Produkte auf der Hanfmesse Mary Jane
Alle Fotos: Shirin Siebert
Cannabis

Wie mir eine Hanfmesse gezeigt hat, warum Gras illegal bleiben sollte

Zwischen CBD-Katzenfutter und High-Tech-Vaporizern wurde mir klar: Kiffen gehört nicht in die Öffentlichkeit.

Ich weiß, wie oft ihr in euren WG-Küchen sitzt, die Marihuana-Krümel zusammen schiebt und darüber fantasiert, wie die Welt aussähe, wenn Gras legal wäre. Eine Zukunft, in der Amazon Prime euch OG-Kush-Cookies nach Hause liefert, ihr abends auf Weed-Tastings verschiedene Cannabis-Blüten beschnuppert und sich eine Kanzlerin Annalena Baerbock mit Joint für das Cover des Spiegel fotografieren lässt.

Ich weiß, wie ihr davon redet, dass der Staat "so krass viel mehr" Steuereinnahmen hätte und die Deutschen entspannter und lässiger wären, wenn sie ab und an was rauchen würden. Lange habe ich auch so gedacht.

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Natürlich ist es lächerlich, dass ein Pflänzchen, das müde und hungrig macht, so behandelt wird, als wäre es Crystal Meth. Dass Leute, die zu viel davon anbauen, ins Gefängnis müssen. Gegen die Cannabis-Legalisierung zu sein, ist heute so populär wie Kohlekraft unterstützen oder Küken schreddern.

Und ja, es gibt wenig rationale Argumente, die gegen eine Legalisierung sprechen: Die Justiz wäre entlastet, der Staat könnte an Gras genau wie an Tabak und Alkohol Geld verdienen. Schon heute verdienen Unternehmen an Hanf und seinen Nebenprodukten. Sie warten nur darauf, dass sie uns endlich den richtigen Rausch verkaufen können.

Auch bei VICE: Vom Straßenhandel zum millionenschweren Cannabis-Start-up

Ich gehe auf die "Mary Jane" in Berlin, Deutschlands führende Hanfmesse. Sie wirbt mit Beach-Festival-Atmosphäre und verspricht mir einen Blick in die Zukunft mit legalem Gras. Wenn die Droge der Gammler, Taugenichtse und Schulabbrecher zum Business wird und der Joint ein Lifestyle-Produkt. Wenn der Reiz wegfällt, etwas Verbotenes zu tun und plötzlich alle in der Öffentlichkeit ihre Bekifftheit zeigen dürfen.

Als ich die alte Omnibus-Halle am Berliner Osthafen betrete, sehe ich hell ausgeleuchtete Stände und tätowierte Menschen an MacBooks. Der Eintritt kostet 20 Euro. High machendes Cannabis ist auf der "Mary Jane"-Messe natürlich verboten, weil, nun ja, illegal. Aber dafür kann man Grow-Equipment kaufen, CBD-Öle, Gleitcreme und Hanf-Schokolade. Die meisten Stände verteilen umsonst Longpapers.

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Am ersten Stand zeigt mir ein Jungunternehmer seine CBD-Öle. "Damit haben wir tatsächlich sehr gute Erfahrungen am deutschen Markt gemacht", sagt er. Er trägt ein Hemd von Massimo Dutti und dazu grün-weiße Stan-Smith-Sneaker. Die Uniform der Stilbewussten ohne Stil.

Ein niederländischer Start-up-Mensch sagt mir, dass genau jetzt der richtige Zeitpunkt sei, Cannabis-Fonds zu kaufen, denn: Der deutsche Markt biete schließlich 80 Millionen potenzielle Kiffer und die Legalisierung sei nur eine Frage der Zeit.

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Keine Pressluftflasche, keine Luftpumpe für Autoreifen, sondern ein Hightech-Vaporizer für knapp 220 Euro

Am Stand eines Cannabis-Erfrischungsgetränks wirbt das Unternehmen schon jetzt mit der Marketing-Floskel "Revolution", als würde das Unternehmen solarbetriebene Flugzeuge vertreiben und nicht zuckerhaltige Limonade mit Hanfsamen. Ein japanischer Hersteller von Vaporizern verspricht "integrity – innovation – persistence". Die ehemaligen Codewörter jugendlicher Kifferkultur wie "420" oder "Mary Jane" sind längst Teile der Firmennamen; Greenwashing in einem neuen Grün.

