paramilitärisches Ausbildungslager für Kinder
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Fotos aus einem ukrainischen Camp, in dem Kinder das Töten lernen

Nach dem Aufstehen: erstmal fünf Stunden marschieren, bei 35 Grad, durch die Berge.

Im Jahr 2013, bevor Russland die Halbinsel Krim annektierte, bekam der norwegische Fotograf Kyrre Lien Zugang zu einem paramilitärischen Sommerlager in der Ukraine. Die Krimkosaken, die das Camp leiteten, sahen damals in der NATO die größte Bedrohung. Viele von ihnen verstanden sich als Putin-loyal. Etwa 150 Kindern und Jugendlichen wurde dort beigebracht, mit Kalaschnikows zu schießen und sich mit Fäusten zu verteidigen. Den ideologischen Rahmen bildete eine komplizierte Mischung aus Nationalismus und regionaler Paranoia.

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Organisiert hatte das Lager ein Kosakenverband. Die modernen Kosaken sind eine Gesinnungsgemeinschaft, die sich als Nachkommen der legendären Reiterverbände Osteuropas und Russlands versteht. Traditionell stammen die Mitglieder aus dem südlichen Russland und der südöstlichen Ukraine. Das Camp richtete sich vor allem an Eltern, die ihre Kinder im Einklang mit kosakischen Militärtraditionen erziehen wollten: selbstbestimmt, selbstversorgend und bereit, ihre Heimat notfalls auch mit Gewalt zu verteidigen.

Ein bisschen ironisch ist es schon, dass das Lager nicht mehr existiert. Als Russland die Krim 2014 annektierte, wurde das Camp geschlossen und die Kosaken zerstritten sich. Am Ende saß ihr Feind also nicht in Brüssel, sondern in Moskau.


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Wir haben mit Kyrre Lien darüber gesprochen, was er während seiner Zeit im Camp erlebt und was er über die komplizierte Politik der Region gelernt hat.

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VICE: Warum wolltest du dieses Ausbildungslager dokumentieren?
Kyrre Lien: Ich bin in Norwegen aufgewachsen. Kinder und Jugendliche mit Waffen in einem paramilitärischen Bootcamp rumlaufen zu sehen, fand ich einfach faszinierend und befremdlich zugleich. Es hat einige Wochen gedauert, bis ich die richtigen Kontakte gefunden und Zugang bekommen hatte.

Was hast du dort vorgefunden?
Im Camp waren 150 Kinder, verteilt auf etwa 30 Zelte. Das Lager dauerte zwei Wochen. Die Hitze tagsüber war unglaublich. Auf der Krim gibt es im Sommer Temperaturen von 30 bis 35 Grad. Um das Lager herum waren hohe Berge und steile Klippen. Es gab viel Grün, das Tal war wunderschön.

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Wie wurdest du aufgenommen?
Mit viel Skepsis. Es hat ein paar Tage gedauert, bis ich richtig mit den Kindern sprechen konnte. Sie waren etwas schüchtern. Wenn ich eine solche Geschichte mache, will ich niemanden verurteilen. Stattdessen will ich verstehen, was die Menschen antreibt. Ich wollte einfach zuhören und zuschauen. Die Leute, die das Lager geleitet haben, haben das verstanden. Sie waren sich durchaus bewusst, dass das, was sie da tun, umstritten ist. Zu der Zeit waren sie heftig von ukrainischen Medien kritisiert worden.

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Was waren das denn für Menschen, die das Lager geleitet haben?
Der oberste Leiter nannte sich General-Jessaul, das ist ein alter Kosaken-Dienstgrad. Er war extrem streng. Er sagte, dass die Kinder kämpfen lernen, "damit die NATO nie unsere Grenze erreicht". Ich erinnere mich noch, wie er eines Tages zu einem achtjährigen Jungen ging. Er warf ihn zu Boden, zog ihn wieder hoch und tat dann so, als würde er ihm die Kehle durchschneiden. Das war eine ziemlich extreme Art, einem Kind etwas beizubringen – was auch immer es sein sollte. Danach kam der Junge zu mir und sagte, dass er seine Mutter und seinen Vater sehr vermisse.

Wie haben die anderen Kinder darauf reagiert?
Viele fanden es gut, in dem Camp zu sein. Natürlich hatten einige auch Angst und waren überrascht, dass so etwas passiert.

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Wie sah ein typischer Tag im Camp aus?
Alle standen sehr früh morgens auf. Dann marschierten sie fünf Stunden lang durch die Berge, was bei 35 Grad und mit acht Jahren ziemlich hart ist. Dann übten sie Schießen mit Gewehren, Messerkampf und Selbstverteidigung. Kinder patrouillierten durch das Lager und die angrenzenden Berge. Gleichzeitig waren sie immer noch Kinder. Sie spielten. Ich erinnere mich an einen besonders heißen Tag, als einer der Kommandeure mit einem riesigen Paket Eis ankam. Sofort sind alle zu ihm hingerannt. Plötzlich sahen sie wieder aus wie Kinder und nicht wie kleine Soldaten.

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Abends aßen sie zusammen und der General-Jessaul hielt Reden über kosakische Werte und Heldentaten der Kosaken. Dann putzten alle ihre Zähne, viele der Jüngeren zogen sich Pyjamas an und gingen ins Bett. Während alle schliefen, gab es auch Nachtpatrouillen: Drei Kinder liefen ausgerüstet mit Kalaschnikows, Messern, schusssicheren Westen und Helmen durch das Lager.

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Was war das Verrückteste, was du dort gesehen hast?
Für mich waren es vor allem die kleinen Jungs mit den Gewehren – Waffen, die zum Töten da sind. Mich hat schockiert, wie Kindern beigebracht wurde, Menschen zu töten.

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Was war für die Kinder besonders hart?
Die ganzen Kraftübungen. Ich habe Achtjährige gesehen, die unglaublich viele Liegestütze gemacht oder schwere Baumstämme getragen haben. Auf einem Foto siehst du eine Gruppe Kinder, die Baumstämme tragen. Die waren so zusammengebaut, dass sie einen Panzer darstellen sollten. Du konntest ihren Gesichtern ansehen, wie anstrengend das war. Der General lief hinter ihnen und rief immer wieder: "Los, Sklaven!" Währenddessen spielte im Hintergrund patriotische Kosakenmusik.

Gab es in dem Lager auch Mädchen?
Etwa 95 Prozent der Kinder waren Jungs, aber es gab auch ein paar Mädchen. Ich erinnere mich noch an ein Scharfschützinnenteam, das aus zwei Mädchen bestand. Eines Abends sind wir mit ihnen hoch auf die Berge gegangen, um Bilder zu machen. Sie trugen beide richtig schwere Tarnanzüge und Gewehre über der Schulter.

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Hattest du den Eindruck, dass die Kinder sich selbst als Kosaken verstehen?
Die Jüngsten interessierten sich nicht dafür und wussten auch nichts darüber. Die älteren waren aber richtig stolz, kosakische Ideale und "ihre Leute" zu repräsentieren. Die Lagerleitung bestand aus extrem überzeugten Kosaken. Einer von ihnen sagte: "Wir bringen den Kindern bei, echte Kosaken zu werden: furchtlose Männer, die bereit sind, ihre Heimat zu verteidigen." Und dann sagte er noch: "Diese Generation ist faul und abhängig von Alkohol, Zigaretten und Drogen. Das wollen wir ändern."

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