Menschen

Ich bin mit einer nicht-binären Transperson zusammen

Bevor ich Fynn kennenlernte, hielt ich mich für heterosexuell. Und das tue ich auch heute noch. Dabei bin ich offensichtlich bisexuell.
Yannah Alfering
aufgeschrieben von Yannah Alfering
Kristina und Fynn
Foto: privat

Ich fand Fynn sofort attraktiv. Fynn war anders. Wir haben uns während des Psychologiestudiums in Chemnitz kennengelernt. Unser erstes Treffen war ein Zufall. Meine Kommilitoninnen hatten Muffins gebacken, ich hatte am Tag zuvor Geburtstag. Als wir uns in die Sonne setzen wollten, war bis auf zwei Bänke alles belegt. Auf einer davon saß Fynn. An unseren Gesprächsthemen merkte Fynn sofort, dass wir neu in Chemnitz waren und klinkte sich ein. Ich erzählte, wie gerne ich die Augustusburg besichtigen würde. Fynn auch. Also schlug ich vor, das gemeinsam zu tun.

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Ich konnte in dem Moment nicht einschätzen, ob Fynn ein Mann oder eine Frau ist. Das ist ein Unisexname. In der Hoffnung auf einen Zweitnamen habe ich Fynn gebeten, den Kontakt selbst in meinem Handy einzutragen. Das hat leider nichts gebracht: Der zweite Name ist "Joanie".

Früher hieß Fynn Anne-Linde. Das habe ich einen Tag später von einer Kommilitonin erfahren. Auf Instagram fand ich dann eine Sprachnotiz, auf der man hören kann, wie sich Fynns Stimme seit der Testosteronzufuhr verändert hat. Ich war sehr froh, das Profil so früh entdeckt zu haben. So habe ich mir erspart, in ein Fettnäpfchen zu treten. Fynn ist trans und fühlt sich weder als Mann noch als Frau.

In den Vorlesungen schaute ich immer wieder rüber. Die meisten Menschen würden Fynn vermutlich auf den ersten Blick für einen Mann halten. Fynn hat schwarze, kurze Haare. In den Vorlesungen trug Fynn immer eine blaue Brille, wirkte konzentriert und zurückhaltend. Ich fand es spannend, Fynns androgyne Gesichtszüge zu beobachten. Fynn wirkte auf mich wie ein Kunstwerk.

Auf der WG-Party einer Kommilitonin redeten wir stundenlang. Danach schrieben wir uns regelmäßig und schickten Bilder hin und her. Irgendwann schickte Fynn mir den Link zu dem Instagram-Profil, das ich schon kannte, und fragte, ob ich Fragen hätte. Es wirkte wie ein freundlicher Versuch, mir mitzuteilen, worauf ich mich einlasse. Das fand ich unglaublich liebenswert.

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Als Fynn mich nach meiner sexuellen Orientierung gefragt hat, wollte ich mit meiner Antwort nicht direkt abblocken. Ich fand Fynn anziehend und das habe ich auch so gesagt. Vor meiner ersten Beziehung mit einem Mann wusste ich schließlich auch nicht, ob ich mir das langfristig vorstellen könnte. Aber das war nicht das einzige, was mich besorgte. Ich bin 32. Fynn ist 22. Mein Lebensplan war eigentlich: Job, Heirat, Kinder, Hausbau. Eine Beziehung mit Fynn hat Konsequenzen – und das wusste ich von Anfang an. Ich musste die Situation sofort richtig durchdenken – sonst würde ich irgendwann in der Luft hängen.

Kurz nachdem wir uns kennenlernten, half Fynn mir beim Umzug und erzählte, dass Fynns Regel am Tag zuvor nochmal eingesetzt hätte und wie ätzend das sei. Das wirkte wie ein: "Wenn du es bis jetzt noch nicht verstanden hast, gebe ich dir jetzt den letzten Hint." Mir war das in dem Moment relativ egal. Wir verbrachten anschließend die ganze Nacht miteinander und redeten. Nach diesem gemeinsamen Abend wussten wir beide, dass zwischen uns mehr ist. Geküsst haben wir uns erst am Abend darauf.

