"Satire muss wehtun" – Drei Tage Praktikum bei der 'Titanic'
In der Frankfurter Innenstadt klärt die Titanic-Redaktion über "Rassismus gegen Deutsche" auf – mit dabei die VICE-Praktikantin (Zweite von links) | Foto: Thomas Hintner

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The Eternal Intern

"Satire muss wehtun" – Drei Tage Praktikum bei der 'Titanic'

In der Redaktion lernt unsere Autorin viel über Satire und noch mehr über Medien. Und hat Bauchschmerzen, als sie in Frankfurt über "Rassismus gegen Deutsche" informiert und die Redaktion wegen "Aufruf zum Massenmord" getadelt wird.

Ein Polizeiauto fährt langsam heran und hält auf Höhe der Einfahrt. Mit schnellen Schritten läuft ein Polizist in den Hinterhof, blickt fragend durch die großen Fenster des Gebäudes, durch die man in die Redaktion gucken kann. Schließlich hebt er die Hand, grüßt: Daumen hoch. Wie jeden Tag. Man kennt das hier. Hier – das ist beim Satire-Magazin Titanic in Frankfurt. Der Besuch ist eine Vorsichtsmaßnahme, es gibt keine konkrete Bedrohung. Trotzdem kommt die Polizei vorbei, jeden Tag, seit dem Anschlag auf die französischen Kollegen und Kolleginnen bei Charlie Hebdo. Ich hatte ja viel erwartet von diesem Praktikum, aber das gehörte nicht dazu.

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Drei Tage lang arbeite ich in diesem Hinterhof in Frankfurt-Bockenheim, in einem älteren Flachbau mit großen, roten Flügeltüren, zwischen zwei Schulen. Wo früher ein Pferdestall war, sitzen nun Redaktion, Grafik, Foto und IT verteilt auf drei Räume. Überall liegen Tageszeitungen, Magazine und ausgedruckte Textentwürfe in roten Mappen herum, lose sammeln sich leere Bier- und Wasserflaschen auf Heizungen und Tischen. Ein Wandteppich mit dem Gesicht des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi liegt auf dem Boden, im Nebenraum stapeln sich meterhoch Kostümkisten und alte Titanic-Ausgaben. Im Eingangsbereich steht ein großer runder Holztisch, an dem die Redaktion jeden Monat über den neuen Titel entscheidet. Nächstes Jahr wird die Titanic 40 Jahre alt. Keine satirische Instanz in Deutschland hat über eine so lange Zeit immer wieder für Aufsehenund Skandale – gesorgt wie sie. Ich will lernen, was Satire darf, was sie muss und wie diese altehrwürdige Redaktion sie erschafft.


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Für Aufsehen sorgt auch der Stand der Titanic in der Frankfurter Innenstadt Mitte August, den wir laut Redakteur Moritz Hürtgen "natürlich unangemeldet" aufbauen. Ein weißer Pavillon der "Bildungsstätte Thomalla" lädt Passantinnen ein, sich über "Rassismus gegen Deutsche" zu informieren. Meine Aufgabe als Praktikantin, die sich bei über 30 Grad nur für diese Aktion in eine weiße Bluse zwingt: Menschen ansprechen, in den Pavillon locken und versuchen, lustige Anekdoten für einen späteren Heftartikel zu sammeln. Die ersten, die ich anspreche, sind ein älteres Ehepaar. Beide sagen mir direkt: "Rassismus gegen Deutsche, so ein Quatsch!" Ich versuche meine Rolle aufrecht zu erhalten, aber eigentlich möchte ich sie die ganze Zeit umarmen, mich bei ihnen bedanken. Menschen unter Vorspielen falscher Tatsachen möglichst absurde Kommentare zu entlocken, ist so ziemlich das Gegenteil meiner eigentlichen Arbeit als Journalistin.