Die Linke, die Grünen und Teile von FDP und SPD fordern seit Jahren die Legalisierung. Sollten die Grünen Teil der nächsten Regierung sein, könnte Deutschland das Gras freigeben und die Prohibition, beschlossen in der Weimarer Republik, endet. Dann entsteht in Deutschland ein riesiger Markt für legales und medizinisches Gras, so wie man es in Kanada oder den USA beobachten kann.

Gras war immer eine antikapitalistische Droge, jetzt entdecken sie milliardenschwere Unternehmen

Die Legalisierung brächte uns staatlich getestetes Premium-Weed und Cannabis-Eiscreme in 14 verschiedenen Sorten. Aber ein legaler Markt bedeutet auch Mehrwertsteuer, Weed-Touristen, unterbezahlte Lieferdienste, Treuepunkte, E-Mail-Newsletter, die an den Cannabis-Schlussverkauf erinnern und sich nicht abbestellen lassen.

Wenn Gras in Deutschland legal wird, dann verdient an eurem Konsum nicht nur der verklatschte Dealer von nebenan oder ein paar harmlose Start-ups auf der Cannabis-Messe, sondern auch milliardenschwere Firmen wie Coca Cola oder die Brauerei Heineken.

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Dabei ist Gras von Natur aus eine antikapitalistische Droge. Wer zu viel säuft, schluckt am Morgen eine Aspirin-Tablette und wankt zur Arbeit. Wer drei Bongs raucht, vergisst sein Arbeitsverhältnis, seinen Wecker, seine Ambitionen und schläft bis zwei Uhr nachmittags.

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Ach du dicker Hund: Auf der Messe wird CBD-Futter für Haustiere ausgestellt

Ich trinke einen Hanf-Saft mit Zitrone und sehe, wie eine junge Frau mit ihrem iPhone ein paar Einmachgläser mit Gras fotografiert. "Pretty nice, right?", fragt sie. Das harzige Gras funkelt unter dem Licht der LED-Strahler. Die Frau senkt den Blick, öffnet Instagram und lädt das Bild der Gras-Blüten hoch.

Überhaupt: Instagram! Immer wenn ich dort sehe, wie Prosecco-Gläser im Boomerang aneinander stoßen, hinterfrage ich die Überlegenheit des Menschen über die Tiere. Ich will auf Instagram nicht auch noch eure Joints sehen, die ihr mit Hashtags in die Abendsonne haltet. Denn auf die Legalisierung folgt die Ästhetisierung: ein Grinder aus Granit für 300 Euro, ein Weed-Humidor in der Altbauwohnung, die monatliche Lieferung Bio-Gras in der Holzkiste, geschickt vom Landgut in Rheinland-Pfalz. Gras als Lifestyle der Kreativ-Bourgeoisie, denen Unternehmen erfolgreich zuflüstern: Gib mehr für das Produkt aus, als du musst, weil es dich schöner und glücklicher machen wird. Oder wenigstens gesünder; wie man am gehypten CBD beobachten kann.

CBD ist ein Inhaltsstoff von Cannabis, der nicht high macht, aber entspannt und bei einigen Krankheiten hilft. In Deutschland sind die meisten CBD-Produkte mehr oder weniger legal. Aber weil der Mensch alles hypt, was verspricht, ihn ohne Sport und Diät gesund zu machen, bietet fast jeder Stand auf der Messe CBD-Öle an. Die tropft man sich unter die Zunge, schmiert sie als Creme auf die Hände oder bröselt CBD-Gras mit in den Joint.