Obwohl es mit uns noch so frisch war, schoss mir plötzlich ein Gedanke durch den Kopf: Wir werden nie Kinder haben, die unser beider Gene besitzen. Das war und ist sehr schlimm für mich. Deswegen habe ich sehr früh das Gespräch mit Fynn gesucht. Fynn war total verständnisvoll.

Ich bin jetzt seit neun Monaten mit Fynn zusammen. Bis dahin hatte ich nur Beziehungen mit Männern und auch nie sexuelles Interesse an Frauen. Ich würde mich als heterosexuell bezeichnen. Ich fand Frauen zwar immer schön, aber nie erregend. Fynn nehme ich nicht als Frau wahr, auch nicht sexuell. Natürlich sind da Gegebenheiten, mit denen man umgeht – keiner von uns hat einen Penis. Für mich war Fynns Körper wie ein neues Automodell. Man weiß am Anfang nicht so recht, wie man es bedient. Sex mit Männern lief für mich immer nach demselben Schema ab. Sex mit Fynn ist anders. Ich glaube, ich habe mich am Anfang ziemlich ungeschickt angestellt. Trotzdem habe ich nicht das Gefühl, mit einer Frau zu schlafen. Ich sehe Fynn ins Gesicht. In dem Moment blende ich sehr viel aus. Vielleicht bin ich pansexuell?

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Für die meisten Menschen ist es zu kompliziert, jemanden nicht in ein Geschlecht einzuordnen. Das fängt schon bei der Sprache an. Ich gewöhne mich langsam daran, alle Pronomen durch "Fynn" zu ersetzen. Leicht fällt es mir trotzdem nicht. Es fehlt einfach eine Kategorisierung für Agender.

Wir haben viel hin- und herüberlegt, was Kinder angeht. Es gäbe die Option, dass ich beide Kinder austrage und eins aus einer künstlichen Befruchtung mit Fynns Eizelle entsteht. So hätte ich zu beiden Babys eine körperliche Verbindung. Genetisch wäre aber nur ein Kind von mir und eines von Fynn. Das machte mir Sorgen. Was wäre, wenn Fynn das andere Baby nicht lieben könnte? Irgendwann hat Fynn gesagt: "Kristina, wenn es dir lieber ist, könnte ich auch ein Kind austragen." Dafür müsste Fynn das Testosteron absetzen und ich weiß, wie furchtbar das für Fynn wäre. Trotzdem hat mir diese Bereitschaft ganz viel Sicherheit gegeben. Ich weiß, dass wir mit dem Thema umgehen werden können, wenn es soweit ist.

Ich habe meinen Eltern sehr früh von Fynn erzählt. Ich hatte das Gefühl, sie bräuchten unbedingt eine Vorlaufzeit. Am Telefon habe ich ihnen erstmal erzählt, dass ich mich verliebt habe. Dann, dass Fynn als Frau zur Welt gekommen ist und Testosteron nimmt. Meine Mutter hat nur rausgehört, dass ich jetzt mit einer Frau zusammen bin. Ich glaube, sie dachte, das Thema würde sich wieder legen. Mein Vater war goldig. Er hat sich total gefreut und von einem Pärchen aus seinem Bekanntenkreis geredet, das gerade geheiratet hat. Ich musste in dem Moment ein bisschen schmunzeln, weil er definitiv von einem lesbischen Pärchen gesprochen hat. Ich habe es erstmal dabei belassen.

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Meine Mutter ist sehr darauf bedacht, wie unsere Familie nach außen wirkt. Die Sorge konnte ich ihr nicht nehmen. Mittlerweile kennt sie Fynn. Mir ist es wichtig, dass Fynn meinen Rückhalt hat – auch vor meiner Familie. Meine Eltern bezeichnen Fynn auch heute noch als "Er". Fynn war sich deshalb zu Beginn nicht sicher, inwiefern meine Eltern verstanden haben, dass Fynn Agender ist. Wir haben noch einmal das Gespräch gesucht. Sie wissen, was Sache ist. Aus Gründen der Einfachheit möchten meine Eltern aber bei "Er" bleiben und für Fynn ist das OK.