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Twitter, sagt der Titanic-Chefredakteur, "nur Journalisten und Psychopathen"

Läuft man auf unseren Stand zu, springt einem direkt eine Infotafel ins Auge, auf der um die "Gewaltopfer des Deutschenhasses" getrauert wird. Darauf zu sehen: die ehemalige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen Erika Steinbach, der ehemalige Verteidigungsminister und bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß und die beiden NSU-Uwes: Mundlos und Böhnhardt. Das Ehepaar fragt mich, wer denn die Personen neben Erika Steinbach seien und ich weiß kurz nicht, was ich antworten soll. Sie erkennen Strauß, Mundlos und Böhnhardt nicht? Bevor ich antworten kann, taucht neben mir Hürtgen auf und sagt, Strauß sei Dominik Brunner, der 2009 in München auf einem S-Bahnhof zusammengeschlagen wurde und daraufhin starb. Die NSU-Terroristen bezeichnet Hürtgen als "zwei Studenten aus Chemnitz".

Als das Ehepaar gegangen ist, frage ich ihn, ob wir nicht ein weniger offensichtlich wirres Plakat als Blickfänger platzieren sollten, um mehr Leute in den Stand zu locken und weniger Diskussionen zu führen. Ich habe Angst, dass uns niemand das Theater abkaufen wird. "Es werden auch so genug Leute kommen", antwortet Hürtgen, "wir wollen ja genau die, die trotzdem mit uns sprechen." Und das sind in der Tat mehr als erwartet. Verwirrte Touristinnen, empörte Passanten, zustimmende AfD-Wählerinnen und eine ziemlich verstimmte Antifa, der Hürtgen irgendwann unsere Identität verraten muss, um einen Sturm auf den Stand zu verhindern. Nichts, was irgendjemanden aus der Redaktion schocken kann. Man kennt das alles schon, habe ich den Eindruck.

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Die Redaktion, das sind: Chefredakteur Tim Wolff, zwei weitere Redakteure und eine Redakteurin. Eine weitere (richtige) Praktikantin und ich treiben die Frauenquote bei den Schreibenden temporär nach oben. Die Titanic beschäftigt zudem eine Grafikerin, einen Zeichner, einen Fotografen sowie einen IT-Spezialisten. Hinzu kommen Korrekturleserinnen, eine Assistentin am Empfang sowie eine Juristin, die jedes Heft auf juristische Fallstricke prüft. Mir fällt die angenehm hohe Frauenquote sofort auf, vor allem, da das Blatt nach außen häufig sehr männlich wirkt. Das liegt auch daran, dass Redaktionsstellen nur dann frei werden, wenn ein Redakteur geht, und nur dann Autorinnen nachrücken können. Als ich den Twitteraccount der Titanic übernehmen darf, beschweren sich prompt mehrere Leser über die Feministin (mich). "Gut", sagt mir Wolff, der sich der Außenwirkung des Magazins durchaus bewusst ist. "Sollen sie entfolgen. Die wollen wir eh nicht auf dem Account haben."

Frauenbeine laufen über einen Teppich mit dem Gesicht al-Gaddafis

Bei der 'Titanic' liegen die Wandteppiche auf dem Boden | Foto: Domenic Driessen

Mit Twitter scheint die Titanic-Redakteure eine Art Hassliebe zu verbinden. Chefredakteur Wolff sagt während meines Praktikums gleich mehrmals, dass das soziale Netzwerk "fast nur aus Journalisten und Psychopathen und einer kleinen Schnittmenge aus beiden" bestehe. Auch für Hürtgen ist Twitter eine Blase, in der sich Journalisten "alle gegenseitig bestätigen". Und in diese Blase sticht die Titanic immer wieder mit zugespitzten, überzogenen, absurden und geschmacklosen Witzen.

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"Satire muss wehtun", sagt mir der Redakteur. "Ich will mir nicht anhören, was schlecht ist, und mich dabei wohlfühlen." Insofern wundert es nicht, dass sich die Titanic-Redaktion als Anspruch gesetzt hat, auch treue Fans immer wieder vor den Kopf zu stoßen, mit Witzen, die selbst manchen Satire-Fans zu weit gehen. "Zwar will man gegen das Schlechte ankommen, aber man kann nicht heiter den Zeigefinger heben, das ist langweilig", erklärt Chefredakteur Wolff. Man solle sich nicht in Sicherheit wiegen, weder was die Ziele der Satire, noch die Art der Witze, noch die Grenzen des Geschmacks angeht.

