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AfD

Wir haben die rechte Boulevard-Zeitung 'Deutschland-Kurier' gelesen, damit ihr es nicht müsst

Die AfD-Filter-Bubble gibt es jetzt für 30 Cent die Ausgabe.
Screenshot: www.deutschland-kurier.org

300.000 Exemplare des Deutschland-Kuriers sind vorgestern angeblich in Berliner Briefkästen gelandet – zwischen Penny-Broschüren, Rechnungen und Mahnungen. Und wahrscheinlich mindestens so ungewollt.

Nur stellt es sich als ganz schön schwer heraus, tatsächlich ein Exemplar zu finden. Von den laut der Zeitung Hunderttausenden Ausgaben befindet sich keine in den Briefkästen der Mitglieder der VICE-Redaktion.

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Auf der Internetseite steht die Handynummer des Chefredakteurs. David Bendels, 32 Jahre alt, ehemaliges CSU-Mitglied aus Oberfranken und jetzt Vorsitzender des "Vereins zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten". Der Verein finanzierte die Landtagswahlkämpfe der AfD. Woher das Geld für seinen Verein kommt, sagt Bendels, wisse er angeblich selbst nicht genau. Die Zeit hat herausgefunden, dass ein Teil wohl aus der Schweiz kommt.

Der Chefredakteur geht ran. Tiefe Stimme, fränkischer Akzent:

"Bendels, was kann ich für Sie tun?"

"Herr Bendels, ich bin Journalist, ich brauche eine Exemplar Ihrer Zeitung."

"Alles klar, schicken Sie mir Ihre Fragen per E-Mail, ich sitze gerade im Zug"

"Nein, keine Fragen. Ich hätte nur gern Ihre Zeitung."

"Äh, ok, schicken wir Ihnen."

"Am besten als PDF, …"

Aufgelegt.

Der Chefredakteur | Foto: imago | Horst Galuschka

Auch zwei Tage später habe ich trotz weiterer E-Mails immer noch nichts von ihm gehört. Also begnüge ich mich mit der Internetseite, dort finden sich alle Artikel der ersten Ausgabe. Betreten auf eigene Gefahr.

Das Ganze sieht aus wie eine Mischung aus Berliner Kurier und der Bild. Große Bilder, kurze Texte, krasse Überschriften. Der Berliner Kurier sieht das Blatt sogar als "rechtspopulistische Vereinnahmung" der eigenen Marke und prüft nun "alle juristisch möglichen Schritte". Im Logo der rechten Zeitung fliegt ein schwarz-rot-goldener Adler.

Bei Motherboard: Warum es so schwer ist, Fake News automatisch erkennen zu lassen

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Der Deutschland-Kurier hat wenig mit Journalismus zu tun, sondern verbreitet Propaganda für die AfD. Zwar kommt der Name der Partei nicht in den Texten vor, allerdings werden genau die Themen bedient, die dem potenziellen AfD-Wähler gefallen:

"Der große Einwanderungsbetrug" wirft der Bundesregierung Volksverdummung und die Zerstörung Deutschlands vor, "Angriff auf die Meinungsfreiheit" handelt von angeblicher politischer Zensur auf Facebook und ein anderer Artikel bezichtigt Martin Schulz der Vetternwirtschaft und die EU der Korruption.


Auch bei VICE: Königreich Deutschland


Im Editorial schreibt Bendels:

Masseneinwanderung, Sozialabbau, Euro-Krise, Bildungsmisere, Gender-Irrsinn und noch vieles mehr. Sowohl ökonomisch als auch geistig moralisch leben wir ganz sicher nicht im »besten Deutschland, das wir je hatten«, wie es die Bundeskanzlerin den Bürgern weiszumachen versucht. Wir werden zukünftig sagen, was gesagt werden muss – unabhängig und unkonventionell!

Neu sind diese Themen nicht. In rechten Medien wie Compact, der Jungen Freiheit oder dem Portal PI-News gehören sie bereits zum Standard-Repertoire.

Aber mit jeder publizistischen Neuerscheinung erreichen diese kruden Thesen mehr Menschen. In je mehr Medien der potenzielle AfD-Wähler davon liest, desto mehr fühlt er sich in seinem Weltbild bestätigt.

Der Deutschland-Kurier versucht aber, eine neue Nische zu besetzen. Indem er eine Boulevard-Zeitung herausgibt, öffnet er der AfD einen Zugang zu Menschen, die nicht das Internet nutzen. Man muss sich nicht in seiner rechten Filterbubble einrichten, die Filterbubble wird einem für nur 30 Cent zu Hause in den Briefkasten gesteckt. Und genau das ist die größte Gefahr, die von diesem Blatt ausgeht.

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Angriff, Betrug und Wahnwitz: Die Überschriften könnten so auch in der Bild stehen | Screenshot: www.deutschland-kurier.org

Eine Sache hat der Deutschland-Kurier aber jetzt schon perfektioniert: Er schafft es, Angela Merkel in nahezu jedem Artikel zu erwähnen und in ein Allzweck-Feindbild zu verwandeln.

