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Warum es keinen Sinn mehr hat, beim Thema Geld auf deine Eltern zu hören

Gaby Dunn erklärt in ihrem Buch 'Bad with Money', wie du deine Finanzen in den Griff kriegst. Obwohl auch sie manchmal über ihren Kontostand weint.
Frau hält das Buch 'Bad With Money' von Gaby Dunn, Geldscheine, blaues Haar
Geldscheine: Imago | Frank Sorge || Frau: Imago | Photocase || Buch: 'Bad With Money' von Gaby Dunn | Atria Books || Collage von VICE 

Was ist deine Lieblingsstellung beim Sex? Und wie viel Geld hast du aktuell auf dem Konto?

Wenn du die erste Frage ohne Umschweife beantworten, aber bei der zweiten zögern würdest – geht doch niemanden was an! –, dann geht es dir wie den Menschen, die Gaby Dunn 2016 in einem Café befragte. Die Kombination ihrer Fragen kam nicht von ungefähr: Dunn ist Journalistin und Autorin, wobei sie sich früher auf Sex-Themen konzentriert hat. Heute dreht sich bei ihr dagegen alles ums Geld. Und nicht etwa, weil Dunn darin schwimmt: Wie so viele junge Erwachsene kämpft die Amerikanerin mit Studienschulden, mangelnder Jobsicherheit und einer Zukunft, in der das Wort "Rente" vermutlich nur noch in Geschichtsbüchern vorkommt.

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Für unsere Elterngeneration sah die Welt noch anders aus: Bildung und Ausbildung waren Garanten für stabile Jobs und eine bequeme Rente. Doch was früher nur für arme Menschen ein weit entfernter Wunschtraum war, ist inzwischen auch für die Kinder der Mittelschicht eine nostalgische Fantasie.

Heute funktionieren die Finanz-Weisheiten der Älteren nicht mehr. Die wirtschaftliche und politische Weltlage verlangt von uns neue Strategien – und einen Bruch mit dem Tabu, laut dem man über Geld nicht spricht. Dunns neues Buch Bad with Money: The Imperfect Art of Getting Your Financial Sh*t Together ist halb Autobiografie, halb Ratgeber. Sie behandelt darin eine Menge grundlegender Fragen: wie die soziale Herkunft über den finanziellen Status entscheidet, wie die eigene Psyche den Umgang mit Geld beeinflusst oder wie wir uns in der Freelance-Ökonomie von Provisorium zu Provisorium hangeln.


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VICE: Gaby, deine Arbeit zum Thema Geld fing mit deinem Podcast Bad With Money an. Warum hast du dich dazu entschieden?
Gaby Dunn: Ich hatte, wie üblich, Geldprobleme. Aber gleichzeitig niemanden, mit dem ich darüber reden konnte. Es ist seltsam, weil ich davor so viel zum Thema Sex gemacht habe, was eigentlich mal tabu war. Heute scheint Geld für viele ein größeres Tabu zu sein.

Der richtige Auslöser war ein Marken-Deal, den meine Comedy-Partnerin und ich für unseren YouTube-Kanal abschlossen. Wir bekamen von unserem Werbepartner 5.000 Dollar, die wir uns teilten. Zu diesem Zeitpunkt musste ich mein Auto nach Kleingeld absuchen, um alltägliche Besorgungen zu machen, das Geld brauchte ich also dringend. Aber unser Deal erntete viele negative Kommentare: "Ach, jetzt kriegen wir von euch praktisch eine Dauerwerbesendung?" Ich schrieb einen Artikel namens "Get Rich or Die Vlogging" über die Kluft zwischen YouTubern und ihrer Fanbase. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer nehmen automatisch an, dass alle Vlogger und YouTuberinnen wohlhabend sind und kein Geld mehr nötig haben.

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Wie ist dir aufgegangen, dass die Ratschläge der älteren Generationen auf unsere heutige Lage nicht mehr anwendbar sind?
Ich bin bisexuell, deshalb fällt mir so was vielleicht eher auf: Wenn man etwa in einer Werbung ein älteres Rentnerpaar sieht, dann sind das immer weiße Heterosexuelle, die Golf spielen oder so. So wird mein Leben im Alter kaum aussehen.

Die Sorgen, die meine Freundinnen und Bekannten haben, kamen im Mainstream gar nicht vor. Statistiken zeigen, dass die Wahrnehmung von der Millennial-Generation und die Realität auseinander klaffen. Wir arbeiten nicht alle in hippen Start-ups, wo wir mit genug Anstrengung die Leiter erklimmen können. Die meisten Millennials arbeiten in der Dienstleistungsindustrie. Wir hören ständig, welche Teile der Kultur wegen unserer Generation flöten gehen – angeblich haben wir alle möglichen Produkte auf dem Gewissen, von Diamanten bis hin zu Servietten, und essen dafür täglich überteuerte Avocado-Toasts.

