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Warum werden so viele Sexualstraftäter in kalifornischen Gefängnissen umgebracht?

„Die Gangster im normalen Knast werden sichergehen, dass die Kinderschänder auch kriegen, was sie verdient haben."
Häftlinge

Kalifornische Gefängnisinsassen—nicht im Bild: Sexualstraftäter oder Männer, die Sexualstraftäter umgebracht haben. Foto: San Quentin News | Flickr | CC BY 2.0 Ganz unten in der Hackordnung von Gefängnissen befinden sich die Sexualstraftäter. Selbst Spitzel haben einen besseren Ruf als diese Typen. SOs [Sex Offender], Chomos [Child Molester] und Pädophile sind die verschiedenen Bezeichnungen für ein und dieselbe Art von Insasse und sie helfen dem Durchschnittsgefangenen dabei, sich von jenen abzugrenzen, die für sie die wahren Monster sind.

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Ein kürzlich erschienener Report der Associated Press suggeriert, dass die Häftlinge in den Gefängnissen des Bundesstaates Kalifornien doppelt so häufig umgebracht werden wie im Landesdurchschnitt und unverhältnismäßig oft sind die Opfer Sexualstraftäter—was einerseits furchtbar, aber andererseits auch nicht wirklich verwunderlich ist, wenn man bedenkt, wie viel Hass diesen Insassen entgegengebracht wird. Warum aber hebt sich hier ein Bundesstaat so sehr vom Rest des Landes ab?

„Das ist die kalifornische Gefängniskultur", erklärt mir Kilo, ein Mitglied der Bloods, der in Kalifornien aufgrund des Three-Strikes-Laws eine lebenslange Haftstrafe absitzt. „Es ist ein Tabu und so ziemlich alle hier, egal wo sie herkommen, haben ein Problem mit Kinderschändern und solchen Leuten. Aber vor allem die Hispanics und die Weißen—die machen daraus eine wirklich große Sache. Die gehen auch so weit, sie abzustechen und sie dadurch aus der Gefängnispopulation zu entfernen."

In amerikanischen Gefängnissen geht es oft darum, Gewalt zu einem Spektakel zu machen. Die Gangs beweisen sich gerne gegenseitig, welche die größte, die härteste und die gewalttätigste ist—und sich einen Sexualstraftäter zu schnappen, ist eine der einfachsten Methoden, um das zu demonstrieren. Wie Terry Thronton, die Pressesprecherin des California Department of Corrections (CDC), aber betont, werden Gefangene aus vielen verschiedenen Gründen angegriffen—nicht nur, weil ihre Verbrechen als abscheulicher gelten als die der anderen Insassen.

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„Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die zu Gewalt in unseren Strafanstalten beisteuern", schreibt uns Thornton in einer E-Mail. „Auch wenn das Vergehen, für das ein Insasse verurteilt wurde, vielleicht eine Rolle spielt, gehen wir davon aus, dass Drogen die Hauptursache für Gewalt in unseren Institutionen sind. Wir hatten 2014 etwa 50 Tote durch Überdosen. Viele der Gefangenen werden aufgrund von Drogenschulden bedroht und angegriffen."

Auch wenn Thornton nicht abstreitet, dass Gangmitglieder Pädophile verachten, so lehnt sie doch die Behauptung ab, dass diese Typen in den Gefängnissen zum Abschuss freigegeben sind.

„Auch wenn das historisch gesehen wahr sein mag, hat unsere Untersuchung jüngerer Mordfälle, die vom Office of the Inspector General und der AP überprüft wurden, gezeigt, dass die meisten dieser Vorfälle Morde waren, die innerhalb der Zellen stattfanden und in manchen Fällen waren die Täter auch Sexualstraftäter", so Thornton. „Unsere Behörde strebt danach, ein sicheres Umfeld für alle Straftäter zu schaffen."

Nichtsdestotrotz stellt die Vorliebe von kalifornischen Gangmitgliedern für Sexualstraftäter als potenzielle Opfer eine offenkundige Herausforderung für die Gefängnisbehörden dar.

„Das alles fällt auf die Anführer [der Gangs] zurück", sagt Kilo. „Einige Anführer sind da einfach auffälliger als andere. Die regeln das einfach in aller Öffentlichkeit oder so—dann geht's rund … Die Hispanics und die Weißen sind da extrem offen—ziemlich dreist, denen ist das egal. Die werden dir immer eine beeindruckende Vorstellung liefern."

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Es gibt aber eine Regel, die trotz allem ihre Gültigkeit behält: Die Zugehörigen einer Ethnie fassen die Zugehörigen einer anderen Ethnie nicht an—auch wenn besagter Insasse ein Pädophiler ist. „Jede Gruppe kümmert sich um ihre eigenen Leute", sagt Kilo. „Wenn einer von den Schwarzen herausfindet [dass jemand ein Pädophiler ist], dann kümmern sich die Bloods und die Crips darum. Bei den Hispanics erledigen das die Cholos und bei den Weißen die Skinheads."

Die internen Gefängnisregeln treten also auch in Kraft, wenn es darum geht, einen sogenannten ‚Perv' auszuschalten. Warum aber sind die kalifornischen Sexualstraftäter im Verhältnis so vogelfrei—selbst nachdem der Bundesstaat separate Unterbringungen für gefährdete Insassen eingeführt hat?