Ich selber wechsle manchmal sprachlich ab. Mal sage ich "meine Liebe", mal sage ich "Monsieur". Für uns ist das OK, weil Fynn merkt, dass ich beide Seite annehme. Ich glaube, für Fynn war es lange Zeit sehr problematisch, als Mädchen zu gelten. Fynn hat zwei große Brüder. Die Eltern ein recht traditionelles Rollenbild. Die Brüder haben im Garten oder in der Försterei geholfen, Fynn musste der Mutter in der Küche und beim Putzen helfen. Fynn hat schon sehr früh geäußert, lieber ein Junge sein zu wollen. In der Abizeit hat Fynn sich geoutet – damals als lesbisch. Fynn hoffte, dass sich nach dem Outing alles besser und richtiger anfühlen würde. Tat es aber nicht. Dann ist Fynn auf das Thema Agender gestoßen und hat sich dort zugehörig gefühlt.


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Aber die meisten Menschen belastet die Ansprache. Ein älterer Herr hat es einmal unterbewusst genau richtig gemacht. Er arbeitete in einer Autowerkstatt. Zur Begrüßung sagte er: "Hallo die Damen". Bei der Bezahlung sprach er Fynn mit "der Herr" an und bei der Schlüsselübergabe sagte er: "So, die Dame und die Dame, ähm, der Herr." In der Verzweiflung es irgendwie richtig machen zu wollen, hat er es eben genau richtig gemacht. Wir sind danach freudestrahlend nach Hause gefahren.

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Momentan trägt Fynn noch einen Binder, möchte sich langfristig die Brüste entfernen lassen. Das finde ich total schade, weil ich mich so an Fynns Brüste gewöhnt habe. Die Vorstellung einer weiteren Veränderung macht mir etwas Angst. Nicht, weil ich auf Frauen stehe. Sondern, weil Fynn mein Fynn ist.

Wir sprechen in letzter Zeit häufiger über das Thema Heirat. Unsere Familienplanung beginnt eben nicht damit, dass ein Teil die Pille absetzt. Unsere Beziehung verläuft im Eiltempo. Aber es fühlt sich richtig an. Ich war mir bei keiner Entscheidung in meinem Leben sicherer als in der für Fynn.

Trotzdem macht mir die Zukunft manchmal Angst. Für unsere Kinder wäre die Tatsache, dass es bei uns zu Hause keinen Erwachsenen mit Penis gibt, normal. Irgendwann werden sie aber merken, dass das eben nicht für jeden normal ist. Ich habe gefragt, ob es schlimm wäre, wenn andere Eltern später davon ausgehen würden, dass Fynn ein Mann sei. Fynn ist seit einem Jahr und sechs Monaten auf Testosteron. Die Stimme ist tiefer geworden und Fynn hat Bartwuchs bekommen. Ich möchte die Tatsache, dass Fynn Agender ist, nicht verheimlichen. Trotzdem wäre es einfacher, wenn andere Menschen Fynn als Mann wahrnehmen würden.

Ich selber liege manchmal neben Fynn und ertappe mich dabei, wie ich die Gesichtszüge beobachte. Mal erkenne ich da weibliche, mal eindeutig männliche Züge. In letzter Zeit passiert es zu meiner Freude immer häufiger, dass ich einfach nur Fynn sehe – ohne in Geschlechtern zu denken.

Meine Freunde sind einfach froh, dass ich glücklich bin. Ich möchte, dass die Tatsache, dass Fynn als Mädchen zur Welt kam, einfach akzeptiert wird. Genauso wie die Tatsache, dass Fynn keinen Penis haben möchte. Offenheit ist am wichtigsten. Manchmal wäre es schöner, wenn nachgefragt werden würde, statt aus Unsicherheit die falschen Schlüsse zu ziehen. Für Fynn würde ich mir wünschen, dass "er" und "sie" einfach nicht so wichtig wären. Im Deutschen gibt es bisher leider keine sprachliche Lösung. "Es" ist keine Option. In der Schule wurde uns damals nur Heteronormativität vermittelt. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie groß die Belastung in solchen Momenten für Menschen wie Fynn gewesen sein muss. Ich wäre als Kind wahrscheinlich daran zugrunde gegangen.

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