Satire darf nicht alles, aber sie muss wehtun

Dennoch: Grenzen des Geschmacks verschieben sich durchaus, und das ist gut so, findet auch die Titanic-Redaktion. "Wir hatten kürzlich Achtklässler zu Besuch", erzählt Wolff. "Die fanden eigentlich alle Titel lustig, bis auf einen." Der zeigte Roberto Blanco und fragte "Warum nicht mal ein N****?", mit ausgeschriebenem N-Wort. Das sei nicht lustig, sondern eindeutig rassistisch, so die Meinung der Schulklasse.

Auch Chefredakteur Wolff sieht das heute so: "Der Titel war damals schon nicht frei von Rassismus, ohne den damaligen Kontext funktioniert er gar nicht mehr." Das N-Wort sei einfach nicht mehr lustig, dass sich dies geändert hat, sei ein Erfolg von People of Colour, so Wolff. Mit Rassismus spielende Witze funktionieren für die Titanic nur dann, wenn sie die Leserschaft vor den Kopf stoßen und zum Nachdenken bringen: "Wir wollen nicht, dass alte weiße Männer über das Wort N**** lachen. Dass weiße Menschen aber denken 'Oh, das ist jetzt rassistisch, warum lache ich?' – das wollen wir."

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Zwei lächelnde Männer mit verschränkten Armen vor einem Bücherregal

Moritz Hürtgen (links), Tim Wolff (rechts) | Foto: Domenic Driessen

Satire darf nicht alles, da ist man sich hier weitestgehend einig. Am zweiten Tag meines Praktikums sitze ich morgens mit Hürtgen an einem Wortspielwitz. Nach dem Brückeneinsturz in Genua soll ein Bild zeigen, wie schlecht es um Deutschlands Brücken steht – Zahnbrücken, wohlgemerkt. Als wir Prominente mit markanten Zähnen suchen, schlage ich Nadja Abd el Farrag vor, Wolff und Hürtgen lehnen sofort ab. "Die einzige Prominenz, die sie noch übrig hat, stammt aus der Krankheit", sagt Wolff. Eine Leberzirrhose, verursacht durch starken Alkoholkonsum. Und Personen, die ohnehin am Boden liegen, sollen nicht noch mehr abbekommen. Der Witz müsste so auflösbar sein, dass er für die Schwächeren spricht – dann würde er bei Titanic funktionieren. Man ist sich der eigenen Schlagkraft durchaus bewusst, weswegen unbekannte Bürgerinnen normalerweise ebensowenig Ziel ihrer Satire werden wie Opfer von Rassismus oder Antisemitismus. Und manchmal gibt es auch weniger edle Gründe: Ein Titelvorschlag mit Markus Söder wird in der Konferenz für die September-Ausgabe mit der Begründung abgelehnt, er müsse sich einen eigenen Titanic-Titel erst noch erarbeiten.

Keinen Auftrag erfüllen, sich nicht auf der Seite der Guten wägen, unbequem sein – aber gleichzeitig nicht nach unten treten; so lässt sich das Selbstverständnis der Titanic wohl gut zusammen fassen. "Natürlich gibt es auch Grenzen, zum Beispiel Gesetze. An die muss sich Satire halten", sagt Hürtgen, während wir am dritten Tag mittags bei einer Pizza zusammensitzen, "und das finde ich auch gut."

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Ein Mitarbeiter liest einen Zettel vor und steckt dabei angewidert die Zunge weit heraus, dahinter steht lachend Tim Wolff

Szenen aus der Redaktion und dem Archiv | Fotos: Domenic Driessen

Trotzdem: "Satire muss wehtun", sagt auch Chefredakteur Wolff, "zum Nachdenken anregen, unbequem sein." Und was weh tut, zum Nachdenken anregt, unbequem ist, löst heftige Reaktionen aus. Morddrohungen per Mail. Aufgeregte Anrufe. Unterlassungsklagen. Oder, wie zum Zeitpunkt, als ich in der Titanic-Redaktion bin: wütende Tweets wütender Journalisten und Journalistinnen.

Denn Redakteur Moritz Hürtgen veröffentlicht ein satirisches Gedicht, in dem er den Islamisten Sami A. in den letzten Zeilen fragt: "Willst du statt zur Einzelhaft | nicht ins Springerhochhaus fliegen?" BILD-Zeitung Chefredakteur Julian Reichelt spricht von "Massenmord an Journalisten", seine Kollegin Miriam Hollstein von der BILD am Sonntag bezeichnet das Gedicht als "Gewaltfantasie". Der Deutsche Journalisten-Verband tadelt das Gedicht als "Aufruf zum Massenmord unter dem Deckmantel der Satirefreiheit". Währenddessen sitzt Hürtgen an seinem Schreibtisch und schüttelt den Kopf. "Absurd", sagt er immer wieder während er Reaktionen liest, "das war doch ein totaler Schnellschuss." Dann ruft auch noch Martin Lejeune an, um sich zu beschweren – über die "Stigmatisierung von Sami A." in dem Gedicht.

