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Umwelt

Warum eine dritte industrielle Revolution unsere Rettung sein könnte

Der Ökonom Jeremy Rifkin sieht darin die beste Waffe gegen den Klimawandel und das Artensterben.

Der Soziologe und Ökonom Jeremy Rifkin erforscht finanzpolitische und technologische Trends. In seinen Büchern sagt er das Ende aller Wirtschaftsformen voraus, die von fossilen Brennstoffen abhängen, auf Profitmaximierung ausgelegt sind und eine Pyramidenstruktur haben. Heute interessiert ihn vor allem, wie das Zusammenspiel aus erneuerbarer Energie, neuen Kommunikationsmitteln und dem Internet der Dinge unsere Lebens- und Arbeitsweisen sowie unser Konsumverhalten verändern werden.

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VICE hat aus seinem Buch Die dritte industrielle Revolution einen Film produziert, der im April beim Tribeca Film Festival Premiere gefeiert hat. In dem Buch prophezeit Rifkin für die Jahrzehnte der Revolution Vollbeschäftigung, vermehrte Eigenproduktion von Strom und freien Zugang zu Informationen und Bildung. Damit unsere Zivilisation den Klimawandel überlebt, muss die dritte industrielle Revolution allerdings viel schneller ablaufen als die ersten beiden.
Angesichts dieser ernsten Lage arbeitet Rifkin mit Politikern wie Angela Merkel und dem chinesischen Premier Li Keqiang an einem raschen Übergang zum neuen Wirtschaftszeitalter. Wir haben ihn gefragt, wie der neue Film Firmen, soziale Initiativen und Politiker ermutigen soll, die dritte industrielle Revolution einzuleiten.

VICE: Sie haben in zwei von Ihren Büchern den Weg in ein neues Wirtschaftszeitalter aufgezeigt. Handelt der Film nun von der praktischen Umsetzung?
Jeremy Rifkin: Wir befinden uns an der Schwelle einer dritten industriellen Revolution. In Europa und China zeichnet sie sich schon ab. Wir stecken aber noch immer in einem dysfunktionalen globalen Wirtschaftssystem fest, das uns an den Rand der Klimakatastrophe gebracht hat. Vor allem die Millennial-Generation leidet, denn weder Politik noch Wirtschaft spiegeln ihre Werte wider. Sie sind verzweifelt. Ich möchte ihnen helfen, die ökonomischen Grundlagen unserer Lebensweise zu überdenken und Platz für Innovationen und neue Geschäfts- und Arbeitsmodelle zu schaffen. Der Film soll sie zu einer globalen Zusammenarbeit an einer humaneren und ökologischeren Gesellschaft ermutigen.

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Eine Ihrer drastischsten Behauptungen ist, dass wir in den nächsten 40 Jahren zu einer kohlenstofffreien Gesellschaft werden müssen, um zu überleben. Ist das realistisch?
Ich beschäftige mich seit den 1970ern mit Umweltthemen. Wir wussten schon damals, dass sich das Klima verändert, nur nicht wie schnell. Wir könnten schon bald das sechste Massenaussterben erleben. Es könnte 10 Millionen Jahre dauern, bis das Leben auf der Erde sich erholt hat. In den kommenden acht Jahrzehnten könnte die Hälfte aller Arten aussterben. Mit so etwas war die Menschheit noch nie zuvor konfrontiert, aber mit einem ordentlichen Plan für den Kohlenstoffausstieg ließe sich das verhindern. Gewisse europäische Regionen haben diesen Prozess schon begonnen. Die nötige Infrastruktur für die beiden bisherigen industriellen Revolutionen wurde ja auch in jeweils unter 50 Jahren geschaffen.



Steht diese industrielle Revolution denn in den USA noch aus?
Mit Ausnahme der Westküste kehrt das Land gerade wieder zu fossilen Brennstoffen und überholten zentralisierten Kommunikationsstrukturen zurück. Das Tolle an den USA ist aber, dass die junge Generation den Anstoß geben kann, Veränderungen auch schnell umzusetzen und dem Rest der Welt ein Vorbild zu sein.

Welche Erfahrungen haben Sie mit den Regierungen und Staatsoberhäuptern gemacht?
Angela Merkel hat mich zu einem Gespräch über die Zukunft der deutschen Wirtschaft und Energieversorgung nach Berlin eingeladen. Danach sagte sie: "Mr. Rifkin, für Deutschland wird es eine dritte industrielle Revolution geben." Die Entwicklung geht aber auch ohne die Regierungen weiter. In den Kohleabbaugebieten Nordfrankreichs haben wir einer Initiative geholfen, Tausenden Bergarbeitern beizubringen, wie man Häuser mit Solarpanelen ausrüstet.

Kann man Wirtschaft überhaupt neu denken, ohne erst das Bildungssystem zu ändern?
Unser Bildungssystem besteht in seinem jetzigen Zustand seit dem 19. Jahrhundert, als es speziell auf die Erfordernisse des frühen Industriezeitalters zugeschnitten wurde. Lernen sollte aber soziale Erfahrungen schaffen, sachgebunden und interdisziplinär sein. Ich durfte während meines Studiums nur wenige Kurse außerhalb des eigentlichen Lehrplans belegen. Ich rate Studierenden, sich mit Geistes- und Sozialwissenschaften zu beschäftigen. Diese Fächer erklären unsere Lebensweise.

Womit werden Sie sich als Nächstes beschäftigen?
Wir müssen auch jenseits von Facebook mobilisieren. Millennials müssen in ihrem Umfeld und der Politik eine echte soziale Bewegung anstoßen. Die Demonstrationen der letzten Zeit erinnern mich an meine Zeit in der Friedensbewegung der 1960er. Aus einer winzigen Gruppe wurde damals eine landesweite Bewegung.

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