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Sex

Warum ist Claudia, 52, Stammkundin in einem Pornokino?

Sie kommt mehrmals die Woche ins Sexkino, um Pornofilme zu schauen und mit Männern zu schlafen. Doch eigentlich sucht Claudia nach etwas ganz anderem.
Sexkino Frau
Claudia verstaut ihre Tasche in der Umkleidekabine des Pornokinos | Alle Fotos: Steven Meyer

Es ist Mittwoch, 13 Uhr, die Sonne scheint, es sind 15 Grad, und Claudia, 52, geht ins Kino. Die blonde Farbe ihrer Haare ist schon etwas herausgewaschen. Sie ist klein, stämmig und trägt einen schwarzen Hosenanzug, der aussieht, als würde sie gerade aus dem Büro kommen. Claudia steuert auf einen Altbau zu, der Eingang ist türkis gestrichen, eine Anzeige weist darauf hin, um welche Art von Kino es sich hier handelt: "Videoräume für Paare kostenlos" steht dort. Das Kino Claudias Vertrauens ist ein Pornokino. Sie kommt oft hierher – manchmal dreimal in der Woche.

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Vom strahlenden Sonnenschein tritt Claudia in den dunklen Eingangsbereich. Die Wände sind verspiegelt und mit pinken LED-Lichtern versehen. Auf der rechten Seite sitzen drei Männer nebeneinander an der Bar. Sie reden nicht. Der Sommerhit "Street Life" aus der Aperol-Werbung dröhnt aus den Lautsprechern. Eine Mitarbeiterin hinter der Theke kassiert 15 Euro Eintritt, Claudia zahlt und bestellt ein großes Glas Wasser.

Ein Paar, beide Mitte 60, kommt Hand in Hand auf Claudia zu. Er trägt eine Brille, einen Schnauzer und ein kariertes Hemd. Die Frau ist sehr viel kleiner und etwas breiter. Ihr Haar ist grau und strohig.

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Der Eingang des Pornokinos, in dem Claudia Stammkundin ist | Foto: Steven Meyer

"Claudia, der leckt so gut, ich bin zweimal gekommen!", sagt sie und lächelt breit. Der Orgasmus ist ihr noch ins Gesicht geschrieben.

"Dann hat er heute also gar keine Zeit mehr, mich auch noch zu nehmen?", sagt Claudia.

"Doch, doch, der nimmt dich auch noch."

"Doch, klar", sagt der Mann und lächelt.

Dieses Pornokino ist mehr als ein Kino: Es gibt nicht diesen einen großen Saal, in dem die Zuschauenden aufmerksam einen Film verfolgen, keine fleckigen Sitzreihen mit Taschentücherboxen. Dieses Kino ist mehr Swinger-Club als Kino – auf drei Etagen gibt es über zwanzig Räume, in denen es Sexschaukeln, Glory Holes und ein Bondage-Kreuz gibt, an das man gefesselt werden kann. Man kommt als Paar, oder allein, wartet auf das, was sich eben ergibt, und schläft, mit wem man will – je nachdem, wie einem die Lust steht. In jedem Raum und in jedem Gang hängen Fernseher, auf denen Pornos laufen. Das Stöhnen der Pornodarstellerinnen und -darsteller erfüllt die Luft, überall riecht es nach Vanille-Raumspray, das wohl den Geruch von Sperma und Schweiß übertünchen soll. Die meisten Besucherinnen und Besucher scheinen wohl nicht der Filme wegen in dieses Kino zu kommen.

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"Ich möchte dem Alltag entfliehen und mir einen schönen Nachmittag machen", sagt Claudia. Die Menschen im Kino sind wie eine Familie. Sie trifft dort Freundinnen und Freunde, lernt neue Menschen kennen, hat Gruppensex, Sex zu zweit, oder sitzt einfach an der Bar. "Ich mag die Menschen, die hier arbeiten und ich tratsche gerne", sagt sie. Seit die Liebe ihres Lebens gestorben ist, gehört sie zu den Stammgästen.

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Der verspiegelte Eingangsbereich des Kinos | Foto: Steven Meyer

Den Magier, so nennt Claudia ihn, hat sie mit 16 Jahren kennengelernt. "Er war mein Leben", sagt sie. Ihre Stimme wird brüchig, sie schaut zur Seite, dann rollen ihr Tränen über die Wange. 35 Jahre lang hatten sie eine Affäre. "Er war schwierig und fordernd", sagt sie. Was das genau heißt? Eine feste Beziehung wollte er nicht, Claudia gehen lassen, wollte er aber auch nicht. Er hat über sie verfügt. "Er war schrecklich eifersüchtig", erzählt sie.

