit ihrem Aufenthalt in einem pädagogischen Ferienlager gegen Ende ihrer Schulzeit setzte sie aktiv für die Umwelt ein. Was sie am Mülltauchen so mochte, war die Tatsache, dass es Abfall reduzierte. Zum anderen machte es auch einfach aus finanzieller Sicht Sinn.

Die Beute aus einem von Shelbis letzten Tauchgängen.

Nachdem Shelbi ihren Abschluss gemacht hatte und ihre Rechnungen selbst bezahlen musste, nutzte sie die Tauchgänge im Müll, um ihre Ausgaben zu reduzieren. Vergangenen Sommer sah sie dann ein Video von Trina, einer der bekanntesten Mülltaucherinnen auf YouTube. Trina filmte sich selbst dabei, wie sie in den Mülltonnen verschiedener Kosmetikshops weiße Müllsäcke nach weggeworfenen Produkten durchsucht. Das Video hat Shelbi nicht nur dazu inspiriert, weggeworfenes Make-up zu verwenden, es hat ihr auch den Anstoß gegeben, selbst Videos auf YouTube zu posten, um andere Menschen aufzuklären. „So konnte ich anderen zeigen, dass man, die Sachen, die manche Menschen wegwerfen, noch immer verwenden kann", sagt Shelbi.

In einem ihrer Videos zeigt Shelbi Make-up im Wert von knapp 1.900 Euro, das sie innerhalb einer Woche im Abfall gefunden hat. „Ich weiß, dass ich immer zu den Mülltonnen von ULTA [einem amerikanischen Beauty-Unternehmen] gehen kann und dort mit Sicherheit immer etwas finden werde", sagt sie, bevor sie ihre Beute präsentiert: Gucci, Bamboo, mehrere Contouring-Paletten von Anastasia Beverly Hills und Parfum von Dolce und Gabbana, „das fast noch komplett voll ist." Sie sagt aber auch, dass sie diese ganzen Beauty-Produkte nicht unbedingt gebraucht hätte, sondern einfach nur haben wollte. Außerdem weist sie immer wieder auf ihre ökologische Botschaft hin. Bevor sie ihren Fang unter die Lupe nimmt, sagt sie: „Es ist mir ziemlich egal, wenn ihr der Meinung seid, das sei eklig […] Ich finde es toll und glaube, dass ich unserem Planeten damit etwas Gutes tue. Wenn du anderer Meinung bist—auch OK. Dann schau einfach nicht hin."

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Ihre Warnung scheint niemanden abgeschreckt zu haben: Das Video vom November 2016 hat bereits über eine Millionen Views.

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Laut der Videos, die sie posten, scheint ULTA eine der beliebtesten Ladenketten unter den jungen Mülltaucherinnen zu sein. Lacy gehört zu einer Gruppe junger Frauen, die sich die Dumpster Diving Divas nennen. Sie sagt: „Wir sind zum ersten Mal im Abfall tauchen gegangen, nachdem ich ein Video auf YouTube entdeckt habe, das ‚ULTA dumpster diving' hieß. Wir mussten einfach selbst dahin und sehen, ob das wirklich geht." Vor allem reizt sie daran, dass „die Sachen nichts kosten." Sie kommt allerdings auch aus einem sehr sparsamen Haushalt.

Shelbi vermutet eine sehr viel komplexere Ursache hinter dem Erfolg der Videos. „Ich bin jemand, der sich sehr für soziale und wirtschaftliche Probleme interessiert. Daher glaube ich, dass das Ganze einfach mit unserer aktuellen Wirtschaftslage zusammenhängt", antwortet sie, als ich sie frage, warum sie so bekannt geworden ist. „Es wird immer schwieriger, sich all die Dinge, von denen wir glauben, dass wir sie brauchen, leisten zu können."

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Die Arbeitslosenquote sinkt zwar in den USA wie auch in Deutschland weiter, doch die finanzielle Situation der Generation Y bleibt nach wie vor schwierig. Laut der Huffington Post hat eine 2016 erschiene Untersuchung des McKinsex Global Institute ergeben, dass das Einkommen aus Arbeit und Kapitalanlagen zwischen 2005 und 2014 in bis zu 70 Prozent der Haushalte in Deutschland und der ganzen Welt stagniert ist. Das bedeutet, dass „die junge Generation von heute in vielen Ländern Gefahr [läuft], ärmer zu werden als ihre Eltern", meinte die Arbeitsmarktexpertin Solveigh Hieronimus gegenüber der Huffington Post. Außerdem verschulden sich auch immer mehr junge Menschen durch das Studium. In den USA stiegen die Schulden aus Studentendarlehen laut eines Berichts der Times über eine Studie von Experian zwischen 2007 und 2014 sogar um ganze 84 Prozent zu.

Im Abfall nach Makeup zu tauchen, passt also zur wirtschaftlichen Situation vieler junger Frauen und so wie es aussieht, werden die Videos auch noch länger so beliebt bleiben. „Meine Mutter gibt unglaublich viel Geld für Produkte vom Wühltisch aus", sagt Shelbi. „Unsere Generation ist dagegen auch bereit, in einen Secondhand-Laden zu gehen und qualitativ hochwertigere Produkte zu kaufen, damit wir nicht unnötig Geld ausgeben müssen."