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burkaverbot

Das neueste Opfer des "Burkaverbots" ist ein leukämiekranker Wiener mit Mundschutz

Sein Arzt meinte, ein Mundschutz sei selbsterklärend. Die Polizei jedoch war misstrauisch.
Foto: imago | Fotoarena

Valentin ist 26 Jahre alt und hat vor einem Jahr die Diagnose für Akute Lymphatische Leukämie bekommen. Nach einem Dreivierteljahr Chemotherapie ohne wirkliche Besserung wollten die Ärzte eine Knochenmarktransplantation durchführen. Das war nicht möglich, da kein geeigneter Spender gefunden wurde – weder in der Familie noch unter den 95 Millionen potentiellen Spendern weltweit.

Die letzte Option, um Valentins Leben zu retten, war die medizinisch revolutionäre Methode der Nabelschnur-Stammzellen-Therapie. Dabei werden Stammzellen, die sich nach der Geburt eines Kindes noch in der Nabelschnur befinden, dem blutkranken Patienten übertragen. Im Zuge dieser Transplantation wurden bei Valentin auch eine starke Chemotherapie und eine Ganzkörperbestrahlung durchgeführt.

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Nach dieser Prozedur sei sein Körper komplett ausgelaugt gewesen, sagt Valentin im Interview mit VICE. Der Krebs ist nun bekämpft, sein Immunsystem jedoch ebenfalls am Ende. Acht Wochen musste er deswegen in kompletter Isolation verbringen. Immer noch besteht für ihn eine hohe Ansteckungsgefahr; So können ansonsten meist harmlose Schnupfen-Viren im angeschlagenen Körper ein leichtes Spiel haben. Deswegen wurde ihm vom Arzt eine Mundmaske verschrieben, die für ihn überlebensnotwendig ist.

"Das erste, wonach sie mich gefragt haben, war, ob ich Deutsch spreche oder etwa Ausländer bin."

Das Anti-Gesichts-Verhüllungsgesetz macht die Sachlage jedoch komplexer. Am vergangenen Dienstagnachmittag geriet Valentin auf dem Nachhauseweg mitten am Handelskai in eine Polizeisperre mit 10 Beamten. "Das erste, wonach sie mich gefragt haben, war, ob ich Deutsch spreche oder etwa Ausländer bin", sagt Valentin. "Als ich erklärte, dass ich Wiener bin, entspannte sich die Stimmung. Aber als nächstes hatten sie es auf meinen Mundschutz abgesehen."

Als nächstes fragten die Beamten laut Valentin, ob er denn wisse, dass er damit gegen das Vermummungsverbot verstößt. "Genau diese Thematik hatte ich auch schon mit meinem Arzt besprochen", sagt Valentin im VICE-Interview. "Aber der meinte damals nur lachend, dass der Mundschutz wohl selbsterklärend sei." Laut Valentin erklärten ihm die Polizeibeamten, dass das hier kein Witz sei – und er nun die vorgeschriebenen 80 Euro zahlen müsse.

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"Angesichts meines Studentengehalts wurde mir bei dem Gedanken an eine 80-Euro-Strafe ziemlich schnell unwohl." Wie er VICE erzählt, versuchte er als nächstes, den Polizisten Beweise für seine lebensgefährliche Krankheit zu liefern. "Ich dachte mir nur, ich fang jetzt nicht an, mit denen zu diskutieren." Stattdessen packte er seine Medikamente aus und suchte Bluttests am Handy raus. "Die ganze Geschichte war eine ziemlich aufreibende Prozedur, aber am Ende glaubten sie mir dann doch."

Dennoch wurde eine Verwarnung ausgesprochen: Sollte er noch einmal ohne Attest erwischt werden, müsse er auf jeden Fall Strafe zahlen. Valentin selbst kann dem Gesetz nach wie vor wenig abgewinnen. "Für solche Amtshandlungen wird dann eine Unmenge an Steuergeldern verwendet", meint er.

Auch objektiv betrachtet hält sich die rational nachvollziehbare Notwendigkeit des Anti-Gesichts-Verhüllungsgesetzes in Grenzen: Nur vier Anzeigen trafen tatsächlich Burkaträgerinnen– und zwar genau genommen vier Mal dieselbe Frau. Insgesamt wurden bis Ende März in Wien 33 Anzeigen erstattet.

Patrick Maierhofer, der Pressesprecher der Polizei Wien, bittet in einem schriftlichen Statement gegenüber VICE um Verständnis dafür, dass man sich bei solchen Amtshandlungen immer erst einen Überblick über die konkrete Sachlage schaffen müsse, um dann dementsprechend handeln zu können. Dennoch "obliegt dem Beamten vor Ort die Entscheidung, ob eine Erkrankung nach den Umständen des Einzelfalls auch ohne ärztlichen Attest nachvollziehbar ist", wie es weiter heißt.

Einen guten Ratschlag hat die Polizei aber trotzdem für Betroffene, die sich in einer Polizeikontrolle befinden und aufgefordert werden, die Strafe gleich vor Ort zu bezahlen: "Es empfiehlt sich, in so einer Situation kein Organmandat zu bezahlen, sondern auf die Anzeige zu warten und einen Einspruch zu verfassen."

Valentin ist auf dem Weg der Besserung. Die Polizeikontrolle habe ihn jedenfalls dazu veranlasst das Anti-Gesichts-Verhüllungsgesetz zumindest in der Praxis ernster zu nehmen. "Ich bin nicht so reich, dass ich mir solche Strafen leisten kann und hab auch nicht die Nerven mit der Polizei zu diskutieren."

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