Also heiratete Claudia einen anderen Mann, und weil dieser Alkoholiker war, schließlich noch einen zweiten. Als auch der zu trinken begann, trennte sie sich wieder. "Wieso ich überhaupt geheiratet habe, frage ich mich oft. Ich schätze es war aus Wut und Zorn", erzählt sie. Im Bett lief mit ihren Männern wenig. Beide wussten vom Magier, ihrer Affäre.

Claudia hat sich in eine kleine, dunkle Kabine zurückgezogen und sitzt auf einer Couch, die mit schwarzem Latex überzogen ist. In zwei der Wände ist eine Plexiglasscheibe eingelassen, durch die immer wieder Männer starren. Auf dem alten Röhrenfernseher, der an der Decke hängt, läuft ein Porno: Ein Mann lutscht am Penis einer Transfrau. Claudia wirkt nervös, sie redet mal schnell, mal langsam und gestikuliert wild mit ihren Händen in der Luft.

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"Aber dann hat mein Magier mich verletzt", sagt Claudia. Es war einer ihrer Geburtstage. Sie zog ein Dirndl an, es sollte ein besonderer Abend werden. Statt ihr Komplimente zu machen, beleidigte er sie, erzählt sie. Auch mit ihr schlafen wollte er nicht. Als sie darüber redet, wird ihre Stimme leiser. Sie schaut auf den Boden. An diesem Tag entschied sie sich, heimlich andere Männer zu treffen. Sie fing an zu chatten. Irgendwann ging sie zum ersten Mal in ein Pornokino.

"Wenn er das herausgefunden hätte, würde ich heute nicht hier sitzen", sagt sie – wieder wandert ihr Blick Richtung Boden. "Er hat immer gesagt: Du weißt, ich habe überall meine Leute. Wenn du mit einem anderen fickst, dann bist du nicht mehr da." Dann schweigt sie eine Weile. Die Pornodarsteller aus dem Schwulenporno, der im Hintergrund läuft, stöhnen.

"Er hat mir mein Herz herausgerissen", sagt Claudia schließlich. Sie weiß, dass die Affäre ihr Liebesleben vergiftet hat. Aber sie hatte nie die Kraft, die Affäre zu beenden. Stattdessen akzeptierte sie sein Verhalten und seine Entscheidung, keine feste Beziehung mit ihr zu haben. "Seine Drohungen gaben mir das Gefühl, ihn für mich alleine zu haben", sagt Claudia.

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Claudia, die eigentlich anders heißt, hat im Pornokino auf einer Sitzbank Platz genommen | Foto: Steven Meyer

Vor zwei Jahren ist der Magier gestorben. Kurz nach seinem Tod fand Claudia heraus, dass die Familie des Mannes von ihr wusste – und dass sie eine feste Beziehung der beiden wohl akzeptiert hätten. Jetzt, wo er tot ist, findet sie im Kino Ablenkung. "Sex war in meinem Leben immer wichtig, ich habe mit mehr als 400 Männern geschlafen", sagt sie. Aber es geht ihr nicht nur um Befriedigung. Durch den Sex denke sie weniger darüber nach, was ihr eigentlich fehlt. "Ich war mein Leben lang immer nur die Affäre, das tut weh," sagt Claudia. "Sex hilft mir, das zu kompensieren."

Claudia steht auf, öffnet die Kabinentür, und geht den dunklen Flur entlang, vorbei an den Kammern, in denen andere Paare beisammen liegen. Männer stehen vereinzelt herum und schauen ihr hinterher. Hier im Kino ist sie es, die entscheidet, worauf sie Lust hat. Sie sucht sich die Männer aus, mit denen sie schläft. Sie bestimmt. Aus dem dunklen Flur tritt sie wieder in den Barbereich. Am Tresen sitzt eine Frau. Sie hat maskuline Gesichtszüge, trägt eine Brille und eine blonde Perücke. Claudia hastet auf sie zu, schlägt ihre Arme auseinander und umarmt sie.

"Wir haben wirklich nur geredet und ein Interview geführt", sagt sie zu ihrer Freundin. Die Mitarbeiterin hinter der Theke mustert mich. Claudia guckt sie an: "Sonst lief gar nichts!"

* Name auf Wunsch geändert

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