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'Minecraft'-Nerd veröffentlicht die dunklen Geheimnisse seiner Mitspieler

Was als Suche nach einem Juwelenschatz begann, hat sich auf Reddit zu einer Bewegung entwickelt, die verschollene Botschaften von Gamern ausgräbt. Unbeantwortete Liebesbriefe, verzweifelte Nachrichten – nichts bleibt verborgen.
Alle Screenshots mit freundlicher Genehmigung von Matt B.

Seit Minecraft 2009 auf den Markt kam, haben unzählige Spieler in dem Open-World-Spiel ihre eigenen Welten erschaffen. Überdimensionale Pikachu-Statuen und seltsame Let's Play Videos auf YouTube sind der Beweis, dass der Fantasie hier so gut wie keine Grenzen gesetzt sind. Doch auf den Minecraft-Servern schlummern auch unzählige persönliche, tragische und herzzerreißende Geschichten, die normalerweise niemand zu sehen bekommt. Ein Gamer befördert sie nun ans Tageslicht.

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Matt B., der bei Reddit unter dem Usernamen "worldseed" aktiv ist, durchforstet alte Server auf der Suche nach den Geheimnissen seiner Mitspieler. Dazu hat er zwei Java-Skripte programmiert: BookReader.jar und SignReader.jar. Die Anwendungen scannen die Minecraft-Maps nach allen Büchern und Schildern, die Spieler dort zurückgelassen haben. Die Inhalte landen in einer Textdatei, die Matt nach Begriffen wie "Schatz" durchsuchen kann. Jeder Logeintrag zeigt außerdem, wo die Texte im Spiel zu finden sind.

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Vor ein paar Tagen hat Matt, der gerne anonym bleiben möchte, das Subreddit MinecraftDataMining gegründet. Inzwischen helfen ihm 30 Freiwillige dabei, Liebesbriefe, Tagebucheinträge und schlechte Schülergedichte auszugraben.

"Ein Großteil der Texte handelt von ganz alltäglichen Dingen", sagte Matt im Discord-Chat gegenüber Motherboard. "Aber es kann auch ziemlich deprimierend sein."

"Wenn ich mich heute Nacht umbringen würde, würden die Sterne trotzdem erlöschen"

In Minecraft können Spieler Schilder und Bücher beliebig beschriften. Die meisten dieser Texte haben einen Bezug zum Spiel: das Rezept für einen Heiltrank oder Schilder, mit denen Spieler ihr Eigentum markieren. Zwischendurch stößt Matt aber immer wieder auf ungewöhnliche oder kuriose Texte.

Sein bizarrstes Fundstück? Ein Tagebuch, das aus der Perspektive eines Huhns geschrieben ist. Andere Spieler gehen gar nicht so weit, sondern teilen einfach nur ihr Rezept für "Bacon Pancakes" mit der Welt. Andere Texte hingegen drücken Einsamkeit und Trauer aus. Auf einem Server, der seit fünf Jahren nicht mehr genutzt wird, ist Matt in einem Tunnel auf Schilder gestoßen, die fast wie ein Abschiedsbrief klingen.

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"Wenn ich mich heute Nacht umbringen würde, würden die Sterne trotzdem erlöschen", steht auf einem dieser Schilder. "Die Sonne würde immer noch aufgehen, die Erde würde sich weiter drehen, die Jahreszeiten würden sich ändern …"

Düstere Schilder in einem Tunnel | Screenshot: Matt B.

Ein anderes Schild hat ein Spieler scheinbar in Gedenken an einen verstorbenen Freund errichtet. Mithilfe der Koordinaten konnte Matt den Nachruf für den Verstorbenen im Spiel finden. "RIP Charlie", steht auf den Schildern. "Schüler, Gamer, Freund … Niemand hier kannte ihn, aber ich werde ihn niemals vergessen."

R.I.P. Charlie | Bild: Matt B.

Aber nicht alle Schilder sind so traurig und hoffnungslos. Eine Schilderserie erzählt die Geschichte einer verloren geglaubten Freundschaft. Die Spielerin kat hatte schon eine Weile kein Minecraft mehr gespielt. Als sie sich das nächste Mal einloggte, musste sie mit Erschrecken feststellen, dass keiner ihrer alten Freunde mehr online war.

Also fing kat an, Schilder mit Botschaften zu hinterlassen. "kat war hier. Ist sonst jemand da?", schrieb sie im September 2015. "Ich vermisse euch wirklich", schreibt sie auf dem nächsten Schild im Oktober. Fast einen Monat später schreibt sie sichtlich verzweifelt: "Ich glaube nicht, dass ihr jemals zurück kommt."

Plötzlich tauchen weitere Schilder mit einer Antwort an kat auf: "Hey, hier ist Zmoney. Ja. Wir haben alle aufgehört, Minecraft zu spielen :/ Snap mich jederzeit: RasBro17 Sorry Kat, wir wussten nicht, dass du auf uns wartest. Vermisse dich auch."

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Monatelang wartete kat vergeblich auf eine Antwort von ihren 'Minecraft'-Freunden | Screenshot: Matt B.

Endlich eine Antwort an kat | Bild: Matt B.

Matts Leidenschaft für das Daten-Mining hatte einen ganz profanen Ursprung: Er wollte einen sagenumwobenen Schatz finden. 2011 hatte ein Spieler eine Truhe mit 64 Diamanten irgendwo auf dem Minecraft-Server von Aperture Games versteckt. Der Schatz wurde nie gefunden, aber die Legende von den unberührten Diamanten wollte Matt die nächsten sieben Jahre nicht aus dem Kopf gehen.

Um die Juwelen zu finden, schrieb Matt die beiden Programme in Java.

Zwar gelang es ihm, die Truhe ausfindig zu machen, doch ein anderer Spieler war ihm zuvor gekommen. Auch wenn die Hälfte der Diamanten bereits weg war, hatte er etwas viel Wertvolleres gefunden: den kompletten Schriftverkehr, der sich immer noch auf dem Server befand.

"Habe ich schon erwähnt, dass du perfekt bist? <3" Liebesbotschaften in einem verlassenen Tunnel | Screenshot: Matt B.

Auf diesem Schilderwald hat ein Spieler eine verzweifelte Nachricht an seine Ex-Freundin verewigt | Screenshot: Matt B.

Minecraft ist gigantisch groß. Jede einzelne Map umfasst eine Fläche von vier Milliarden Quadratkilometern. Matt sagt, dass die Auswertung eines Servers zwischen 20.000 und 450.000 Textdokumente in der Form von Büchern und Schildern zu Tage fördern kann.

Um außergewöhnliche Schilder zu finden, sucht Matt gezielt Schlüsselwörter wie "Wenn du das hier liest", "Ich hasse mich" und "RIP". Wenn ihm dabei etwas auffällt, öffnet er die entsprechende Map und schaut sich um.

"Ich will die Leute nicht ausspionieren oder so", sagte Matt. "Aber wenn ich dieses Zeug nicht entdeckt hätte, hätte es niemand jemals wieder gesehen."

Bei Depression oder akuten Selbstmordgedanken gibt es zahlreiche Stellen, die professionelle Hilfe anbieten und das eigene Leid lindern helfen. Die Hotlines sind Tag und Nacht erreichbar.