„Die Polizisten lassen nicht gerne jemandem eine Sonderbehandlung zukommen, obwohl die Gefangenen Ansprüche darauf haben", so Kilo. „Es ist eine Wahl, die sie selber treffen müssen, wenn sie zu einem sogenannten Sensitive Needs Yard verlegt werden wollen. Einige von ihnen versuchen einfach, unerkannt unter den normalen Gefangenen zu leben, bis sie dann jemand outet, ihr Fall die Runde macht oder so. Wenn sie dann einmal entlarvt sind, dann ist alles möglich."

Auch wenn sich Gangs in vielen Angelegenheiten uneinig sind, so können sich laut Kilo doch alle darauf einigen, dass Sexualstraftäter eine harte Behandlung verdient haben.

„Auf solche Typen haben es die anderen besonders abgesehen. Die Chomos haben hier keine ruhige Minute, so einfach ist das. Die einzige Erleichterung bekommen sie, wenn sie in Protective Custody [PC] gehen—und einige Gefängnishöfe sind nur PC." Kilo sagt außerdem, dass die Wärter manchmal den anderen Gefangenen einen Hinweis geben, wenn jemand aus der Protective Custody wieder zurück in das normale Gefängnis kommt.

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„Die Wärter suchen sich selber aus, wen sie mögen, und geben den Jungs dann Hinweise, wer die Chomos sind, wenn die zu den normalen Gefangenen kommen", fügt Kilo hinzu. „Das passiert ständig."

Jeder neue Gefangene, der keine Verbindungen zu den Gangs oder der Unterwelt hat, ist automatisch erst mal verdächtig—und Gefangenen, die als pädophil gelten, können furchtbare Dinge widerfahren.

„Als ich im L.A. County einsaß, gab es dort eine Zelle voll mit Bloods", erzählt Kilo. „Meine Homies hatten mich geholt. Sie hatten die Papiere von diesem Typen gecheckt und rausgefunden, dass er auf diesem Jahrmarkt gearbeitet hatte und für Kindesmissbrauch einsaß. In der Zelle las ich mich mir dann den Papierkram durch und befahl dem Typen dann, seine Klamotten auszuziehen. Er machte sich also nackig und ich sagte meinem Kumpel, dass er einen Duschschlappen nehmen und ihn damit schlagen soll. Während mein Homie ihn schlug, bestrafte ich ihn und fragte ihn, wie sich das anfühlt, misshandelt zu werden—wie sich das anfühlt, wenn jemand etwas mit einem tut, was man nicht will."

Kilo sagt später noch, dass seine Blood-Kumpels den Insassen danach zusammengeschlagen hätten, und er behauptet, dass die Gefängnisleitung dazu auch ihr stillschweigendes Einverständnis gegeben hatte:

„Das wirklich Verrückte daran war—und so was ist normal bei uns—plötzlich kamen die Wärter durch die Hintertür. Die Wärter machten die Tür auf und kamen rein. Sie schauten mich an und warfen einen Blick in die Zelle und sahen, dass der Typ übel zugerichtet war. Ich sagte ein paar Worte. Ich sagte: ‚Er ist ein Kinderschänder.' Der Wärter antwortete: ‚Ich habe nichts gesehen.' Er ging zurück zur Tür und machte sie wieder zu."

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Von allen amerikanischen Bundesstaaten ist Kalifornien wahrscheinlich der letzte, in dem du eine Haftstrafe absitzen möchtest. Man kann sich also in etwa vorstellen, wie sich dort die Sexualstraftäter fühlen, wenn sie wissen, dass sie vielleicht jeden Moment angegriffen oder umgebracht werden—nicht für das, was sie im Knast machen, sondern für das, wofür sie dort gelandet sind.

„Die Sache mit Cali ist einfach die, dass es so ein krasses Jägerterritorium ist", sagt Kilo. „Und die Gangster im normalen Knast werden sichergehen, dass die Kinderschänder auch kriegen, was sie verdient haben."

Thornton, die Sprecherin der kalifornischen Gefängnisse, besteht allerdings darauf, dass die Behörden die Situation unter Kontrolle haben.

„Letzten Herbst berief das CDC eine Wardens Advisory Group, um die momentane Doppelzellen-Politik und die gängigen Methoden zu überprüfen. Diese Gruppe wird dann Empfehlungen (falls es welche geben sollte) an den Leiter der Division of Adult Institutions der CDC weitergeben", heißt es von ihr. „Alle Mordfälle werden untersucht. Das CDC leitet die Informationen zu allen Mordermittlungen an die jeweiligen Bezirksstaatsanwälte weiter, die dann entscheiden, ob der Fall strafrechtlich verfolgt wird oder nicht. Ich möchte Sie außerdem darauf hinweisen, dass es 2014 weniger Morde unter Insassen gab. Natürlich ist der Abfall innerhalb eines Jahres nicht als Trend zu verstehen."

Dass Kinderschänder, wenn sie als solche in amerikanischen Gefängnissen geoutet werden, angegriffen und manchmal sogar umgebracht werden, kann allerdings definitiv nicht als Trend oder vorrübergehende Modeerscheinung abgetan werden.