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Warum Fler denkt, dass Machos stärker diskriminiert werden als Schwule

Fler hat mit der ‚GQ' über sein Männer- und Frauenbild und über Schwule gesprochen. Und sagen wir's mal so: Es gibt gute und schlechte Nachrichten.
Foto: Imago | Michael Schöne

Fler hat ein Bild von der Welt, in das er sich nicht gerne reinreden lässt. Da hat alles seinen bestimmten Platz. Männer müssen aggressiv sein, sonst sind sie Lappen, Frauen müssen Männer wollen, sonst sind sie unglücklich. In der Fler-Welt ist das halt so, da braucht man auch nicht diskutieren. Letzten Freitag hatte er in GQ Gelegenheit, seine Welt according to Fler genauer zu erklären.

Ein bisschen ist es so, als würde man vor dem Thron eines absolutistischen Herrschers stehen, der mit seinem Zepter auf einen zeigt, und du bist entweder Lappen (eher schlecht) oder Macho (super). Fler muss man nicht damit kommen, dass man Konflikte ohne Gewalt lösen kann und dass man, nur weil man den dickeren Bizeps hat, nicht unbedingt Recht hat. Wenn er „Jungs aus besserem Hause behaupten gerne, dass sie seriös und anständig seien. Deshalb werden Konflikte nicht mit Gewalt gelöst. Wenn dann so ein Typ wie ich reagiert—‚Du hältst jetzt die Fresse, oder es knallt!' –, rufen sie die Polizei" sagt, sagt er damit am Ende auch: Der dickere Bizeps hat immer Recht. Denn wenn ein Konflikt mit Gewalt „gelöst" wird, gewinnt am Ende der körperlich Stärkere und es ist egal, was der Schwächere gesagt oder getan hat, um das alles auszulösen.

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Weiter sagt er dann: „Wer den Rechtsstaat zu Hilfe ruft, ist für mich unmännlich. Das ist, als würde man die Mama rufen, anstatt einen Streit selbst zu lösen." In Flers Welt sind die Fronten klar. Auf der einen Seite stehen die guten Machos oder halt auch die fies wirkenden, aber im Herzen guten Gangsterrapper und auf der anderen Seite die Lappen, die sich nicht wehren können und hinterrücks Leute piesacken und dann wegrennen, um sich hinter dem breiten Rücken eines Polizisten zu verstecken. Dieses Weltbild hat aber die ein oder andere Lücke. Mal ganz davon abgesehen, dass auch schwache Menschen Recht haben können (wenn man überhaupt dabei bleiben will, dass—wenn einer Recht hat—der andere unbedingt Unrecht haben muss), sind die Leute, die Fler als „maskulin" bezeichnet, immer die Guten und setzen Gewalt damit auch nur für das Gute ein.

Wenn das in Flers Welt so ist, ehrt ihn das zwar, aber sind wir mal ehrlich, Flers Welt ist halt auch nur ein Teil der Realität. Es gibt einige Leute da draußen, die sowohl im Kleinen als auch im Großen Gewalt einsetzen, um Dinge zu erreichen, die eher nicht so cool sind. Im Idealfall hilft da dann genau der Rechtsstaat, mit dem Fler tendenziell lieber nichts zu tun haben will.

Klar, er versucht hier nicht, ein neues Gesellschaftmodell zu etablieren, das rein darauf beruht, dass der Stärkere immer Recht hat, sondern er spricht eigentlich über seine ganz persönliche und vielleicht gerechtfertigte Reaktion auf herablassende und verletzende Kritik. Aber das ist eben das Problem an so extrem geschlossenen Weltbildern, in denen es nur Schwarz und Weiß gibt: Man kann sie ziemlich schnell verallgemeinern.

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„Fler, wir müssen reden!" Das Noisey-Interview

Auf die Frage, ob Gewalt anachronistisch ist, antwortet er: „Die Gewalt hat nicht abgenommen, sie drückt sich heute nur anders aus. Ob ich im Büro ohne Rücksicht auf Verluste meine Karriere vorantreibe oder aggressiv auf der Straße auftrete—beides ist eine Form von Gewalt." Damit hat er gar nicht so Unrecht, aber man könnte halt auch nochmal ein bisschen länger drüber nachdenken und dann vielleicht merken, dass das ja auch nicht alles gottgegeben ist, sondern dass dahinter auch noch mehr steckt. Machtverhältnisse, Privilegien, Rassismus, Erziehung und eine ganze Menge Sexismus.

