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​Pegida-Aufmarsch: Rechte Schlägertrupps machen Wien unsicher

Rund um Pegida gab es massive rechte Übergriffe und die Polizei soll untätig zugesehen haben.

Angegriffene Antifaschistin Mina. Foto von Michael Bonvalot.

Alle Hintergründe und Artikel zum Thema Pegida findet ihr hier.

Der Pegida-Aufmarsch ist vorbei, Sprecher Nagel ist nach einigen peinlichen Medienauftritten zurückgetreten und die Botschaft von 5.000 AntifaschistInnen gegen bestenfalls 300 Pro-Pegidas war ebenfalls mehr als eindeutig. Nun allerdings gibt es immer mehr Hinweise, dass rechte Schlägertrupps rund um den Pegida-Aufmarsch regelrecht Jagd auf DemonstrantInnen gemacht haben. In zumindest einem Fall sollen PolizistInnen trotz Information über einen Angriff nicht eingeschritten sein.

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Mittlerweile liegen mir Berichte über zumindest fünf versuchte oder vollendete Übergriffe auf AntifaschistInnen vor. Der folgenschwerste Angriff fand noch während des Aufmarsches gegen 20:00 Uhr in der Wipplingerstraße statt. Eine Bezugsgruppe der „Offensive gegen Rechts", bestehend unter anderem aus AktivistInnen der Organisation „Revolution", soll von einer Gruppe von rund 30 bis 50 Männern überfallen worden sein. Zwei Personen wurden dabei so schwer verletzt, dass sie im Krankenhaus versorgt werden mussten.

Mina* von „Revolution" berichtet, dass die Bezugsgruppe zuerst von einem kleineren Trupp von Rechtsextremen angepöbelt wurde, der bereits zu diesem Zeitpunkt Bierdosen nach ihnen geworfen hätte. Mina sagt, dass sie auf dem Video von VICE einen der Angreifer erkennt. Diese erste Gruppe hätte sich laut Mina vorerst zurückgezogen und sie hätte dann jemanden telefonieren gesehen. Kurz darauf sei eine weit größere Gruppe von rund 30 bis 50 Männern erschienen, die sofort auf die AntifaschistInnen losgestürmt sei. Die Bezugsgruppe sei auseinander gelaufen, Mina erzählt, dass sie dabei von einem der Angreifer einen Schlag ins Gesicht bekam, von dem sie zu Boden ging. Als sie bereits am Boden lag, sei sie von den Angreifern getreten worden, drei weitere Aktivisten, die ihr zu Hilfe eilen wollten, seien von den Rechtsextremen ebenfalls angegriffen worden. Eine weitere Aktivistin soll zu Boden geworfen worden sein. Insgesamt, so erzählt Mina, hatte die Bezugsgruppe mindestens fünf Verletzte, von denen zwei im Krankenhaus versorgt werden mussten.

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Mindestens ebenso erschütternd wie der Angriff selbst ist allerdings die Darstellung der Aktivistinnen über das Verhalten der Polizei. Sarah* berichtet, dass sie bereits nach dem ersten Angriff zu einer Gruppe von 3 bis 4 Polizeiwagen lief, die rund 100 Meter entfernt (ungefähr auf Höhe des Alten Rathaus) standen und dort die Polizei zum Eingreifen aufforderte. Den Kontakt mit der Polizei schildert Sarah so: „Im ersten und im zweiten Wagen saß ein Fahrer, der mich jeweils relativ gelangweilt zum nächsten Auto schickte. Der dritte Kleinbus war voller Polizisten, die, nachdem sie gehört hatten, was passiert war, einfach die Wipplingerstraße entlang davon fuhr. Ich war ehrlich gesagt fassungslos."

Der Nazi-Angriff hörte schließlich auf, die verletzte Mina flüchtete nach ihrer Erzählung in ein Lokal am nahe gelegenen Passauer Platz und wurde dort erstversorgt. Bei einem Anruf im Lokal wird mir bestätigt, dass der Vorfall so stattgefunden hat und dass Mitarbeiterinnen des Lokals die Polizei verständigt hatten. Andere AktivistInnen hatten inzwischen nach der Erzählung von Mina ebenfalls den Polizeinotruf 133 informiert. Nach einigen Minuten kamen drei Polizisten, wobei unklar ist, ob sie auf Basis des Notruf kamen oder zufällig. Sie sagten jedenfalls laut Mina, dass sie keine Anzeige aufnehmen könnten und nahmen auch keine Daten auf. Erst mit dem Krankenwagen, den das Lokal gerufen hatte, kam auch ein Polizeiwagen, der Daten aufnahm.

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Foto von David Prokop.

Ein weiterer Angriff soll beim Judenplatz stattgefunden haben. Eine Augenzeugin, mit der ich gesprochen habe, erzählt, dass dort eine Gruppe von rund zehn Rechtsextremen, die eine slawische Sprache sprachen, einen Mann zusammenschlug, bis Hilfe aus einem nahe gelegenen Lokal kam, worauf die Rechten flüchteten. Auf Nachfrage wird im Lokal der Vorfall bestätigt, es wird aber ersucht, dass keine Namen genannt werden.