Wie sieht das durchschnittliche Millennial-Leben wirklich aus?
Einfach von 8 bis 16 Uhr arbeiten war mal, viele von uns haben stattdessen mehrere unsichere Teilzeitjobs – oder einen Vollzeitjob und dazu noch Nebenjobs. Wir wären so faul, sagen die Älteren, aber so habe ich meine Generation noch nie erlebt. Alle haben Panik und kämpfen um ihre Existenz.

Für mich ist dieses Interview auch Teil eines Nebenjobs.
[lacht] Hey, Glückwunsch! Das meine ich – wir kommen alle gerade so über die Runden.

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Viele deiner Fans sind noch jünger als wir und zählen eher zur Generation Z. Ist es für dich als Millennial wiederum schwierig, ihnen Rat zu geben?
Auf die noch Älteren werden sie jedenfalls nicht hören. Ich bin jetzt 30 und ich sehe, dass die meisten 19-Jährigen heute ein viel größeres Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeit haben als wir damals. Und weniger Geduld für Bullshit. Sie stellen alles infrage und schämen sich auch nicht dafür, dass sie gestresst sind und Angst haben.

Viele herkömmliche Ratschläge für die Berufswelt kann man im Grunde auf eine Aussage reduzieren: "Lass zu, dass dein Chef dich ausnutzt." Und weil unsere Generation Jobs so nötig hatte – und hat –, haben wir das akzeptiert. Die Generation Z sagt stattdessen "Nicht mit uns!", und das ist großartig. Angeblich sind wir alle so verwöhnt. Weil wir meinen, eine ordentliche Gesundheitsversorgung und bezahlbare Wohnungen verdient zu haben? Wo hört das auf?

Am Ende heißt es noch, wir hätten zu hohe Ansprüche, weil wir meinen, dass uns Essen, Wasser und Luft zum Atmen zustehen.

Du schreibst sehr autobiografisch über Geld. Warum?
Viele Medien zum Thema Finanzen sind auf Ambition und aufs Reichwerden fokussiert. Ich wollte lieber, dass sich normale Menschen mit meinem Werk identifizieren können. Als Journalistin habe ich gelernt, dass sich Menschen eher öffnen, wenn man ihnen zuerst eine Geschichte von sich selbst erzählt. Damit verschafft man sich Gehör und Vertrauen.

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Wer will schon von jemandem hören, der in einem Elfenbeinturm sitzt? Ich finde die Perspektive einer Person, die zu kämpfen hat, viel nützlicher. Gestern habe ich am Telefon mit der Bank gestritten. Du interviewst mich hier als "Geldexpertin", aber gestern saß ich da und habe gesagt: "Ich möchte bitte meine 15 Dollar wiederhaben!" Meine finanzielle Lage ist definitiv nicht gut. Aber ich würde lieber von einer Person hören, die meine Probleme kennt, als von jemandem, der auf einer Jacht wohnt.

Gleichzeitig ist da das große Geld-Tabu, wie du bei deinem Café-Experiment gesehen hast. Ist es für dich selbst auch schwer, so offen über deine Finanzen zu sprechen?
Es kann peinlich sein. Ich weine manchmal wegen meiner Finanzen. Ich muss erst mal schlucken, wenn mich andere darauf ansprechen, was angesichts meiner Arbeit schon seltsam ist.

Aber das war’s – ein unangenehmes Gefühl. Ansonsten hat es keine negativen Folgen für mich. Ich verliere meinen Job deshalb nicht, meine Familie verstößt mich nicht. Und genau das ist es, warum ich das hier mache: weil ich diesen Tabubruch ohne ernste Folgen verkraften kann. In meinem Buch geht es viel darum, die Scham und das Stigma abzubauen.

Ich bekomme viele Mails mit Feedback. Es sind fast ausschließlich Männer, die entweder anbieten, mich armes Prinzesschen aus der Bredouille zu holen – oder die mich als verdammte Idiotin bezeichnen. Ein weiterer Grund, warum viele Menschen aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen zu diesem Thema erst recht nichts sagen. Sie wollen nicht von diesen Typen angegriffen werden. Also mache ich es.

Gaby Dunn Bad with Money: The Imperfect Art of Getting Your Financial Sh*t Together ist auf Englisch gerade als Taschenbuch erschienen. Eine deutsche Ausgabe gibt es noch nicht.

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