"Vielleicht passiert wieder ein Aufreger, wenn ich da bin", witzelte ich im Vorfeld der Recherche. Doch als das dann eintritt und nach und nach Journalisten verschiedener Medien Hürtgen einen "Aufruf zum Massenmord" vorwerfen, ist es wesentlich weniger aufregend, als ich es mir vorgestellt hatte. Vorstellung und Realität könnten nicht weiter auseinander liegen: Statt schelmisch lachenden Rumpelstilzchen, die mit knallenden Sektflaschen eine erneute Provokation des Springerkonzerns feiern, sitzt hier ein konzentriert arbeitendes Team, das über den medialen Aufschrei eher verwundert ist. Wie passt das zusammen?

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Ein bisschen Mühe und sie glauben dir alles

Zumal die Empörung über eine Titanic-Aktion dieses Jahr schon öfter laut war. Ende Februar, mitten in der #NoGroko-Kampagne der Jusos, witzelte Redakteur Hürtgen mit einem freien Autoren der Titanic, Dax Werner, herum. "Es wäre doch voll krass, wenn jetzt rauskäme, dass der Kühnert mit Russen zu tun hat", erinnert sich Hürtgen sinngemäß an Werners Vorschlag. Die beiden beschlossen, diese Ente zu streuen. Hürtgen gab sich gegenüber einem BILD-Redakteur als ein Juso-Mitglied aus, das an "brisante E-Mails" zwischen Juso-Chef Kevin Kühnert und einem russischen "Juri" gekommen sei. Den passenden E-Mail-Wechsel habe Hürtgen mit Werner im Rollenspiel geschrieben, erzählt er. Ein eigens angelegtes GMX-Konto, mehrere Telefonate mit der BILD und eine gefälschte Maildatei später druckt die BILD-Zeitung den vermeintlichen Skandal auf der Titelseite – noch bevor sie den vermeintlichen Informanten persönlich getroffen hatte.

Dieser war nämlich für diesen Tag zu Springer eingeladen, doch auf dem Weg zum Bahnhof schickte ihm Werner den Link zum Artikel, der bereits der Aufmacher des Tages war. "Ich dachte: Moment, krass, gestern haben die mir noch gesagt, sie müssten das prüfen, was ist passiert?", sagt Hürtgen, der dann den zuständigen Redakteur angerufen habe, um sich, ganz in der Rolle, darüber zu beschweren, dass er sich als Informant hintergangen fühle. "Das war doch was Sie wollten", habe der geantwortet, so Hürtgen, und den Grund für die Veröffentlichung gleich mitgeliefert. "Sie haben es gebracht, weil sie den Mailverkehr am Tag zuvor an die SPD gegeben hatten und diese nun eine Anzeige wegen Verleumdung prüfte. In dem Moment wurde es für sie zur Geschichte", so Hürtgen.

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Die VICE-Praktikantin und eine Mitarbeiterin holen Umzugskisten aus einem Regal, auf ihnen stehen Namen wie

Ein riesiger Kostümfundus hat sich über die Jahre angesammelt | Foto: Domenic Driessen

Auch wenn mir diese Art von Experiment selbst als Journalistin bei VICE zu hart wäre, kann ich hier einiges über den Medienbetrieb lernen. Ich frage Hürtgen, ob die Titanic-Redaktion von Anfang an das Springer-Blatt im Auge hatten, um die Fälschung zu platzieren. "Ich bezweifle stark, dass wir das woanders hätten unterbringen können. Überall würde man eine zweite Quelle wollen", antwortet der 29-Jährige. Entgegen der Aussage des "Cyber-Professors" der BILD sei die Aktion auch kein Hack oder gar Virus gewesen, sondern lediglich eine Fälschung, die jeder oder jede mit einem Textedit-Programm selbst machen könne. "Sobald du dir minimal Mühe gibst, etwas professionell aussehen zu lassen, glauben dir die Leute alles."