Auch in der Herrengasse wurden PassantInnen und AntifaschistInnen von Rechtsextremen attackiert, wie mir Andrea* berichtet. Sie beobachtete rund 30 Rechtsextreme, die ungehindert durch die Herrengasse zogen, vor dem Café Central AntifaschistInnen bedrohten, einen Mann mit dunkler Hautfarbe als Kanake beschimpften und Hitlergrüße zeigten. Diese Gruppe stürmte schließlich auch auf rund zehn AntifaschistInnen zu, der Angriff wurde allerdings im letzten Moment abgeblasen und die Rechtsextremen zogen sich zurück. Andrea sagt auch, dass sie zumindest zwei der Angreifer auf Fotos des Pegida-Aufmarsches auf der Freyung wiedererkannt hat.

Auch muslimische AktivistInnen wurden an diesem Tag massiv bedroht. H. (die nicht mit vollem Namen genannt werden möchte), berichtet, dass sie gegen 19:00 Uhr auf der Freyung von Rechtsextremen bedroht wurde: „Sie haben mich beschimpft, sind bei meinem Anblick aggressiv geworden und auf mich zugekommen. Kaum haben sie mich gesehen, haben sie versucht, von ihrer Seite auf die andere Seite zu kommen. Ich war die reinste Provokation für sie mit Kopftuch." H. wurde dann allerdings von einer Gruppe von antifaschistischen AktivistInnen beschützt, worauf die Rechtsextremen sich zurückzogen. Laut H. seien PolizistInnen während der Drohungen direkt daneben gestanden und wären nicht eingeschritten.

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Foto von David Prokop

Von einem weiteren Übergriff berichtete eine Muslima in der Diskussionssendung „Pro und Contra" (ab Minute 24:30). Sie schilderte dort, dass sie gemeinsam mit Freundinnen, die Kopftücher trugen, zur Zeit des Pegida-Aufmarsches am Stephansplatz war. Sie und ihre Freundinnen wurden von einer Gruppe, die durch Plakate klar als Pegida-Anhänger erkennbar waren, massiv bedroht. Sie wurden mit Essen beworfen, es wurde ihnen gesagt, dass man ihnen die Köpfe abreißen und die Kopftücher herunterreißen würde und dass man sie erschießen sollte. Ein Mann drohte ihnen noch Schläge an, das alles in Gegenwart eines zweijährigen Kindes. Die junge Dame sagte auch, dass bereits Anzeige erstattet worden wäre. Die lapidare Reaktion des ehemaligen Pegida-Sprechers Nagel: „Das ist eine schöne Geschichte, ich glaube nicht, dass das so passiert ist."

Auf Nachfrage bei der Polizei zu diesen Übergriffen sagt Polizei-Sprecher Hahslinger, dass bisher nur eine Anzeige wegen Körperverletzung vorliegen würde, die den Angriff auf der Wipplingerstraße beträfe. Er schränkt aber ein, dass ihm bisher nur die Anzeigen vorliegen, die über Funk durchgekommen sind und bereits ausgewertet und gesammelt wurden. Es könne also durchaus sein, dass mehr Anzeigen vorhanden seien, es würde allerdings einige Tage dauern, bis alles vorliegt.

Die Anzahl der verschiedenen Angriffe und die Menge der beteiligten Angreifer lässt die Vermutung zu, dass es sich hier nicht um zufällige Gewaltakte handelt, sondern dass ausgehend von den Teilnehmern der Pegida Kundgebung organisierte Angriffe auf antifaschistische DemonstrantInnen stattfanden.

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Drei Betroffene. Foto von Michael Bonvalot.

Für Mina und Sarah, die vom Angriff in der Wipplinger Straße betroffen waren, ist vor allem das Verhalten der Polizei sehr bezeichnend. Sarah sagt: „Die verweigerte Hilfeleistung der Polizisten in der Wipplinger Straße war völlig irre. Aber es zeigt eben nur wieder einmal, was wir ohnehin wissen, nämlich dass beim Thema Antifaschismus keinerlei Verlass auf die Polizei ist und wir AntifaschistInnen uns selbst schützen müssen." Sarah ergänzt, dass für sie der gesamte Abend dennoch ein absoluter Erfolg war, „denn Pegida konnte keinen Meter laufen". Beide weisen auch darauf hin, dass die mangelnde Vorbereitung der Polizei aus ihrer Sicht mehr als seltsam ist, schließlich sei bereits im Vorfeld klar gewesen, dass beim Pegida-Aufmarsch größere Gruppen von Neonazis auftauchen würden.

