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Klappt eure Laptops zu, ich will frühstücken!

Meine Lieblingscafés sind voller Deppen, die sie als Arbeitsplatz missbrauchen und mir die Stimmung versauen.
Rebecca Rütten

Ein Freund ist zu Besuch. Wir treffen uns zum Frühstück in irgendeinem Neuköllner Laden, der Traumbewertungen bei TripAdvisor einfährt. Er bestellt einen Bio-ich-rette-die-Welt-Müsli und ich ein völlig überteuertes veganes Sandwich in selbstgebackenem Brot.

In dem Café wurden Hochbetten eingebaut, aber auf denen entspannt sich niemand. Alle nutzen das kostenlose W-Lan und blicken wie Zombies auf ihre Bildschirme. Alle sitzen alleine und beanspruchen einen ganzen Tisch für sich, der für bis zu vier Personen gedacht ist.

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Bevor wir reinkamen, muss es die Geräuschkulisse eines Großraumbüros gewesen sein: mechanisches Tippen auf Laptoptastaturen. Mein Freund und ich haben einen immensen Redebedarf angesammelt und beginnen, uns zu unterhalten.


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Die Leute um uns herum fangen an, uns kritisch zu beäugen, während sie wie kleine Äffchen auf ihre MacBook-Tastatur einprügeln. Sie sagen nichts, aber ihre bösen Blicke verraten uns, was sie denken: "Halt's Maul, ich bin zum Arbeiten hier und muss mich konzentrieren."

Es gibt in meiner Nachbarschaft kaum noch ein nettes Café, das nicht als Arbeitsplatz missbraucht wird. Websites empfehlen die 11 oder sogar 100 besten Cafés zum Arbeiten in Berlin. Selbständige sitzen den ganzen Tag dort, weil ihnen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt und sie zu geizig oder zu arm für ein eigenes Büro oder einen Platz im Coworking Space sind. Viele halten sich dabei den ganzen Tag an einem kleinen Espresso für 1,90 Euro fest.

Maja, 29, Webdesignerin: "Ich verbringe pro Arbeitstag acht bis zehn Stunden im Café. Coworking Spaces sind mir zu sozial und Bibliotheken zu ruhig. Hier kann ich mich gut konzentrieren."

Das St. Oberholz in Berlin-Mitte ist so ein Laden, der vor allem zum Arbeiten genutzt wird, womit der Besitzer Ansgar Oberholz auch kein Problem hat. Er sieht seinen Laden als Urzelle des Konzepts des Coworking. Allerdings bestellen viele Gäste nichts oder bringen ihr eigenes Essen mit. Ein Gast hat sogar mal nach warmem Wasser für seine 5-Minuten-Terrine gefragt. Um dem Problem Herr zu werden, hat Ansgar Oberholz inzwischen Kellnerinnen und Kellner eingestellt, die die Gäste im Auge behalten und freundlich darauf aufmerksam machen, dass man etwas konsumieren sollte.

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Mein Freund und ich haben aber nicht das Problem, dass zu wenig konsumiert wird, sondern dass uns die anderen Gäste vorwurfsvoll anschauen, wenn wir uns beim Frühstück unterhalten. Wir machen uns einen Spaß daraus und denken uns Geschichten für die Leute um uns herum aus. Wir sprechen Bosnisch und können deswegen über sie lästern, während sie im gleichen Raum sind.

Tate, 21, betreibt eine Fashionwebsite: "Mein ADHS ist im Café weniger präsent als bei mir zu Hause. Hier gibt es keine Hausarbeiten, mit denen man sich von der Arbeit ablenken könnte."

Die Frau Mitte 20 mit den Dreadlocks und dem großen Backpack hat sich in den peruanischen Anden die Birne auf Ayahuasca weggeballert und schreibt darüber in ihrem Reiseblog. Der Dude Anfang 30, der sein weißes Hemd bis zum obersten Knopf geschlossen hat, arbeitet an einem Kurzfilm über einen Berliner Boheme aus den 1920er Jahren, den niemand sehen will. Und die Ersti-Studentin mit den vielen Aufklebern auf ihrem Laptop schreibt eine Hausarbeit über Armutsbekämpfung in Kambodscha und trägt dabei Sneaker, die von talentierten Kinderhänden irgendwo an der Peripherie von Phnom Penh gefertigt wurden, und tippt dabei in ein Gerät, das von Arbeitssklaven in China zusammengeschraubt wurde.

Das Arbeiten in Cafés ist kein neues Phänomen. Die Kaffeehäuser Wiens waren voller Schriftsteller, die dort ihre Werke verfassten. Peter Altenberg ließ sich sogar seine Post ins Wiener Café Central bringen und auch in Berlin verfassten Autoren wie Kurt Tucholsky und Erich Kästner einen Teil ihres Schaffens im Café des Westens am Kurfürstendamm.

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Mario, 22, Student: "Pro Tag verbringe ich vier bis fünf Stunden im Café. Zu Hause habe ich viel weniger Fokus als hier."

Menschen arbeiten in Cafés, weil sie es lebendiger finden als in der Bibliothek und es nicht so steril ist wie in einem Großraumbüro. Andere neigen zu Hause zum Prokrastinieren. Oft sind es aber auch knallharte Geldfragen. Wer zu welcher Gruppe gehört, erkennt man daran, ob sie zwei Teller und drei Gläser vor sich haben oder den halben Tag lang an einem Kaffee und einem Leitungswasser nippen.

Natürlich könnten wir dafür Verständnis aufbringen, aber mein Freund und ich machen uns über die Leute lustig. Hätte ich gewusst, dass wir in einem Coworking Space und nicht in einem Café landen, hätte ich einen anderen Treffpunkt vorgeschlagen. Die können ja alles machen, aber lasst mich doch einfach mit meinem Kumpel frühstücken. Lasst doch wenigstens mir noch eine Unterscheidung zwischen Freizeit und Arbeit. Ihr könnt euch ja gerne selbst betrügen und so tun, als hättet ihr euer Hobby zum Beruf gemacht. Ihr könnt auch so tun, als würde es immer und überall Spaß machen zu arbeiten, aber ich habe da keinen Bock drauf. Ich will Orte, die ganz klar für die Freizeit gedacht sind und meine Lieblingscafés gehören dazu. Klappt eure Laptops zu!

Linh, 24, Ulli, 29, Christian, 25, alle Studenten: "Unsere Uni ist in Potsdam und da wir alle in Berlin wohnen, treffen wir uns lieber in Cafes."

Mein Freund und ich vergessen allmählich die Menschen um uns herum und machen das Beste daraus. Als wir hochschauen, steht die Hippiefrau mit den Dreadlocks vor uns und sagt in akzentfreiem Bosnisch: "Ich bin übrigens Grafikerin. In Peru war ich auch noch nie, aber Marokko kann ich sehr empfehlen."

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