So wie die Falschmeldung um Horst Seehofer. Im Juni, mitten im Unionsstreit, ist Hürtgen auf einer Bahnfahrt langweilig, erinnert er sich. Also ändert er seinen privaten Twitteraccount @hrtgn in ein Quatsch-Profil mit Spaßmeldungen zum Bundesland Hessen. Ein neues Profilbild, der Name "HR Tagesgeschehen" und einige Hessen-Tweets: Fertig war die falsche Newsseite. Am nächsten Tag schreibt Hürtgen einen Tweet, in dem er – ohne Quellenangabe oder Link – meldet, dass Seehofer das Unionsbündnis aufkündige. Innerhalb weniger Minuten fallen mehrere große Medien darauf herein. Ein großer Coup? Mitnichten. "Ehrlich gesagt dachte ich nur, ich foppe meine Follower. Für zwei Minuten." Der Titanic-Autor wusste, dass ihm ein paar Journalisten folgen, wollte sie reinlegen und dem Rest seiner Followerinnen ein Schmunzeln entlocken. "Ich dachte nicht, dass da was passiert. Es war ja auch keine wahnsinnig gute Idee, sondern einfach nur Unfug." Doch der Unfug verselbstständigte sich, innerhalb weniger Minuten eilte Reuters die falsche Nachricht, BILD und andere Medien folgten. All das, weil Hürtgen am Abend zuvor auf einer Bahnfahrt langweilig war.

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Wie erklärt sich die Titanic, dass so viele Journalisten und Journalistinnen ohne Recherche und Faktencheck auf auf die beiden Falschmeldung hereinfielen? "Beide Male kam in eine aufgeheizte Stimmung hinein die Meldung, auf die alle gewartet haben", so Hürtgen. In dieses angespannte Vakuum stoßen die Satiriker – manchmal unabsichtlich – und bedienen die Gelüste der journalistischen Blase: "Eigentlich muss man Wünsche erfüllen, wenn man Fakes unterbringen will." Am einfachsten geht das auf Twitter. Wo Schnelligkeit wichtiger geworden sei als gründliche Recherche, würden satirische Meldungen eher als echt eingestuft, so Hürtgen.

Erschwerend kommt hinzu, dass viele Journalistinnen die Titanic-Redaktion als journalistische Instanz wahrnehmen. Man erwarte mehr von "Kollegen", konnte man dieses Jahr öfter lesen. Doch das Selbstverständnis der Titanic-Redaktion ist ein anderes. Natürlich mache man ein monatlich erscheinendes Magazin und eine tägliche Webseite, so Chefredakteur Wolff, aber Titanic verwende eher Mittel, die aus dem Kunstbereich kämen. "Satire ist deswegen ja nicht besser als Journalismus, aber sie bewegt sich auf einer anderen Ebene", sagt er, "sie stellt die Mittel zur Verfügung, etwas Schlechtes nicht nur zu ertragen, sondern in was Erheiterndes zu übertragen." Diese Mittel – wie man einen Witz aufbaut zum Beispiel – kann man lernen, das merke ich auch nach drei Tagen Praktikum schon. Die dahinter liegende Haltung wohl aber eher nicht.

Als im Laufe des Tages die Empörung über Hürtgens Sami-A.-Gedicht zunimmt, lässt er sich kurz zu einem Rant auf Twitter verleiten. Wenn Springer der Meinung sei, es würde sich tatsächlich um einen Mordaufruf handeln, könne man ja gerne gerichtlich dagegen vorgehen, schließlich gebe es entsprechende Gesetze, twittert der Redakteur, aber es ging wohl nur um Empörung. Nach ein paar Minuten löscht er die Tweets wieder. "Man soll seine Kunst nicht erklären", sagt Hürtgen. Egal, wie weh sie selbst ihren Fans tut.

Drei Menschen blicken konzentriert auf ihre Computerbildschirme

Erst vor wenigen Monaten bezog die Titanic die neuen Räume | Foto: Domenic Driessen

Ein Mitarbeiter trinkt Bier, ein anderer Fanta, im Hintergrund liegen verschiedene Gegenstände herum

Zwischen Perücken und Geweihen: Arbeitsalltag bei der Titanic | Fotos: Domenic Driessen

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