Das mit den Frauen ist genauso eine Sache, da hat Fler auch seine Meinung und an der ist nicht zu rütteln: „Ich respektiere Frauen, die Männer wollen. Jede Frau, die so tut, als würde dieses Emanzipierte, Großschnäuzige sie glücklich machen, die lügt." Davon mal ganz abgesehen, dass Lesben scheinbar keinen Respekt verdienen. Warum können Frauen nicht einfach so sein und so leben, wie sie wollen. Vielleicht wollen manche Frauen Männer. Mache Frauen wollen Männer und eine Karriere. Oder eine Frau und Karriere. Oder Kinder. Oder keine Kinder. Man könnte das ja auch rein theoretisch jeder einzelnen Frau überlassen. Aber nein. Fler hat eine Meinung dazu. Und die ist die Richtige.

Überraschend ist Flers Einstellung zu schwulen Männern, weil: „Am Ende geht es nur darum, dass keiner den anderen diskriminiert." Und später: „Ich greife niemanden für seine private Einstellung zum Leben an oder für seine Sexualität. Das wäre doch voll absurd, das interessiert mich doch gar nicht." Da hat er ja schonmal Recht. Aber das Problem ist ja, und wer hätte gedacht, dass man mal sowas schreiben würde: Lange nicht alle Menschen auf dieser Welt sind Schwulen gegenüber so liberal eingestellt wie Fler. Wenn er argumentiert „Mich interessiert doch nicht, was du machst, wenn du mit deinem Typen zu Hause bist", ist das zwar auf der einen Seite tolerant, aber auf der anderen Seite auch weltfremd. Das Ding ist nämlich, ich bin nicht immer mit „meinem Typen" zu Hause. Und wenn ich mit „meinem Typen" nicht zu Hause bin, ändert das nichts daran, dass ich schwul bin. Heterosexuelle dürfen auch außerhalb ihrer Wohnung heterosexuell sein, Homosexuelle eher nicht?

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Die Frage muss doch eher sein, warum meine Sexualität nicht genau den gleichen Wert hat und den gleichen Schutz genießt wie die von Heteros. Wenn ich ein knutschendes Paar in der U-Bahn sehe, schreie ich ja auch nicht durch den ganzen Wagen „Ekelhaft!". Wenn ich aber mit „meinem Typen" in der Bahn knutsche, stehen die Chancen nicht schlecht, dass genau das passiert. Das ist natürlich nicht Flers Schuld, aber es ist zumindest ein Aspekt von Homosexualität, den man mitdenken muss. Genau darüber spricht er nochmal in der Antwort auf die Frage, inwiefern sich sein persönliches Männerbild von dem unterscheidet, das in der Modewelt gelebt wird, wo er sein Label promotet: „Die Leute regen sich auf, wenn ein Typ sich prollig benimmt, laut redet und aufgepumpt ist. Finde ich auch nicht immer schön, man sollte die Contenance bewahren. Doch andersrum: Warum stellt niemand infrage, wenn ein Homosexueller seine Sexualität ‚tuckenhaft' auslebt?"

Also erstens ist es ja nicht so, dass die Leute da draußen anfangen, mit Konfetti zu werfen und „We are Family" anzustimmen, wenn ein schwuler Mann in High Heels und mit Federboa (oder was auch immer genau „tuckenhaft" bedeuten mag) über den Alexanderplatz spaziert. Und zweitens kann man einfach damit aufhören, sich „prollig" zu benehmen, wenn man das will. Genau dafür ist das GQ-Interview ja ein gutes Beispiel. Der Fler, der hier spricht, ist nicht der Fler (oder zumindest ein anderer Aspekt von ihm), der darüber rappt, dass er irgendeinem Typen den Kiefer bricht. Schwul zu sein, ist aber keine Wahl. Klar kann man versuchen, sich so gut wie möglich an die heterosexuelle Mehrheitsgesellschafft anzupassen. Aber warum eigentlich?