"Merkel irrer als Trump?", fragt der Aufmacher. Auf dem Bild sieht sie aus wie der Sith-Lord aus Star Wars. Im ziemlich zusammenhangslosen Text wird ihr unter anderem vorgeworfen, ihre Kritiker zu entsorgen und einen Einparteienstaat zu errichten.

An einer Stelle heißt es:

"Die Drecksarbeit überlässt sie dabei aber gerne ihren Rambo-Generalsekretären. »Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen«-Pofalla darf für seine braven Dienste inzwischen bei fürstlichem Gehalt die Fahrpläne der Deutschen Bahn schreiben und jetzt darf Peter Tauber die Partei stramm auf Merkel-Linie bringen."

Es gibt viele Begriffe, die Menschen zu Peter Tauber einfallen und die ihm vor allem in den letzten Tagen auf Twitter entgegen geschleuert wurden. Einen abgeschriebenen Generalsekretär, dessen größte Wahlkampfleistung der Hastag #fedidwgugl ist, "Rambo" zu nennen, zeugt allerdings von besonderer Kreativität.

Auch sprachlich klingt diese Zeitung eher nach einem Wutbürger-Facebook-Kommentar als nach Journalismus. Schon die Überschrift "Ist Merkel irrer als Trump?" ist irreführend. Denn Trump taucht im Text gar nicht auf. Es geht nur um den Hass auf Merkel.

Man kann der Bundeskanzlerin eine Menge Dinge vorwerfen: ihren Opportunismus, ihren trägen Regierungsstil, ihre jahrelange Blockade der Ehe für Alle, vielleicht trägt sie auch eine Mitverantwortung an der anhaltenden Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa. Aber mit welcher Vehemenz Merkel in der Zeitung dämonisiert wird, ist erstaunlich. Woher kommt dieser Hass? Weil Merkel eine Frau ist? Ist es der Links-Rutsch der CDU, der dem Chefredakteur Bendels seine politische Heimat nahm? War es die Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge? Braucht die Neue Rechte einfach ein Feindbild, auf das sich alle einigen können?

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Gerne würde man die Autoren fragen. Doch die Zeitung verschweigt bis auf den Chefredakteurs die Namen der knapp 20-köpfigen-Redaktion.

Das kann mehrere Gründe haben: Es ist gut möglich, dass man die Zeitung nicht durch den biografischen Hintergrund der Redakteure angreifbar machen möchte. Gebe es zu viele AfD-Mitglieder unter ihnen, könnte die Zeitung sich nicht mehr unabhängig nennen.

Aber die Zeitung hat einige mehr oder weniger namhafte Kolumnisten verpflichtet.

Unter anderem die Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach, die auf Twitter mal behauptet hat, die NSDAP sei eine linke Partei gewesen. Aus Protest gegen die Flüchtlingspolitik ist sie aus der CDU ausgetreten. Der Deutschland-Kurier macht Steinbach dann gleich zur "Gewinnerin der Woche", weil sie der "Bundeskanzlerin kräftig die Leviten" liest.

Auch der ehemalige Bild-Chefredakteur Peter Bartels schreibt eine Kolumne.

Ein Typ, der in seinem neuen Buch, erschienen im Kopp-Verlag, die Moderatorin Dunja Hayali eine "iranische Paradelesbe vom ZDF-Morgenmagazin" nennt und vor den "Horden von Muslimen" warnt, die "Muslim-Mama Merkel ins Land holt".

In seiner Kolumne geht es, große Überraschung, mal wieder um Angela Merkel. Aber zumindest sprachlich ist seine Kolumne unterhaltsam.

Über Merkels Griechenland-Politik schreibt er:

"Von Geld hat sie schon immer nie Ahnung gehabt."

Und weiter:

"Im Osten gabs nur »Alu«, im Westen kassierte [Merkel] »plötzlich und unerwartet«, ohne je einen Finger zu rühren, Staatsknete wie Lotto."

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Über die Flüchtlingskrise:

"[Sie] breitete die molligen Ärmchen aus: Kommt her zu mir, die ihr müßig und mit leerem Magen seid – ich will euch erquicken! Die Plüsch-Teddys flogen, Muttchen machte Selfies für's globale Fotoalbum. Germoney, for ever!"

Ein noch absurden Artikel versteckt sich in der Meldungs-Spalte:

Eine Quelle findet sich dafür nicht. Dass man diese Meldung den "Irrsinn der Woche"
nennt, zeigt aber eigentlich am besten, was diese Zeitung über die Welt denkt:

Deutschland im Ausnahmezustand, überflutet mit kriminellen Flüchtlingen, regiert von einer Diktatorin, die Presse gleichgeschaltet. Aber all das ist längst nicht so irre wie der Gedanke, dass gleichgeschlechtliche Paare eigene Kinder bekommen könnten.

Neben dieser Zeitung ist eine Mahnung im Briefkasten sogar recht erfreulich.

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