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Ich teste einen CBD-Vaporizer. Der Rauch kratzt nicht so wie bei echtem Gras und kein angesabberter Filter bleibt an den Lippen kleben, es schmeckt egal, klinisch. Während ich ziehe, erzählt mir die Verkäuferin, was das CBD mit mir macht: weniger Stress, weichere Haut, mehr Konzentration, schmerzfreie Gelenke, bessere Verdauung, tieferer Schlaf, weniger Angst. Wenn ich wollte, sagt sie, könne ich sogar meinem Hund ein paar Tropfen ins Maul kippen, das würde auch ihn entschleunigen. Wenn ich einen Joint rauche, Rick and Morty schaue und mir dabei Kartoffelchips in den Mund krümele, erwarte ich doch nicht, dass mich das gesünder macht. Aber die Verkäuferin spricht, als würde ich gerade an einem Vaporizer ziehen, der mir ewige Jugend, inneren Frieden und dreißig zusätzliche IQ-Punkte in den Körper pumpt.

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Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen – wenn er noch stoned werden will

CBD ist das neue Superfood, die neue Achtsamkeit, die nächste Hoffnung der Gesundheitsbewussten. In New York ging der Trend so weit, dass Leute CBD in Cupcakes tropften und ihre Cocktails damit mixten. Mittlerweile darf man es dort nur noch in der Apotheke kaufen.

Ich gehe nach draußen in die Beach Area. Ich will einen richtigen Joint, einen, der high macht. Vor der Messehalle liegt das Berliner Badeschiff, ein DJ spielt milden Elektro und auf dem aufgeschüttetem Sand dämmern schöne Menschen in Liegestühlen.

Kiffen gehört nicht in die Öffentlichkeit – das Verstecken ist, was Gras reizvoll macht

Alle kiffen ganz offen. Niemand hat Angst vor Zivilpolizisten oder den Blicken der Passanten. Hier kann man in der Öffentlichkeit high sein. Eine Frau mit weißen Sneakern und minimalistischen Tattoos leckt die Klebefläche ihres Joints ab, zündet ihn an, lehnt sich zurück. Ich will sie nach einem Zug vom Joint fragen, aber als ich sehe, wie sie da sitzt, so weggeschallert, so völlig versunken in ihrer Antriebslosigkeit, angeleuchtet von der Sonne, da bin ich angewidert von der bei Tageslicht zur Schau gestellten Bekifftheit. Wer nach dem Mittagessen offensichtlich betrunken ist, sollte sich schlafen legen und nicht in der Öffentlichkeit herumlaufen. Nicht weil die Person früh getrunken hat, sondern weil sie die Besoffenheit nicht mehr verstecken kann. Und genauso gehört Kifferei in die Dunkelheit. Rausch sollte man fühlen und nicht exhibitionistisch zeigen.

Das Verstecken ist, was Gras reizvoll macht. Die langweilige Wirkung ist mir egal. Was ich mag, sind die verstohlenen Blicke, wenn jemand nach der Arbeit ein Plastiktütchen mit Grasflocken aus der Hosentasche zieht. Dieser Blick, der fragt, willst du auch mal ziehen? Eine gemeinsame Verschwörung. Die hastig gerauchten Joints hinter der Tennisplatte und die Hoffnung, dass Frau Lehrerin davon nichts mitbekommt, oder vielleicht doch. Mit roten Augen bei Rewe an der Kasse stehen. Die Rebellion des anti-rebellischen Gymnasiasten.

Ich komme an einem Stand für Hanf-Tee vorbei. Der Verkäufer zieht einen Teebeutel aus einer goldenen Dose. Zu einem Kunden sagt er: "Wir müssen Gras aus der Schmuddel-Ecke holen." Ich laufe zu dem Verkäufer, schlage ihm den Teebeutel aus der Hand, trete seinen Tisch um wie einst Jesus die Tische der Geldwechsler im Jerusalemer Tempel. "Das Gras muss in der Schmuddel-Ecke bleiben!", rufe ich – zumindest möchte ich das tun, wäre ich ein mutigerer Mensch. Aber ich traue mich nicht, stattdessen greife ich am Stand daneben ein paar gratis Longpapers ab und gehe stumm davon.

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