Eigentlich zeichnet Fler eine Welt, in der alle Sexualitäten gleichberechtigt nebeneinander stehen und niemand aufgrund sexueller Orientierung diskriminiert wird. Wäre zwar schön, ist aber nicht so. Deswegen ist es auch weiterhin gerechtfertigt, wenn auf Diskriminierungen hingewiesen wird. Eigentlich will Fler, dass LGBT*-Menschen sich genauso verhalten wie Heterosexuelle und für alle die gleichen, sagen wir mal „etwas prüden", Anstandsregeln gelten. Das zeigt sich auch daran, wie er Veranstaltungen wie den CSD sieht, wenn er auf den Zwischenfall mit Bushido vor ein paar Jahren angesprochen antwortet: „Wenn Männer und Frauen auf einem komischen Wagen durch die Straßen fahren würden, Latex-Kostüme tragen und sich gegenseitig ablecken, dann würde ich genauso sagen: ‚Das macht man doch nicht. Hier sind kleine Kinder, die sehen das.' Die Loveparade haben wir damals genauso veräppelt wie den Christopher Street Day. Dieses komische Zurschaustellen, das sagen soll ‚Hier bin ich! Guckt mal, wie besonders ich bin', das ist das eigentliche Problem."

OK, es geht ihm dabei gar nicht darum zu sagen, „Schwule sind doof und sollen zu Hause bleiben", aber auch da muss man (schon wieder) sagen, bei Weitem nicht alle Menschen in diesem Land oder auf der Welt haben so wenige Probleme mit Homosexualität wie Fler. Beim CSD geht es eben nicht ums „Zurschaustellen", sondern vielmehr darum zu zeigen, das LGBT*-Menschen existieren und nicht unsichtbar bleiben. CSDs finden nicht nur in Berlin statt, wo Tausende auf die Straßen gehen, sondern auch in Orten, wo der durchschnittliche Hetero möglicherweise niemals bewusst eine Lesbe, eine Transfrau, einen Transmann oder einen Schwulen getroffen hat. Wenn einmal im Jahr ein CSD stattfindet, geht es deswegen auch überhaupt nicht darum zu schreien, „Ich bin eine besondere Schneeflocke und alle müssen mich beachten", sondern vielmehr zu sagen: „Ich existiere hier genauso wie du und ich habe das gleiche Recht dazu." Solange das nötig ist und sich Nichtheterosexuelle rechtfertigen müssen oder angegriffen werden, weil die Mehrheitsgesellschaft nicht damit klar kommt, dass sie überhaupt existieren, werden sie diskriminiert.

Machos sind für Fler die eigentliche Minderheit und „werden mehr diskriminiert als Schwule." Für weiße, heterosexuelle Männer, die ein traditionelles Frauen- und Familienbild vertreten, gibt es nämlich keine Paraden. Der Grund dafür—und das ist dann auch Flers Denkfehler—ist aber nicht, dass sie diskriminiert werden, sondern dass sie die Mehrheit sind in diesem Land.

Zu vielem von dem, was Fler in diesem Interview sagt, kann man zustimmend mit dem Kopf nicken, zum Beispiel, dass die Gewalt in seinen Texten „eine Reaktion darauf ist, wie herablassend ich und andere behandelt werden." Und vielleicht hat er auch Recht, wenn er sagt, „Gangsta-Rapper sind in Deutschland eine Randgruppe", aber daraus zu schließen, dass „Machos (….) mehr diskriminiert [werden] als Schwule", ist dann doch ziemlich gewagt. Und vor allem: Statt mit dem Finger auf alle anderen zu zeigen und zu schreien „Ich werde viel mehr diskriminiert als du, du und du", wäre es vielleicht mal ein Schritt in die richtige Richtung, Solidarität zu demonstrieren, gemeinsam mit anderen Minderheiten auf die Straße zu gehen und sich gegenseitig zu unterstützen, statt sich immer als das größte Opfer von allen darzustellen.