Jasmin*, die ebenfalls bei der angegriffenen OGR-Bezugsgruppe war, betont auch, dass sie in den Ereignissen rund um den Pegida-Aufmarsch auf der Freyung eine neue Qualität rechter Angriffe sieht: „Diese Attacken wurden erst dadurch möglich, dass Pegida sich in Wien versammelte. Das zeigt für mich, wie wichtig antifaschistische Blockaden gegen rechtsextreme Aufmärsche sind." Die drei Aktivistinnen sprechen auch allgemein über die letzten Wochen: „Es ist wirklich lächerlich, wenn von AntifaschistInnen permanent verlangt wird, dass sie sich von ein paar Glasscherben distanzieren sollen, während solche rechten Angriffe stattfinden."

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Bereits am 30.01., also am Abend des Akademikerballs, war laut verschiedenen Berichten eine Gruppe von Neonazis in der Wiener Innenstadt unterwegs und bedrohte vereinzelte AntifaschistInnen. Es kam an diesem Abend auf der Kärntnerstraße sogar zu einer antisemitischen Attacke. Die Gruppe, die sich an diesem Abend im ersten Bezirk herumtrieb, wurde, wie in den Tweets erkennbar, von antifaschistischen AktivistInnen dem rechtsextremen Fußball-Fanclub Unsterblich zugeordnet. Und exakt aus diesem Spektrum wurde auch für Pegida mobilisiert.

Foto von David Prokop

In einer ersten Einschätzung bestätigt auch Rechtsextremismus-Experte Wolfgang Purtscheller, dass am Pegida-Aufmarsch vor allem bekannte Kameraden teilgenommen haben:

„Soweit ich das verfolgen konnte, setzte sich dieser faschistische Mummenschanz zu 80 Prozent aus den altbekannten Patienten zusammen. Über die Kernszene des Wiener Rechtsextremismus/Neofaschismus sind sie nicht hinaus gekommen.
Erwähnenswerte Kontingente stellten
- die Idiotitären, wobei die Angeberei ihres Obercheckers Markovics, seine Juxtruppe hätte 50 Leute gestellt, mit äußerster Vorsicht zu genießen ist.
- Altbekannte Hardcore-Burschis, vorneweg der sattsam bekannte Martin Graf von der dem Neonazismus zugeneigten B! Olympia.
- das Bodenpersonal der Nazi-Schläger- & vorgeblichen Austria Wien-Hooligan-Truppe Unsterblich (UST)
- Die „Eisern Wien" skandierende Veteranen-Gruppe rund um die Blood&Honour-Band „Service Crew", wobei wir es dabei im Prinzip mit dem früheren, durchaus gewaltbereiten (und Rapid-begeisterten) Fußvolk von Küssels seliger VAPO zu tun haben
- Einschlägig bekannte nazistische Einzelkämpfer und verstreute Anhänger einstiger Szenegrößen wie Honsik, Rosenkranz & Co.
- Den Rest von diesem Abschaum stellten halt die unvermeidlichen FPÖ-Fans und Hardcore-,Krone'-Leser, die bei solchen Veranstaltungen immer auftauchen.
- Und, nicht zuletzt: so gut wie keine Frauen. Was auch saugut zum Milieu passt."

Der Pegida-Aufmarsch wurde allerdings trotz des zu erwartenden Spektrums erlaubt, erst im Nachhinein gibt es nun Ermittlungen gegen Pegida-TeilnehmerInnen, unter anderem wegen des Verdachts auf Wiederbetätigung. Auf der anderen Seite wurden alle AntifaschistInnen, die an der Blockade von Pegida unmittelbar auf der Freyung teilgenommen hatten, von der Polizei eingekesselt und sind nun mit Anzeigen wegen Störung einer Kundgebung bedroht. Beim Akademikerball hat die Polizei im Vorfeld nicht nur die Kundgebung von „NoWKR" mit der Begründung verboten, dass diese zu Gewalttaten aufgerufen hätte, sondern auch eine Kundgebung der „Offensive gegen Rechts", laut OGR ganz offiziell deshalb, weil den Burschenschaften der Weg zur Hofburg freigehalten werden müsse. Das Bündnis NoWKR wurde nun sogar wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angezeigt. Durch einen solchen Anfangsverdacht kann die Polizei breite Ermittlungen gegen antifaschistische Strukturen vornehmen. In Folge des letztjährigen Akademikerballs gab es auch hunderte Anzeigen gegen AntifaschistInnen wegen des Mittelalter-Paragrafen Landfriedensbruch. Dieser Paragraf, der aus guten Gründen an sich sehr umstritten ist, würde tatsächlich exakt auf die rechten Gruppen zutreffen, die rund um den Pegida-Aufmarsch im ersten Bezirk Menschen angriffen. Es bleibt abzuwarten, ob Polizei und Justiz mit gleicher Intensität gegen Rechtsextremismus vorgehen werden wie zuvor gegen AntifaschistInnen.

Ihr könnt mit Michael auch auf Facebook in Kontakt treten. *Alle Namen in diesem Artikel entsprechen den Wünschen der Betroffenen.